Archive for November 2010
Der Traum eines jeden Veranstalters (1)
Jeder Veranstalter von Profiboxkämpfen träumt von einem Schwergewichtsweltmeister. Ein Schwergewichtsweltmeister verspricht Geld, viel Geld, noch mehr Geld – und zudem noch ein gerüttelt Maß an Aufmerksamkeit. Daher setzten die deutschen Promoter immer mehr auf das Schwergewicht, so auch der hamburger Boxstall Universum Box-Promotion. Seltsam ist es schon, dass eine Europameisterschaft, die in anderen Gewichtsklassen meist von wenig Interesse ist, im Schwergewicht gleich zum Hauptkampf des Abends wird.
Titelverteidiger ist der in Yevpatoriia/Ukraine geborene Oleksandr Dymytrenko alias Alexander Dimitrenko, der seit kurzem die deutsche Staatsangehörige hat. Als Deutscher muss er, laut seinem Promoter, natürlich „der zweite deutsche Weltmeister im Schwergewicht nach Max Schmeling werden.“ Bevor Dimitrenko (31 Kämpfe, 30 Siege, 20 durch KO, 1 Niederlage) seine Kräfte mit den Weltmeistern Wladimir Klitschko (IBF und WBO), Vitali Klitschko (WBC) oder David Haye (WBA) messen darf, soll er nun am 04.12.2010 in Schwerin um den EBU-Titel boxen. Hätte er seinen vorletzten Kampf (04.07.2009), einen WBO Eliminator, nicht gegen Eddie Chambers nach Punkten verloren, hätte er schon gegen Wladimir Klitschko einen WM-Kampf bestreiten können. So aber musste er sich erneut hinten anstellen.
In seinem letzten Kampf, dem ersten nach der Niederlage, gewann er zwar durch TKO in Runde 5 und er wurde damit auch Europameister, jedoch konnte er mich nicht überzeugen. Dafür waren sowohl er selbst wie auch sein ukrainischer Gegner Yaroslav Zavorotnyy (19 Kämpfe, 14 Siege, 12 durch KO, 5 Niederlagen, 2 durch KO) einfach zu schwach. Da ist sein jetziger Pflichtherausforderer schon ein anderes Kaliber. Albert Sosnowski (50 Kämpfe, 46 Siege, 28 durch KO, 3 Niederlagen, 2 durch KO, 1 Unentschieden) aus Polen ist, wie man unschwer an seinen Kampfrekord sehen kann, kein Schlechter. Er erreichte gegen den für Sauerland Events boxenden Francesco Pianeta ein Unentschieden, was für den Deutsch-Italiener recht schmeichelhaft war. Hiernach besiegte er Paolo Vidoz (18.11.2009) nach Punkten und verlor anschließend gegen Vitali Klitschko (29.05.2010) durch KO in Runde 10. In der unabhängigen Weltrangliste wird er auf Position 18 geführt, was wohl eine realistische Einschätzung ist. Dimitrenko steht auf Position 11.
Die Meinungen der Experten zu dem bevorstehenden Kampf gehen relativ weit auseinander. Die einen gehen davon aus, dass Dimitrenko relativ leichtes Spiel haben wird. Er ist seinem polnischen Gegenüber an Technik, Kraft, Körpergröße und Reichweite weit überlegen. Die anderen halten dem allerdings entgegen, dass er genau diese Vorteile aber gar nicht nutzen könnte, und dementsprechend würde ein harter und knapper Punktsieg herauskommen.
Ob Dimitrenko zurzeit wirklich eine Chance hat, einen der Weltmeister zu schlagen, sei dahin gestellt. Es steht jedoch für mich außer Frage, dass es mir lieber ist, einen guten Europameisterschaftskampf zu sehen, als einen von diesen vielen langweiligen und einseitigen Weltmeisterschaftskämpfen. Bleibt zu hoffen, dass die Rückbesinnung auf EMs nicht nur dem Traum eines jeden Veranstalter geschuldet ist, d.h. nicht nur auf das Schwergewicht beschränkt bleibt.
© Uwe Betker
Eine Verteidigung von Arthur Abraham
Anlässlich der zweiten Niederlage in Folge (27.03.2010 gegen Andre Direll durch DQ 11 und 27.11.2010 gegen Carl Froch durch DU 12) wird die Kritik an Arthur Abraham immer lauter. Es wurde und wird darauf hingewiesen, dass Abraham ein technisch limitierter und eindimensionaler Boxer ist, dass seine statische Doppeldeckung ihn behindert, dass er die ersten Runden immer verschläft, dass er zu klein ist und noch vieles mehr. Alles ist absolut richtig. Hinzu kommt eine generelle Kritik an deutschen Boxern bzw. am Boxen in Deutschland, die besagt, dass hiesige Boxer immer überbewertet, schwächer als dargestellt und wahrgenommen und durch clevere Promoter und ahnungslose TV-Sender geschützt würden. Die grundsätzliche Kritik lasse ich außen vor, aber der Kritik an Abraham möchte etwas entgegen halten.
Ich halte Abraham, obwohl er sich in seinem letzten Kampf wirklich nicht mit Ruhm bekleckert hat, für einen Boxer, der das Potential hat, ein ganz Großer zu werden. Heute spreche ich es aus: Ich habe schon immer gewusst, dass aus Arthur Abraham ein ganz großer Boxer wird.
Natürlich ist das gelogen. Ich habe es nicht schon immer gewusst. Aber ich habe es mir schon gedacht, als Abraham erst ganz wenige Profikämpfe absolviert hatte. Das Gym von Sauerland Event befand sich damals in einer umgebauten Schwimmhalle in unmittelbarer Nähe des Müngersdorfer Stadions in Köln. Ich war mit Markus Beyer zu einem Interview verabredet. Wenn es sich einrichten ließ, habe ich mir immer das ganze Training angesehen, um einen Eindruck von den einzelnen Boxern und von der Gruppendynamik zu bekommen.
Ein Sparring sollte die morgendliche Trainingseinheit abschließen. Arthur Abraham war als Letzter dran. Acht Runden Sparring standen auf dem Trainingsplan, der mit Tesafilm an eine Glastüre geklebt war. Die ersten vier Runden sparrte Abraham, der Mittelgewichtler, mit dem Sparringspartner von Markus Beyer, also einem Super Mittelgewichtler. Abraham sah gut aus, aber er beeindruckte mich nicht wirklich. Danach sparrte er mit dem Sparringspartner von Kai Kurzawa, also einem Halbschwergewichtler. Auch hier sah er gut aus, sogar besser als in den vorangegangenen Runden. Er ging sichtlich bis an seine Grenze und am Ende der achten und letzten Runde schnappte er schwer nach Luft.
Abraham kletterte gerade durch die Seile, als sein Trainer Ulli Wegner rief: „Arthur was machst du da? Du bist noch nicht fertig. Du musst noch vier Runden machen!“ Es folgte eines von jenen Geplänkeln zwischen Wegner und Abraham, die heute Kult sind. Abraham blieb im Ring.
Jetzt wurde es wirklich interessant. Zum einen hatte sich Abraham schon vorher komplett verausgabt. Zum anderen bekam er als Gegner einen Cruisergewichtler, also jemanden, der drei Gewichtsklassen höher boxt. Er quälte sich. Er war am Ende, aber immer wenn sein Gegenüber nur eine Sekunde inne hielt, um Luft zu holen oder einen Fehler machte, explodierte er. Abraham war sichtlich wütend auf seinen Trainer. Er kämpfte seinen Gegner, der größer, schwerer und erholter war als er, nieder. Er begnügte sich nicht damit, jede Runde zu gewinnen, er wollte seinen Sparringspartner zu Boden schlagen. Das schaffte er zwar nicht, aber ich war trotzdem sehr beeindruckt. Es war das beeindruckenste Training, das ich jemals gesehen habe.
Von diesem Tag an wusste ich: Arthur Abraham hat das Zeug dazu, ein ganz Großer werden. Abraham war ein Boxer, der anderen, auch wenn sie besser waren, seinen Willen aufzwingen konnte und dadurch in der Lage, sie zu besiegen. Wenn Abraham es schafft, wieder dieser harte und hungrige Boxer zu werden, dann wird er es auch wieder schaffen, erfolgreich zu sein, auch gegen sehr gute Gegner.
© Uwe Betker
„… es hat aber nicht geklappt.“
Der letzte Kampf von Arthur Abraham lässt mich ratlos zurück. Es ist nicht die Tatsache, dass Abraham nach Punkten verloren hat – ich bin sowieso nur von einer fifty-fifty Chance ausgegangen -, sondern die Art und Weise wie die Niederlage zu Stande kam.
Vor dem Kampf musste jedem klar gewesen sein, dass Carl Froch (28 Kämpfe, 27 Siege, 20 durch KO, 1 Niederlage) aus Nottingham der bessere Boxer ist. Dass er unangenehm zu boxen sein würde und dass er versuchen würde, seinen Reichweitenvorteil auszuspielen, das waren alles bekannte Faktoren.
Was mich aber überraschte, das war, dass Abraham (33 Kämpfe, 31 Siege, 25 durch KO, 2 Niederlagen) sich so scheinbar kampflos geschlagen gab. Die Punktrichter werteten sehr zutreffend 109-119 und zweimal 108-120. Ein einziger Punktrichter gab Abraham eine einzige Runde.
Vor dem Kampf konnte ich mir nicht vorstellen, dass am Ende die Punktrichter entscheiden würden. Beide Boxer haben schließlich einen guten bis sehr guten Punch. Abraham konnte einen so guten Boxer wie Froch nur durch Kampf besiegen. Genau das ist es auch, was mich so ratlos macht, denn Abraham hat diesen Kampf nicht gesucht. Das, was seine Stärke ist und was ihn, bei all seinen technischen und boxerischen Unzulänglichkeiten, über andere Boxer hinaushebt, ist normalerweise sein unbedingter Wille zu siegen. Den aber zeigte er in Helsinki überhaupt nicht. Seine Erklärung nach Verkündung der Niederlage bringt keinen wirklichen Erkenntnisgewinn: „Ich habe immer auf dem Knockout gewartet, es hat aber nicht geklappt.“
© Uwe Betker
Ein atomisierter Sport
Selbst als hart gesottener Boxfan ist es wohl unmöglich alle Weltmeister zu kennen. Im Allgemeinen werden zur Zeit vier Weltverbände anerkannt. Die so genannte Buchstabensuppe, so wird diese Situation im englischen Sprachraum genannt, besteht zurzeit aus WBA (World Boxing Association), WBC (World Boxing Council), WBO (World Boxing Organisation) und IBF (International Boxing Federation). Hinzu kommen IBO (International Boxing Organization), WBF (World Boxing Federation), GBC (Global Boxing Council) und andere. Jeder Titel ist also aufgeteilt in vier Viertel, wenn man die kleineren Verbände außer acht lässt.
Mittlerweile gibt es 17 verschiedene Gewichtsklassen:
1. Strohgewicht/Minimumgewicht/Mini-Fliegengewicht
2. Junior Fliegengewicht
3. Fliegengewicht
4. Super Fliegengewicht/Jr. Bantamgewicht
5. Bantamgewicht
6. Super Bantamgewicht/Jr. Federgewicht
7. Federgewicht
8. Super Federgewicht/Jr. Leichtgewicht
9. Leichtgewicht
10. Super Leichtgewicht/Jr. Weltergewicht
11. Weltergewicht
12. Super Weltergewicht/Jr. Mittelgewicht
13. Mittelgewicht
14. Super Mittelgewicht
15. Halb Schwergewicht
16. Cruisergewicht
17. Schwergewicht
Wenn alle 4 Verbände jeweils einen anderen Weltmeister in ihren 17 Gewichtsklassen haben, sind das insgesamt 68 Weltmeister. Hinzu kommen Interims Weltmeister, Super-Champions und was den Drei-Buchstaben-Organisationen sonst noch einfällt, um Sanktionierungs-Gebühren für WM-Kämpfe zu erheben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand alle aktuellen Titelträger aufzählen kann. Hier liegt m. E. ein Grund für den weltweiten Niedergang des Boxens.
Aller Orten verliert das Boxen immer mehr an Bedeutung. In den USA ist Baseball, Football und Basketball populärer. In Deutschland, Großbritannien, Niederlande und Frankreich ist Fußball die Sportart Nummer eins. Verschiedene andere Sportarten wie Wrestling, Käfigkämpfe, und Mischkampfsportarten wie UFC und K1 werden als Konkurrenz immer stärker.
Es ist wohl davon auszugehen, dass, wenn die so genannten Weltverbände nicht zur Vernunft kommen, Boxen immer weiter an Zuschauern verlieren wird. Die Drei-Buchstaben-Organisationen sind Vereinigungen von Menschen, hauptsächlich Männern, mit dem Ziel, durch Boxen Geld zu verdienen. Jeder, der will, kann einen Weltverband gründen und seine WM-Titel anbieten. Die Geschichte dieser Vereinigungen ist geprägt von Korruption, Manipulation, Regelverletzungen und Skandalen. Hier geht es Geld und nicht um Sport.
Üblicherweise gibt es im Weltsport in den unterschiedlichen Sportarten jeweils nur einen Weltmeister. Das Boxen leistet sich aber gleich vier pro Gewichtsklasse, Tendenz steigend. Das bedeutet doch, dass ein durchschnittlicher Weltmeister ist in der Regel nur ein Viertel-Weltmeister ist. Selbst ein so bekannter Titelträger wie Wladimir Klitschko ist mit seinen zwei WM-Gürteln der IBF und der WBO also nur ein halber Weltmeister. Weshalb Herr Klitschko auch noch den Titel eines IBO-Weltmeisters mit sich herum trägt, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Der IBO-Titel hat nämlich so gut wie keine Bedeutung. Genau das ist der Punkt. Die Titel haben, so denke ich, keine wirkliche Bedeutung mehr. Die Promoter brauchen sie lediglich, um ihre Veranstaltungen einfacher vermarkten zu können. Die Bezeichnung WM-Kampf sagt heute nur bedingt etwas aus über die Qualität. Wie man an dem Super-Six-Turnier unschwer erkennen kann, braucht man nicht unbedingt einen Weltmeistertitel zu haben, um ein weltweites Interesse hervorzurufen, denn offensichtlich gibt es immer noch einen Markt für sehr gute Boxkämpfe. Zu ihnen kommt es aber nur selten, weil viele der wirklich guten Boxer Weltmeister sind und nicht gegeneinander antreten.
Es wäre dem Profiboxen zu wünschen, dass sich die Verbände auf einen Modus einigen könnten, der dazu führt, dass es pro Gewichtsklasse nur noch einen Weltmeister gibt. So kämen dann die Kämpfe zu Stande, die die Menschen auch sehen wollen. Nur so kann das Boxen langfristig auch wieder an Attraktivität gewinnen.
© Uwe Betker
Mehr als nur ein Ersatzgegner
Als Gbenga Oloukun als Ersatzgegner für den kurzfristig ausgefallenen Yakup Saglam einsprang, um gegen Konstantin Airich zu boxen, ahnte wohl keiner, der am Ring saß, wie dieser Kampf ausgehen würde. Normalerweise stellt der Ersatzgegner einen schlechten Ersatz dar für den Gegner, für den er einspringt. Ersatzgegner sind meist schlechter trainiert und schlechter vorbereitet, einfach aufgrund der Tatsache, dass sie ja nicht vorher wussten, dass sie boxen würden.
Am 12. November sollte es nun zu einem stallinternen Duell zwischen den Schwergewichtlern Konstantin Airich (20 Kämpfe, 16 Siege, 13 durch KO, 2 Niederlagen und 2 Unentschieden) und Yakup Saglam in Stralsund kommen. Dabei sollte es um den vakanten PABA-Titel im Schwergewicht, bzw. um einen Platz unter den Top 15 in der WBA-Weltrangliste gehen sowie schließlich um die berufliche Zukunft der beiden bei ihrem Veranstalter Arena Boxpromotion. Dieser Tatsache war sich Airich durchaus bewusst, denn beim „Walk in“ zum Ring trug er ein schwarzes T-Shirt, auf dem seine zwei Kindern und die Worte zu sehen waren: Du musst gewinnen.
Gbenga Oloukun Kariere schien eigentlich schon am Ende. Der in Oyo, Nigeria, geborene Boxer war 2005 von Spotlight Boxing, der Boxpromotion Firma von Dietmar Poszwa, dem Schwiegersohn von Klaus-Peter Kohl, unter Vertrag genommen worden. Oloukun (24 Kämpfe, 18 Siege, 11 durch KO, 6 Niederlagen, 1 durch KO) gewann seine ersten 16 Kämpfe in Folge gegen Aufbaugegner. Nach seiner ersten Niederlage (25.04.2009) in einem stallinternen Duell gegen den Syrer Mahmoud Charr (KO in Runde 7) musste er sich einen neuen Veranstalter suchen. Von Steven Küchler betreut, schaffte er eine riesige Überraschung und besiegte in seinem nächsten Kampf (29.08.2009) den früheren WBO-Weltmeister Lamon Brewster nach Punkten.
Es folgten drei Punktniederlagen nacheinander, u. a. gegen René Dettweiler (17.10.2009) und Robert Helenius (26.03.2010). Dann kamen wieder mal ein Sieg und erneut zwei Niederlagen, wobei die letzte sogar ein TKO war. Es sah also alles danach aus, als ob „Bang Bang“ Oloukun zu einem Aufbaugegner für andere würde – bis zu seinem Kampf am 12. November 2010 gegen Konstantin Airich.
Airich fand nie wirklich seinen Rhythmus und der TKO, Airichs Trainer warf das Handtuch, bewahrte ihn vor einem KO, denn er war vorher schon nach einer brutalen Linken zum Kinn schwer zu Boden gegangen. Mit diesem Sieg gab Oloukun seiner Karriere neuen Schwung. Schon auf der Veranstaltung in Stralsund tauchte das Gerücht auf, dass Gbenga Oloukun demnächst gegen einen weiteren Arena Boxer, Steffen Kretschmann (17 Kämpfe, 15 Sieg, 14 durch KO, 2 Niederlagen, 2 durch KO), boxen soll. Eine solche Ansetzung würde tatsächlich auch Sinn machen, weil auch hinter Kretschmanns Zukunft, seit seiner zweiten desaströsen TKO-Niederlage gegen Denis Bakhtov (27.03.2009), die life auf SAT1 zu sehen war, ein dickes Fragezeichen steht.
Was aus Airich wird, ist ungewiss. Sportlich hat er wohl seinen Zenit schon überschritten. Ich bin mir nach der Fülle von harten Kopftreffern, die er in seinem letzten Kampf nehmen musste, nicht mal sicher, ob ich ihn überhaupt noch einmal im Ring sehen möchte. So weitgehend langweilig und überraschungsarm, wie es an der Spitze des Schwergewichts aussieht, so interessant ist es im Mittelfeld, wo gute und auch überraschende Kämpfe ausgetragen werden.
© Uwe Betker
Homerisches Gelächter
Am letzten Wochenende wünschte ich mir, ich hätte die Fähigkeit in ein homerisches Gelächter einstimmen zu können, in jenes unauslöschliche laute Gelächter, das nicht enden will. Aber leider können dies nur die Götter, und so habe ich nur herzhaft gelacht. Anlass hierfür waren drei Kämpfe am letzten Wochenende.
Die in Kolumbien geborene Norwegerin Cecilia Braekhus verteidigte erwartungsgemäß ihre drei WM-Gürtel im Weltergewicht. Sie gewann durch KO in Runde 3. Ihre Gegnerin, oder soll man sagen ihr Opfer, war die Serbin Eva Halasi. Halasi hatte sich für diesen WM-Kampf dadurch qualifiziert, dass die sechs Gegnerinnen, die sie besiegt hat, insgesamt nur vier Kämpfe absolviert hatten. Immerhin war Halasi die Nummer 30 der unabhängigen Weltrangliste. Sie hat in der besagten Rangliste genauso viele Punkte wie alle Boxerinnen, die hinter ihr platziert sind, nämlich 0.
Es war zu lesen, dass „Braekhus erneut eine starke Leistung“ gezeigt, dass sie „gegen eine unbequeme Gegnerin“ geboxt und dabei „ihre Sache gut gemacht“ hätte. Ich frage mich nun unwillkürlich, wie stark wohl dann eine Gegnerin sein muss, die eventuell einen Punkt für ihre vorangegangenen Kämpfe bekommen hat? Oder gar – ich wage es kaum zu denken – eine mit zwei Punkten? Ein Gedanke, der mich sehr erheitert.
Auch Robert Stieglitz verteidigte seinen WBO-Titel im Super Mittelgewicht. Er tat sich schwerer als Braekhus, aber sein Gegner Enrique Ornelas (Mexiko) hatte auch ein paar Punkte mehr und war dementsprechend stärker. Stieglitz gewann nach Punkten, obwohl sein Trainer Torsten Schmitz sich von Sauerland Event hatte abwerben lassen, so dass sein Schützling nur wenige Tage vor seinen WM-Kampf alleine zurück blieb. Das vermutliche Kalkül von Sauerland Event, Stieglitz und dessen Veranstalter Sport Events Steinforth (SES) zu schädigen, ging nicht auf. Das ließ mich schmunzeln.
Das Debüt des schon angesprochene Torsten Schmitz verlief dagegen etwas anders, als er und sein neuer Arbeitgeber es sich vorgestellt hatten. Der bis dahin in seinen acht Kämpfen ungeschlagene Cruisergewichtler Lukas Schulz verlor nämlich prompt mit seinem neuen Mann in der Ecke durch TKO in der sechsten Runde. Man könnte es als eine Ironie der Box-Geschichte auffassen, dass der Gegner, gegen den Schulz verlor, ausgerechnet Serdar Sahin war. Sahin ist nämlich ein Boxer von Ulf Steinforth, genau von jenem Steinforth von SES, dem …
Wenn es so etwas wie einen Boxerolymp geben sollte, und wenn dort Boxgötter leben, so haben sie wohl am Wochenende ihr homerisches Gelächter erklingen lassen.
© Uwe Betker
Ein Pas de deux mit Mahmoud Omeirat Charr und Matthias Preuß
Wenden wir uns noch einmal dem Kampf zwischen Mahmoud Omeirat Charr mit Robert Hawkins vom 19.11.2010 im Gym der Universum Box-Promotion zu. Charr (16 Kämpfe, 15 Siege, 8 durch KO) gewann durch TKO und führte einen, wie ich finde, bemerkenswerten Tanz mit dem Ringrichter Frank Michael Maass auf. Ich gestehe, ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich die Darbietung der Beiden sah. Aber als ich dann auch noch hörte, wie der Kommentator von Sport 1 diese Vorstellung für das Fernsehpublikum kommentierte, bekam ich Angst, davon Ohrenbluten zu bekommen.
Matthias Preuß hatte den Kopfstoß von Charr und die Reaktion von Maass nicht kommentiert. Als dann Charr zu Beginn der nächsten Runde eine wunderschön große Geste der Entschuldigung zur Aufführung brachte und seinen Gegner dann noch umarmte, nachdem sein Trainer ihn vorher in der Pause zusammengestaucht hatte, schaltete sich der Kommentator wieder ein. Er sagte: „So versöhnliche Geste. Da gab es eine unschöne Geste zum Rundenende. (…) Da gehen mit ihm die Gäule durch. Das kann auch mal eine Disqualifikation nach sich ziehen. Wäre eine dumme Sache, wenn man nach Punkten führt. Aber er ist eben ein emotionaler Mensch. (…) Charr hat einiges drauf. Aber er muss eben auch sein Temperament zügeln, wie wir eben gesehen haben. Charr geht dann in die Ringecke, umarmt seinen Gegner und dann ist alles wieder gut.“
Es ist vermutlich ziemlich naiv anzunehmen, dass der Kommentator eines Boxkampfes für das Fernsehen ein Mindestmaß an journalistischer Objektivität zeigen sollte. Meiner Meinung nach kommt hier der TV-Journalist in seiner Unparteilichkeit dem Auftreten des Ringrichters in diesem Kampf doch sehr nahe. Ich frage mich ernsthaft, ob Herr Preuß, wenn es gegen einen Heimboxer mehrere Fouls hintereinander gegeben hätte und noch einen abschließenden absichtlichen Kopfstoss, das dann auch als bloßen Ausdruck von Temperament ansehen hätte. Wäre dann eine Umarmung auch als eine Geste gesehen worden, die „Alles wieder gut“ macht? Diese entschuldigende Umarmung von Charr wirkte auf mich jedenfalls nicht sonderlich aufrichtig. Der Ringrichter entschuldigte sich natürlich nicht.
Was für ein Kommentar! Was für ein Pas de deux, aufgeführt von einem syrischen Schwergewichtler und einem deutschen Fernsehjournalisten!
© Uwe Betker
Ein Pas de deux mit Mahmoud Omeirat Charr und Frank Michael Maass
Wieso muss ich immer wieder in deutschen Boxringen Ringrichter sehen, die bei mir den Eindruck erwecken, nicht ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen, sondern sich zum Büttel der Veranstalter zu machen? Da frage ich mich doch: Was ist eigentlich die Aufgabe eines Ringrichters? Gibt man den Begriff „Ringrichter“ bei Wikipedia ein, so wird man schnell zu dem Synonym Kampfrichter weitergeleitet, und dort ist zu lesen: „Als Kampfrichter werden alle unparteiischen Personen bezeichnet, die die Überwachung und Einhaltung der Regeln bei einer Sportveranstaltung sicherstellen.“ Also nochmals: Ein Ringrichter soll unparteiisch sein. Außerdem soll er darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden.
Wieso versucht dann aber kein Ringrichter ernsthaft, bei dem syrischen Schwergewichtler Mahmoud Omeirat Charr, der sich Manuel Charr nennt und der sich den Kampfnamen Diamond Boy gegeben hat, auf der Einhaltung der Regeln zu bestehen. Ein Beispiel: In seinem letzten Kampf – dem ersten nach einer mehrmonatigen Knieverletzung – bekam es Charr (15 Kämpfe, 14 Siege, 7 durch KO) mit Robert Hawkins (38, Kämpfe, 23 Siege, 7 durch KO, 16 Niederlagen, 3 durch KO) zu tun. Der 40jährige Hawkins ist ein alter Haudegen, der gerne als Aufbaugegner genommen wird. So hat er schon gegen Eddie Chambers (09.09.2005), Samuel Peter (15.12.2005), David Tua (22.02.2007, Denis Boytsov (26.04.2008) und Oleg Maskaev (06.09.2008) geboxt und – verloren.
In der ersten Runde des Kampfes waren Charr und Maass als Paar noch nicht so richtig aufeinander eingestimmt. Der Ringrichter Frank Michael Maass ermahnte den Boxer, nicht mit der Innenhand zu schlagen und nicht mit dem Elleboxen zu stoßen bzw. zu schlagen. Aber schon am Ende der Runde zeigten sie sich besser eingespielt: Charr drückte mit der Linken den Kopf seines Gegners runter, hielt ihn fest und schlug mit der Rechten mehrfach zu. Maass, der direkt daneben stand, übersah das. Danach war das Muster etabliert. Maass sah keine Ellebogeneinsätze mehr und störte auch sonst kaum noch die Kampfführung von Charr.
Am Ende der vierten Runde kam es dann zum Höhepunkt im Tanz der Beiden: Charr stieß mehrfach mit der Schulter zu, und als er damit keine Wirkung erzielte und sein Gegner sich auch noch beschwerte, gab er noch einen Kopfstoß. Der Ringrichter, der direkt dabei stand, reagierte, ganz Tanzpartner, indem er sagte „Pass auf. Hör auf damit.“
Versuchen wir, die Situation des Ringrichter nachzuvollziehen! Ein Mensch wird Ringrichter, weil er in den Ring will, und er will natürlich bei den Großen in den Ring. So ein Ausflug mit Unterbringung in einem meist guten Hotel, einer netten After-Show-Party und einer kleinen Aufwandsentschädigung, die man mit nach Hause nehmen kann, ist schließlich eine angenehme Sache. Ich gönne sie auch jedem Punkt- und Ringrichter von ganzem Herzen. Aber muss dabei die Anbiederung an den jeweiligen Veranstalter wirklich so weit gehen, dass selbst gröbste Regelverstöße nicht mehr geahndet werden? Vielleicht ist ja gerade dieser, wie ich finde, devote vorauseilende Gehorsam einer der Gründe dafür, dass dem Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) der Ruf vorauseilt, das vollstreckende Organ von Klaus-Peter Kohl und Universum Box-Promotion zu sein?
Von einem Ringrichter muss man erwarten können, dass er wenigsten die gröbsten Unsportlichkeiten und Fouls des Heimboxers ahndet. Hier sind wir noch nicht einmal auf der Ebene der Unparteilichkeit. Ein absichtlicher Kopfstoß stellt den Versuch dar, seinen Gegner durch unlautere Mittel zu verletzen. Der Ringrichter ist hier in der Pflicht, die Gesundheit dieses Boxers zu schützen. Ein Punktabzug für einen absichtlichen Kopfstoß wäre das absolute Minimum gewesen.
Aber was Maas und Charr da zeigten, hatte meiner Meinung nach nur noch sehr bedingt etwas zu tun mit einem Ringrichter-Boxer-Verhältnis. Es erinnerte mich vielmehr an einen Pas de deux, diesen Paartanz in einer Ballettaufführung. Hawkins, der auf das Ringrichterverhalten recht aufgebracht reagierte, erklärte Maass: „Come on. Ist OK.“ Das hätte er gar nicht erst sagen müssen, denn wenn er diese Aktion von Charr nicht OK gefunden hätte, hätte er Charr ja disqualifizieren müssen. Aber wer möchte schon, dass sein Tanzpartner disqualifiziert wird.
© Uwe Betker