Archive for Juli 2016
Ein Plädoyer für Mindeststandards von Boxverbänden
Die Glaubwürdigkeit des deutschen Profiboxens nimmt rasant ab. Mal werden positive Dopingergebnisse gar nicht gemeldet, mal werden überführte Doper nur so lange gesperrt, dass es einem unaufmerksamen Zuschauer gar nicht erst auffällt und dann werden Ergebnisse von Punktrichterentscheidungen ein paar Monate später mal eben einfach geändert. Manchmal habe ich das Gefühl, jeden Monat gibt es einen neuen Skandal und alle werden ausgesessen und es ändert sich nichts. Lediglich die Glaubwürdigkeit nimmt immer weiter ab.
Da Profiboxverbände keiner staatlichen und kaum einer publizistischen Kontrolle unterliegen, können sie im Prinzip schalten und walten wie sie möchten. Werden sie mal verklagt, vertrauen sie darauf, dass die Richter sich der Tragweite der Ungeheuerlichkeiten, die da passieren, überhaupt gar nicht bewusst werden, nicht verstehen können oder wollen. Juristisch sind die ganzen Skandale kaum aufzuarbeiten. Das liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass die Verbände eingetragene Vereine sind. Das nämlich erlaubt es den Verbänden, sich zu verhalten, wie sie es eben tun. Und der deutsche Staat ist nun mal leider nicht willens, die Sportverbände zu kontrollieren. So haben wir denn dieses immer größer werdende Problem des Glaubwürdigkeitsschwundes.
Dabei gäbe es ein simples Mittel, dem entgegenzutreten und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Die Boxverbände müssten nur einfache Mindeststandards einhalten. Sicher, es ist geradezu peinlich, Mindeststandards einzufordern, denn die müssten doch wohl selbstverständlich sein. Sind sie aber nicht. Die nachfolgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber wären diese Mindeststandards eingehalten worden, wäre die Glaubwürdigkeit des Profiboxens nicht so massiv ramponiert worden.
– Der Verband hält sich an die eigenen Regeln.
– Der Verband hält sich an die internationalen Regeln.
– Der Verband sieht sich als Vertreter aller Mitglieder, unabhängig davon wie viel Geld sie für den Verband generieren.
– Der Verband vertritt im gleichermaße die Interessen ausländischer Boxer.
– Der Verband sieht sich nicht als Interessensvertreter oder als Exekutive einzelner nationaler Veranstalter.
– Alle Vertreter und Offiziellen sind frei von finanziellen Interessen, die mit dem Boxsport zu tun haben. Das heißt, wer als Veranstalter, Matchmaker, Manager, Trainer, Securityanbieter oder sonst wie als Dienstleister im Bereich Profiboxen tätig ist, darf keine offizielle Position im Verband innehaben.
– Die Titelsituation wird transparent gemacht. Der Verband veröffentlicht für jeden einsehbar, welcher nationale Titel von wem gehalten wird und welche Titel vakant sind.
– Zu jedem Kampf wird die Punktwertung transparent gemacht. Bei jedem Punkturteil wird die Punktwertung verkündet. Es wird transparent gemacht, welcher Punktrichter wie gewertet hat und das wird dann auch bei boxrec eingetragen.
– Tatsachenentscheidungen von Kampfgerichten werden prinzipiell nicht geändert.
– Werden Punkturteile geändert, werden die Gründe transparent gemacht und öffentlich genannt. Alle Beteiligten (Boxer, Trainer, Manager, nationale und internationale Verbände und auch die Öffentlichkeit) werden über die Änderung eines Urteils und deren Gründe informiert.
– Unfähige Punkt- und Ringrichter werden nicht mehr eingesetzt. Wenn ein Punkt- oder Ringrichter den Beweis erbracht hat, dass er unfähig, unwillig oder indisponiert ist, wird er gesperrt, damit er genug Zeit für Nachschulungen hat. Die Sperre wird öffentlich gemacht.
– Unfähige Punkt- und Ringrichter werden auch dann gesperrt, wenn sie angeblich psychisch labil sind und mit Selbstmord drohen.
– Unfähige Punkt- und Ringrichter, die nach einer Sperre ihr Handwerk immer noch nicht beherrschen, werden von allen offiziellen Funktionen im nationalen Verband sowie internationalen Verbänden ausgeschlossen.
– Kämpfe von Boxerinnen und Boxern, die von anderen nationalen und internationalen Verbänden gesperrt sind, dürfen nicht sanktioniert werden.
– Doping wird bestraft. Doping muss bestraft werden, und die Strafe muss für den Doper, der nichts anderes als ein Betrüger ist, spürbar und empfindlich sein.
– Doping wird veröffentlicht. Jedes Doping wird transparent gemacht. Jede Dopingstrafe veröffentlicht (Suspension List).
– Doping wird kontrolliert, und zwar nicht nur nach Titelkämpfen. Will man ernsthaft gegen das Doping vorgehen, so muss es auch unangemeldete Kontrollen gegen.
Wie schon gesagt, dies sind einfache Mindeststandards und man sollte eigentlich erwarten können, dass die Boxverbände sie auch einhalten. Wenn mich nicht die Realität im Profiboxen eines Besseren belehrt hätte, würde ich mich nicht der Peinlichkeit aussetzten, solche Selbstverständlichkeiten hier noch aufzuschreiben. Aber diese Selbstverständlichen sind eben nicht selbstverständlich. Daher ist es auch notwendig, Mindeststandards einzufordern.
(C) Uwe Betker
Rezension: “Dandy” von Daniel Patrick Joseph
Der Autor Daniel P. Joseph ist der Sohn von Dandy Dillon (47 Kämpfe, 20 Siege, 9 durch KO, 18 Niederlagen, 3 durch KO, 9 Unentschieden), einem Federgewichtsboxer, der zwischen 1920 und 1927 aktiv war. Sein Vater starb, als Joseph siebzehn Jahre alt war. Vermutlich kannte er seinen Vater kaum. Die Eltern waren geschieden und der Autor lebte wohl bei seiner Mutter. In den letzten Jahres seines Lebens hatte Dillon auch psychische Probleme. Mit dieser Biographie versucht Joseph, seinem Vater, fast ein halbes Jahrhundert nach dessen Tod, ein Denkmal zu setzen. In seinen eigenen Worten klingt das so: “Writing the story of my father’s life was a labour of love.” Herausgekommen ist ein schmales Bändchen von 136 Seiten.
Danny Dillon wird am14.07.1903 in Grigoriopol in Moldawien, als Moishe Josofsky geboren. Seine Eltern fliehen vor den antijüdischen Pogromen des russischen Zarenreichs in die USA. Dort fängt Dillon, zusammen mit seinem Bruder, an zu boxen. Mit 16 Jahren wird er Profiboxer. Er ist einer von vielen jüdischen Boxern dieser Zeit. Er wird schnell bekannt und macht schnell Karriere. Aber der ganz große Erfolg bleibt ihm verwehrt. Nachdem er seine Boxhandschuhe an den berühmten Nagel gehängt hat, ist er als Trainer, Boxmanager, Restaurantbesitzer, Kneipenbesitzer, Taxifahrer und Verschiedenes mehr tätig. Hinzu kommen mehrere Ehen und verschiedene Kinder. Er stirbt am 28.02.1968 mit 64 Jahren.
Als Grundlage für das Buch, so der Autor, dienten ihm Sammelalben mit Zeitungsausschnitten und Internetrecherchen. Ein Grossteil des Buches besteht aus Beschreibungen der einzelnen Kämpfe, Runde für Runde. Der Sohn von Dandy Dillon verlässt sich dabei doch offensichtlich sehr aufs Internet. Er ist stolz darauf, dass sein Vater mit 17, in seinem zwölften Kampf, Champion wurde; er wurde Kanadischer Meister im Fliegengewicht. Er besiegte am 08.12.1920 Percy Buzza, den amtierenden Kanadischen Meister im Bantamgewicht. Das kann man auch nachlesen auf boxrec. Es bleibt aber weiterer Klärungsbedarf. Da sind noch einige Fragen offen, Fragen, wie: Wieso wird ein us-amerikanischer Boxer eigentlich kanadischer Meister? Wieso hat er den Titel nicht verteidigt, wenn er doch so stolz darauf war?
Bei einmal gewecktem Misstrauen stolpert man dann über immer mehr Ungereimtheiten. Am 06.09.1920 besiegte Dillon, seinem Sohn zufolge, Battling Baker, den Schottischen Meister. Dieser Kampf aber war Bakers Profidebüt. Auch, was ich da an Kampfbeschreibungen zu lesen bekomme, erscheint mir doch ziemlich unwahrscheinlich. Ich kann mir auch schlechterdings nicht vorstellen, dass Zeitungen in den zwanziger Jahren über jeden Kampf Runde für Runde berichtet haben. Die Abläufe der Kämpfe ähneln einander schon ein bisschen sehr. Viele Niederlagen sollen Fehlurteile gewesen sein. Aber belegt wird das, wenn ich es richtig gelesen habe, nur ein einziges Mal mit einem Zitat aus einer Zeitung.
Das Buch hangelt sich am Kampfrekord von Dillon entlang. Von seinem Leben erfährt man dagegen nicht so viel. Die Vorgeschichte, die Flucht vor den Pogromen, aber auch das Leben nach dem Boxen wird nur grob skizziert. Da stellt sich bei mir fast der Eindruck ein, der Autor hatte hierüber so gut wie keine Informationen. Wohlgemerkt der Autor ist der Sohn. Kein Wort verliert er auch darüber, wie Dandy Dillon so als Vater war.
Zusammenfassend kann ich nur sagen, “Dandy” von Daniel Patrick Joseph ist ein seltsames Buch. Es ist schmal, unterhaltsam und man hat es schnell gelesen. Aber, eine Biographie von Dandy Dillon ist es irgendwie nicht. Vielmehr erscheint es eher als das Produkt der Suche eines um die 60 Jahre alten Mannes nach seinem Vater, den er wohl nie richtig gekannt hat. Der Wunsch springt einen an, sein Vater möge mehr gewesen sein als nur einer von vielen guten jüdischen Boxern seiner Zeit, der Wunsch, sein Vater möge etwas Besonderes gewesen sein. Als würde die Erinnerung an einen Vater Dandy Dillon, der ein ganz besonderer Boxer gewesen wäre, seiner Abwesenheit als Vater nachträglich doch noch einen gewissen Sinn geben können. Daher erscheint mir das Buch nicht nur zwiespältig, sondern auch als ein trauriges Vergnügen.
© Uwe Betker