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Über weiße Kittel und geschlossene Augen
Ärzte in weißen Kitteln, insbesondere wenn sie auch noch das Stethoskop lässig aus einer ihren Taschen herauslugen lassen, flößen unendlich viel Respekt ein. Sie sind wahre Götter in weiß. Nie – nie würde ich das fachliche Urteil eines Arztes im weißen Kittel in Frage stellen, eine zweite Meinung einholen oder gar daran zweifeln. Leider haben Ringärzte keine Kittel an, und daher erwacht in mir manchmal der Zweifel an einigen Entscheidungen dieser Herren.
Der bekannteste Ringarzt in Deutschland ist Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Walter Wagner aus Bayreuth. Wagner war erst vor kurzem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen und zu hören. Auf sein Anraten hin wurde der letzte Kampf von Arthur Abraham, am 23.03.2013 in Magdeburg, gestoppt. Abraham (40 Kämpfe, 36 Siege, 4 Niederlagen, 1 durch KO) verlor seinen Titel der WBO, World Boxing Organisation) im Super Mittelgewicht an Robert Stieglitz (47 Kämpfe, 44 Siege, 25 durch KO, 3 Niederlagen, 2 durch KO), dem er eben diesen Titel zuvor, nämlich am 25.08.2012, abgenommen hatte.
Nun erscheint es einem blutigen Laien wie mir nur natürlich, dass ein Kampf abgebrochen wird, wenn einem Boxer ein Auge zugeschwollen ist. Das leuchtet schon deshalb ein, weil der Boxer dann ja die Schläge von dieser Seite nicht mehr sehen kann. Dementsprechend ist die Entscheidung von Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Walter Wagner uneingeschränkt zu befürworten. Mein Problem dabei ist nur, dass es sich hier um den berühmten Ringarzt Wagner handelt und dass er keinen weißen Kittel trägt. Wagner erlangte schließlich internationale Berühmtheit dadurch, dass er Abraham am 23.09.2006 in Wetzlar acht Runden mit einem doppelten Kieferbruch weiterboxen ließ. Wir erinnern uns noch alle gut an das grotesk geschwollene Gesicht von Abraham und wie das Blut aus seinem Mund quoll. – An diesem Vergleich erkennt man vermutlich den medizinischen Laien, der einen doppelten Kieferbruch für gefährlicher hält als ein zugeschwollenes Auge.
Vermutlich würde Dr. Wagner argumentieren, dass durch ein geschlossenes Auge der Boxer die Schläge nicht mehr sehen kann und schlimmstenfalls sogar das Augenlicht in Gefahr ist. Dem würde ich den 11. März 1988 entgegen halten. Damals wurde Graciano Rocchigiani gegen Vincent Boulware in der Philipshalle in Düsseldorf das erste Mal Weltmeister. Es war eine Ringschlacht wie wir sie wohl niemals vorher oder nachher in Deutschland zu sehen bekommen haben. Wenn ich mich recht entsinne, war seinerzeit das linke Auge von Rocchigiani auch komplett geschlossen. Und wenn ich mich weiter recht entsinne, war ausgerechnet Dr. Wagner damals der Ringarzt, der den Kampf nicht abgebrochen hat. Da frage ich mich doch: Was unterscheidet denn eigentlich ein komplett geschlossenes Auge bei Graciano Rocchigiani von einem bei Arthur Abraham?
Die Antwort dürfte wohl in einem „Ich will nicht mehr!“ liegen. Laut einem Augen- und Ohrenzeugen soll Abraham, als er zurück in seine Ecke kam, nämlich zu seinem Trainer Ulli Wegner gesagt haben: „Ich will nicht mehr!“. Und als Dr. Wagner zu ihm kam, um sein Auge zu untersuchen, soll er auch zu ihm gesagt haben: „Ich will nicht mehr!“.
Um es deutlich zu sagen: Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Walter Wagner hat sich um den deutschen Boxsport sicherlich sehr verdient gemacht. Soweit ich informiert bin, war er maßgeblich an der Einführung der Dopingkontrollen und der MRT Untersuchung beteiligt. Aber am Ring sollte er vielleicht doch einen weißen Kittel tragen. Dann würde ich auch seine Entscheidungen womöglich nicht mehr hinterfragen.
© Uwe Betker
Eine wirklich gute Veranstaltung
Die ca. 5.000 Zuschauer fassende Fraport Arena in Frankfurt war nicht gut gefüllt. Die Oberränge waren geschlossen, eine Seite war gesperrt und der Rest war auch nicht voll. Angeblich haben 3.000 den Weg in die Halle gefunden. In diesem Fall ist das bedauerlich! Sauerland Event hatte nämlich eine wirklich gute Veranstaltung auf die Beine gestellt.
Dabei fing es eher enttäuschend an. Der ungeschlagene deutsche Cruisergewichtler David Graf bekam es im ersten Kampf des Abends mit Paul Morris aus Großbritannien zu tun. Graf, von dem es vorher hieß „Graf mag es gerne schnell!“, konnte den zwar auf sechs Runden angesetzten Kampf einstimmig nach Punkten für sich entscheiden, aber er überzeugte nicht. Morris (12 Kämpfe, 4 Siege, 2 durch KO, 6 Niederlagen, 1 durch KO, 2 Unentschieden) zwang Graf (6 Kämpfe, 6 Siege, 5 durch KO), zum ersten Mal in seiner Profikarriere über die volle Distanz zu gehen. Es schien fast so, als wäre Graf überrascht gewesen, dass sein Gegner nicht umfiel. Für die boxerische Entwicklung von Graf war diese Erfahrung bestimmt wichtig. Für die Zuschauer war der Kampf aber eher langweilig.
Obwohl der zweite Kampf des Abends einen auch nicht vom Stuhl gerissen hat, war er aber doch sehr viel interessanter. Angekündigt wurde, dass der Sieger des Kampfes gegen den Sieger von Hernandez gegen Cunningham antreten dürfe. Das war natürlich ein Scherz. Der Pole Lukasz Rusiewicz (22 Kämpfe, 10 Siege, 3 durch KO, 12 Niederlagen 1 durch KO) wäre ein geradezu grotesk unwürdiger Herausforderer. Und selbst wenn er denn gewonnen hätte, wäre er damit niemals auf eine Weltranglistenposition gerutscht, die die Sanktionierung durch den Verband IBF gerechtfertigt hätte. Es ging also lediglich darum, dass Troy Ross (27 Kämpfe, 25 Siege, 16 durch KO, 2 Niederlagen, 1 durch KO) aus Kanada noch einmal gewinnt.
Ross, der am 05.06.2010 durch TKO gegen Cunningham einen WM Kampf verloren hatte, entledigte sich seiner Aufgabe pflichtgemäß. Nach dem Kampf erklärte er mir, dass es nur darum gegangen sei zu gewinnen und keine Verletzung zu bekommen. Er hatte Rusiewicz zweimal hart getroffen und gemerkt, dass dieser nicht schnell umfällt. Daraufhin hat sein Trainer ihn immer ermahnt mit Kopf und mit so wenig Risiko wie möglich zu boxen. Für den Zuschauer war es interessant sich vorzustellen, wie der mit 182 cm doch recht kleine Ross sich wohl gegen Hernandez oder Cunningham schlagen würde. Ross gewann also den Achtrunder einstimmig nach Punkten.
Der dritte Kampf war die Europameisterschaft im Halbschwergewicht. Es boxten Vyacheslav Uzelkov (27 Kämpfe, 25 Siege, 16 durch KO, 2 Niederlagen) aus der Ukraine gegen Eduard Gutknecht (23 Kämpfe, 22 Siege, 9 durch KO, 1 Niederlage) aus Deutschland. Es handelte sich hier um eine richtige Europameisterschaft, sanktioniert von der Europäischen Box Union, und nicht um eine dieser Pseudo-Europameisterschaften, bei der jeder boxen darf. Das merkte man der Qualität des Kampfes auch an. Gutknecht zeigte in seiner Pflichtverteidigung eine große Leistung, die nicht alle ihm zugetraut hätten. Gutknecht hielt nicht nur dem enormen Druck von Uzelkov stand und punktete mit schönen Kontern. Im Laufe des Kampfes bestimmte er sogar mehr und mehr das Geschehen im Ring. Je länger der Kampf dauerte, umso einseitiger wurde er. In den letzten Runden schien es fast so, als ob Gutknecht, der wirklich kein Puncher ist, sogar noch den KO suchen würde. Gutknecht gewann beeindruckend einstimmig nach Punkten.
Die nächste Begegnung war die IBF-Weltmeisterschaft im Cruisergewicht zwischen dem Herausforderer und vormaligen Weltmeister Steve Cunningham (27 Kämpfe, 24 Siege, 12 durch KO, 3 Niederlagen) und dem Titelverteidiger Yoan Pablo Hernandez (26 Kämpfe, 25 Siege, 13 Siege, 1 Niederlage, 1 durch KO). Den Kampf verdankt die Boxwelt der IBF, die einen Rückkampf angeordnet hatte, nachdem Cunningham am 01.10.2011 unter zumindest etwas dubiosen Umständen seinen Titel an Hernandez verloren hatte. Der Hauptakteur des ersten Kampfes, Prof. Dr. Dr. Walter Wagner, Facharzt für Allgemeine Chirurgie in Bayreuth, war bei diesem Kampf auf Druck von Cunningham, nicht als Ringarzt bestellt. Mit diesem Kampf haben wir eine großartige Ringschlacht gesehen. In den ersten Runden versuchte Cunningham offensichtlich, der Linken, also der Schlaghand von Hernandez aus dem Weg zu gehen. In der vierten Runde kam Hernandez dann aber mit einem harten kurzen linken Kopfhaken durch, und der US-Amerikaner ging schwer zu Boden. Kaum stand er wieder, musste er erneut runter. In den verbleibenden 35 Sekunden war er nur noch damit beschäftigt, den Gong zu erreichen. Es gibt vermutlich kaum einen Cruisergewichtler der Welt, der dies gegen den Kubaner in einer solchen Verfassung geschafft hätte. Wie schon des Öfteren in seiner Karriere, kam Cunningham nach diesem Niederschlag stärker wieder zurück in den Kampf. Die folgenden Runden waren bis zur letzten Sekunde spannend. Am Ende gewann Yoan Pablo Hernandez verdient und einstimmig nach Punkten. Der offensichtlich beste Cruisergewichtler der Welt besiegte den wohl zweitbesten der Welt.
Die folgende Europameisterschaft, ebenfalls im Cruisergewicht, hatte Ähnlichkeit mit einer öffentlichen Schlachtung. Der aus Serbien stammende Lokalmatador Enad Licina (24 Kämpfe, 21 Siege, 11 durch KO, 3 Niederlagen) hatte gegen den Russen Alexander Alekseev (24 Kämpfe, 22 Siege, 20 durch KO, 2 Niederlagen, 2 durch KO) nicht die geringste Chance. Licina, hinter seiner Doppeldeckung agierend, war einfach zu statisch, um Alekseev in Gefahr zu bringen. Vielmehr kassierte er Treffer um Treffer. Die Verkündung des einstimmigen Punktsieges war reine Formsache. Licina muss sich jetzt fragen, welche boxerischen Ziele er noch erreichen kann, nachdem er eine Niederlage in einem WM-Kampf, am 12.02.2011 gegen Cunningham, und nun in einem EM-Kampf einstecken musste.
Den letzten Kampf des Abend bestritten Michael Simms (40 Kämpfe, 22 Siege, 14 durch KO, 16 Niederlagen, 2 durch KO, 2 Unentschieden) aus den USA und Mateusz Masternak (24 Kämpfe, 24 Siege, 18 durch KO) aus Polen. Der als KO-Sensation angekündigte Masternak hatte mit dem Überlebenskünstler Simms, ganz klar seine Schwierigkeiten. Er sah gegen den Routinier regelrecht durchschnittlich aus. Dass der Kampf in der vierten Runde abgebrochen wurde, hat er nicht seiner Schlaghärte zu verdanken, sondern lediglich einer engen Regelauslegung durch den Ringrichter Gerhard Sigl. Masternak hatte Simms an den Seilen gestellt und mit einem Schlaghagel eingedeckt, der aber nur die Deckung traf. Der Ringrichter brach den Kampf ab, weil Simms auf die Schläge nicht mit einer eigenen Aktion geantwortet hatte. Ich persönlich hätte dem Kampf noch gerne etwas länger zugesehen.
Sauerland Event hat eine wirklich gute Veranstaltung auf die Beine gestellt. Es gab interessante und spannende Paarungen und sogar einen richtig phantastischen Kampf zu sehen. Was will man mehr? ! – Nun, vielleicht noch einen schönen KO in einem der Hauptkämpfe. Aber als Veranstalter kann man hoffentlich eben doch nicht alles planen.
© Uwe Betker