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Gastbeitrag: Von Pflichtaufgaben und leichten Sparringsrunden
Pflichtaufgaben und leichte Sparringsrunden – auf diese kurzen Nenner lässt sich der Kampfnachmittag am 20.02.2021 im Wuppertaler Red Panther Kampfpalast zusammenfassen. Doch der Reihe nach.
Gleich im ersten Kampf, eine Mittelgewichtsbegegnung, wurde Markc Lambertz seiner Favoritenrolle gerecht. Bereits in der dritten von acht Runden gegen Mirko Sikora beendete er das Gefecht standesgemäß – aber auch zu früh. Mit einer krachenden Rechten an die Schläfe schickte er seinen 23-jährigen Kontrahenten ins vorzeitige Wochenende. Dabei war von der ersten Runde an deutlich zu sehen, dass der Kölner Mirko Sikora chancenlos nach Wuppertal gereist war. Bereits von der ersten Sekunde an dominierte Lambertz seinen Gegenüber nach belieben. Er war beweglicher, rouchierte und veränderte stetig seine Position im Ring. Sikora, hüftsteif und mit einem hochgereckten Kinn, das für Lambertz wie ein Fadenkreuz wirken durfte, kam zu keiner zwingenden Aktion und unterforderte Marc Lambertz auf ganzer Linie. So entwickelte sich eher eine Trainingseinheit statt eines ernstzunehmenden Boxkampfes, in der Lampertz jede Anweisung seines Trainers Rüdiger May umsetzte. Bis vielleicht eine nicht: sich nämlich Zeit zu lassen.
So kam es, wie es kommen musste. Nach der Ringpause zur dritten Runde erhöhte Lambertz den Druck auf seinen Gegner. Nach rund zwei Minuten erodierte Sikora. Er konnte schlicht dem Druck nicht standhalten. Schlag um Schlag prasselten in einer Kombination von Geraden und Haken Stöße auf ihn ein, wobei einer den Körper sehr schmerzhaft traf. Der gebürtige Wipperfürther wurde vom GBA Ringrichter Arno Pockrandt angezählt. Sofort nach Freigabe des Kampfes setzte dann eine Schlaghand an die Stirn Sikoras dem Kampf ein vorzeitiges K.o.-Ende. Sikora wollte sich wohl so früh nicht aus dem Kampf verabschieden, doch die Gesundheit des Sportlers hat Vorrang.
Wie auch im zweiten Kampf des Tages, den auf sechs Runden angesetzten Vergleich zwischen Martin Houben und Ismail Altintas im Halbschwergewicht. Auch hier ungleiche Kräfteverhältnisse, auch hier zwei faire Sportler, die boxen wollten, und auch hier entschied die Gesundheit des Sportlers über das Adrenalin des Kämpfers. In der Ringpause zur fünften Runde wurde der Kampf in Abstimmung von Arzt, Ringrichter und Betreuer beendet. Zu schwer waren die Treffer und der Verdacht auf eine gebrochene Nase ließen keine Alternative zu und bescherten Houben mit seinem neunten Sieg im zehnten Kampf. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Altintas seinem Kontrahenten einen mutigen, wenn auch chancenlosen Kampf geliefert, in dem er schwere Kopftreffer hinnehmen musste, die letztlich zum Abbruch des Kampfes führten.
Verwunderlich war dies nicht. Der 27-jährige Houben boxte überlegt und überlegen. Für ihn schien dieser Kampf eher in die Sparte Sparring unter Wettkampfbedingungen zu laufen, denn er packte einige Technik-Einheiten in dem Kampf. Ausgehend von seiner größeren Reichweite konzentrierte er sich in der ersten Runde auf die Beinarbeit. Er bewegte sich viel und hielt seinen rund zehn Zentimeter kleineren Gegenüber auf Distanz. Seine Angriffe bereitete Houben vorwiegend mit einer Führhand-Geraden vor, die er mit einem Haken zum gegnerischen Körper abschloß. Zu häufig landete diese jedoch auf der Deckung und entfaltete deshalb weniger Wirkung, als seine harten Geraden an den Kopf des 32-jährigen Kölners Altintas.
Dieses Gesamtbild setzte sich auch in den weiteren Runden fort. Houben boxte ungefährdet und Altintas stemmte sich zeitweise mit seinem hinteren Fuss in dem Ringboden wie ein Sprinter in einem Startblock, um die harten Stöße Houbens zu entschärfen.
Nur einmal – in Runde zwei – wurde dieses überlegene Gesamtbild durch eine sehenswerte Aktion Altintas, der mit einer von außen kommenden Schlaghand als Haken, super eingedreht, Houben am Kopf trifft. Allerdings wurde die Aktion wegen angeblicher Innenhand vom Ringrichter zurückgepfiffen. Schade.
Die beiden weiteren Kämpfe des Nachmittags waren kaum der Rede wert. Besonders der dritte Vergleich zwischen Orhan Guelsen (mit 16 Jahren jüngster Profi), der haushoch überlegen war, und Idress Schenwary war keine Werbung für den Profiboxsport. Dieses Aufeinandertreffen sollte eher als Grundlage für eine Diskussion um die Kampffähigkeit und die sportliche Kompetenz einiger Sportler dienen, bevor sie ins Quadrat treten dürfen. Wobei gilt: Jeder, der in den Ring steigt, verdient Respekt. Doch nicht jeder hat dort auch etwas zu suchen.
Mit größeren Erwartungen startete der Wuppertaler Lokalmatador Marco Martini ein Comeback. Nach dreijähriger Abstinenz endete dieses jedoch bereits in der zweiten Runde. Mit einem Leberhaken schickte er seinen Gerner Dogan Kurnaz auf die Bretter.
Noch ein Zusatz: Es fühlt sich falsch an, wenn mehr Rettungssanitäter im Raum sind als Sportler und Betreuer. © Manfred Fammler
Gastbeitrag: „Boxkampf für direkte Demokratie von Joseph Beuys“
„Anlässlich der documenta 5 von Harald Szeemann (unter der Mitwirkung von Jean-Christophe Ammann) in Kassel 1972, fand am letzten Tag der Ausstellung im Museum Fridericianum als Abschiedsaktion ein Boxkampf statt zwischen Joseph Beuys (1921–1986) und dem jungen Kasseler Kunststudenten Abraham David Christian (*1952). Beuys, der seit 1964 sehr prominent auf allen documenta Ausstellungen vertreten war, hatte 1972 sein Düsseldorfer Informationsbüro der Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung für 100 Tage nach Kassel verlegt. Während dieser Zeit war er persönlich anwesend und diskutierte unermüdlich mit den Ausstellungsbesuchern über das Parteiensystem und direkte Demokratie durch Volksabstimmung. Er konstatierte dazu „Rede stehen ist auch eine Kunstform“ und bezeichnete ganz generell „Sprache als die erste Form von Plastik“. Für Beuys, der das Museum immer als einen Ort der permanenten Konferenz begriff, war das Büro für direkte Demokratie sein künstlerischer Beitrag und die Realisierung seines erweiterten Kunstbegriffes der „sozialen Plastik“.
Der ebenfalls aus Düsseldorf stammende Bildhauer Abraham David Christian hatte Beuys bereits in den ersten Tagen der documenta in einem hitzigen Streitgespräch zu einem Boxkampf herausgefordert. Dieser Kampf fand schließlich am 8. Oktober 1972 um 15 Uhr im sogenannten „Denk-Raum“ des Konzept- und Nouveau Realiste-Künstlers Ben Vautier statt. In der Raummitte war auf einem flachen Podest ein klassischer Boxring errichtet. Beide Akteure kämpften mit freiem Oberkörper und mit Boxhandschuhen. Christian trug zusätzlich einen Kopfschutz aus Leder und einen Zahnschutz. Beuys blieb bis auf die Boxhandschuhe ungeschützt. Unter reger Anteilnahme zahlreicher Zuschauer gewann er schließtlich den Dreirundenkampf nach Punkten.
Die aus der Aktion resultierende Plastik Boxkampf für direkte Demokratie zeigt in einer extrem schmalen, fünf Meter breiten Zinkblech-Vitrine die Aktionsrelikte des Boxkampfes. Das Werk war richtungsweisend für die documenta-Arbeiten von Joseph Beuys, der wie kein anderer Künstler die documenta bis 1986 geprägt hat. Sein gesellschaftspolitischer Ansatz Anfang der 1970er-Jahre kann als Maßstab für folgende documenta-Ausstellungen bis in die unmittelbare Gegenwart gesehen werden.
1978 äußert sich Beuys zum Boxkampf wie folgt: „Ich bin überhaupt kämpferisch. In einem solchen Zeitalter, in dem wir leben, in dem der Mensch angelegt ist auf tatsächliche Freiheit, muss dieser Kampf natürlich anders sein als jemals in der Geschichte. Er muss sich ganz ins Innere verlegen, muss ein Kampf der Ideen, des Geistes sein. Jeder andere Kampf ist ein sinnloser Kampf. Wenn ich zum Beispiel, wie auf der documenta 1972, einen Boxkampf bestreite, dann ist das ein Boxkampf für direkte Demokratie, das heißt: Für einige Zuschauer wird eine Kampfsituation dargestellt. Die drückt aber symbolisch nichts anderes aus als diesen Kampf für eine humane Zukunft.“ (Joseph Beuys im Gespräch mit Gerd Courts, Kölner Stadtanzeiger, 1978)“ [Pressetext]
Das Werk ist seit kurzem im MMk, im MUSEUMMMK FÜR MODERNE KUNST, in Frankfurt am Main zu sehen.
Ein großer Kampfabend in Heerlen
Heerlen ist – ich werde es nicht müde zu wiederholen – ein sehr guter Ort fürs Profiboxen. Regelmäßig gibt es hier die Veranstaltungen von Patrick Driessen – und dessen Name steht für Qualität. So ist es nicht verwunderlich, dass die Show am 15.09.2018 im Cultureel Centrum Corneliushuis wieder einmal richtig gut war. Neun Amateurkämpfe und sechs Profikämpfe waren zu sehen.
Den Anfang bei den Profis machten Julaidan Abdul Fatah und Daniel Botlik (60 Kämpfe, 7 Siege, 2 durch KO, 50 Niederlagen, 18 durch KO, 3 Unentschieden) im Super Mittelgewicht. Der Debütant aus Saudi Arabien, der seinen ersten Boxkampf überhaupt bestritt, war physisch sehr stark und dominierte die erste Hälfte der ersten Runde. In der zweiten Hälfte machte er weniger Druck; so wurde Botlik stärker und hielt dagegen. Anfang der zweiten machte Fatah wieder mehr Druck. Er trieb seinen Gegner vor sich her. Eine schöne Rechte zur Schläfe schickte Botlik zum ersten Mal auf die Bretter. Danach suchte er den vorzeitigen Sieg. Er stellte sein Gegenüber in seiner eigenen Ecke, ließ ihn nicht mehr raus und deckte ihn mit Schlägen ein. Nach mehreren Treffern ging Botlik wieder runter. Er stellte sich zwar noch einmal zum Kampf, aber er lief in einen Konter rein, ein linker Kopfhaken, der ihn erneut zu Boden zwang. Der Ringrichter hatte genug gesehen und winkte den Kampf ab. Sieger durch TKO in Runde 2, nach 2 Minuten und 3 Sekunden: Julaidan Abdul Fatah.
Dann stiegen im Weltergewicht Xavier Kohlen und Dijby Diagne (7 Kämpfe, 3 Siege, 1 durch KO, 4 Niederlagen, 2 durch KO) in der Ring. Für einen Vierrunder war dieser Kampf außerordentlich gut. Zwar machte der Debütant Kohlen den Kampf, aber Diagne hielt dagegen. Kohlen boxte mehr, Diagne fightete mehr. In der zweiten Runde errang Kohlen die Oberhand. Er bestimmte mit seiner steifen Führhand das Geschehen und punktete immer wieder schön mir seiner Rechten als Graden oder Cross. In der dritten Runde kam Diagne auf. Kohlen machte zu wenig. Gegen Ende der Runde kam Kohlen dann mit einer Rechten zum Kopf durch, die sein Gegenüber erschütterte. Kohlen versuchte nun, ihn zu finishen, wobei er aber etwas überhastet ans Werk ging. Dennoch kam er mehrfach mit schweren Händen durch. Was nun folgte, war kurios. Diagne hatte bei einem der Treffer, die er nehmen musste, seinen Zahnschutz verloren: Der war irgendwo ins Publikum geflogen. Diagnes Ecke hatte keinen Ersatzschutz dabei. Nach langem Suchen brach der Ringrichter den Kampf ab. Sieger durch Disqualifikation in Runde 4: Xavier Kohlen. – Noch im Ring wurde ein Rückkampf angekündigt.
Den dritten Kampf des Abends, einen Sechsrunder, bestritten Timo Rost (5 Kämpfe, 5 Siege, 2 durch KO) und Jann Kulik (2 Kämpfe, 1 Sieg, 1 durch KO, 1 Niederlage) im Super Mittelgewicht. Beide gingen ein extrem hohes Tempo. Sie zeigten technisch gutes Boxen. Es gab viele harte Schlagabtäusche. Der Kampf wurde extrem intensiv geführt, wobei die erste Runde etwas hektisch war. Die folgenden Runden wurden ruhiger, aber nicht langsamer, geführt. In den ersten beiden Runden hatte Rost immer eine Hand mehr im Ziel. Die folgenden Runden gingen hin und her. Kulik trug Rost den Kampf immer und immer wieder an und Rost nahm an. Der Kampf blieb bis zur letzten Sekunde spannend und begeisterte das Publikum. Die Punkrichter des niederländischen Boxverbandes werteten: 58:56, 58:56 und 59:55. Einstimmiger Punktsieger: Timo Rost.
Der folgende Schwergewichtskampf zwischen Ricardo Snijders (14 Kämpfe, 14 Siege, 5 durch KO) und Paul Zummach (5 Kämpfe, 3 Siege, 1 durch KO, 2 Niederlagen, 1 durch KO) war auf acht Runden angesetzt. Beide Boxer zeigten gutes technisches Boxen. Snijders boxte systematisch und abgeklärt. Er dominierte aufgrund seiner Technik. Ende der vierten Runde kam Snijders mehrfach mit schönen harten Schlägen durch. Zur Runde fünf trat Zummach nicht mehr an. Sieger durch TKO: Ricardo Snijders.
Der vorletzte Kampf des Abends, ein Sechsrunder mit Andranik Mirzoyan (6 Kämpfe, 4 Siege, 4 durch KO, 1 Niederlagen, 1 durch KO, 1 Unentschieden) und Nassar Bukenya, hielt eine faustdicke Überraschung für die Zuschauer bereit. Der ungeschlagene Mirzoyan war von Anfang an auf einen KO aus. Jede seiner Aktionen wollte nur ein KO-Schlag sein. In der ersten Runde gab es nur wenige Aktionen, was sich aber mit zunehmender Kampfdauer änderte. Am Ende der zweiten sah es auch tatsächlkich danach aus, dass Mirzoyan vorzeitig gewinnen könnte. In der folgenden Runde hatte aber Bukenya, der Debütant aus Uganda, seine Momente. In der vierten Runde boxte Mirzoyan überhaupt nicht mehr an, wodurch er immer mehr Schläge nahm. Am Ende der Runde wurde er dann an den Seilen gestellt und nahm viele Volltreffer zum Kopf. Torkelnd und mit wackeligen Knien ging er in seine Ecke zurück. In die fünfte Runde versuchte er mit einem verzweifelten Schlaghagel seine Schwäche zu kaschieren. Aber er erzielte keine Wirkung. Ihm wurde noch etwas Zeit geschenkt, weil sich das Tape von seinem Handschuh gelöst hatte. Aber nach dieser Pause nahm er Treffer um Treffer zum Kopf. Erst wurde Mirzoyan im Stehen angezählt und dann vom Ringrichter aus dem Kampf genommen. Sieger durch TKO in Runde 5, nach 2 Minuten 13 Sekunden: Nassar Bukenya.
Im Hauptkampf des Abend boxten Gevorg Khatchikian (30 Kämpfe, 28 Siege, 14 durch KO, 2 Niederlagen, 1 durch KO) und Volodymyr Romanenko (16 Kämpfe, 8 Siege, 7 durch KO, 8 Niederlagen, 5 durch KO) um den BeNeLux Titel im Mittelgewicht. Auch Khatchikian ging auf den KO aus, aber er boxte an. Er trieb sein Gegenüber unaufgeregt vor sich her und verteilte gut. Ende der Runde hatte er Romanenko in einer neutralen Ecke, wo er ihn mit einer brutalen Rechten zum Körper von den Beinen holte. Es sah so aus, als hätte er ihm eine oder mehrere Rippen gebrochen. In der zweiten Runde stellte Khatchikian Romanenko an den Seilen und schickte ihn wieder mit einer brutalen Rechten zum Körper zu Boden. Der Ringrichter brach den Kampf an dieser Stelle ab. Es war eine beeindruckende Demonstration der boxerischen und physischen Qualität von Khatchikian. Sieger durch TKO in Runde 2, nach 1 Minute und 6 Sekunden: Gevorg Khatchikian.
Mal wieder habe ich eine richtig gute Veranstaltung in Heerlen gesehen und ich freue mich schon auf die nächste.
© Uwe Betker
Gastbeitrag: Boxen in der Literatur – Jack London (4) „The Mexican“
Keiner aus der Junta mag den etwa 18 Jahre alten Felipe Rivera der zu Beginn dieser Kurzgeschichte [Jack London. Best Short Stories of Jack London. Garden City, N.Y.: Doubleday, 1945. 226-248] seine Dienste dieser Gruppe mexikanischer Revolutionäre anbietet. Sein Auftreten dort wird folgendermaßen beschrieben:
“There was no smile on his lips, no geniality in his eyes. Big, dashing Paulino Vera felt an inward shudder. Here was something forbidding, terrible, inscrutable. There was something venomous and snakelike in the boy´s black eyes. They burned like cold fire, as with a vast, concentrated bitterness.” [ London. Best Stories. 227]
Anfangs wird er für einen Spion des Präsidenten Diaz gehalten und beauftragt, den Fußboden zu schrubben und die Spucknäpfe zu leeren. Er fragt nur: „Is it for the revolution?“ und auf die Antwort: „It is for the revolution“ sagt er nur „It is well“ und macht sich an die Arbeit. [Anfangs wird er für einen Spion des Präsidenten Diaz gehalten und beauftragt, den Fußboden zu schrubben und die Spucknäpfe zu leeren. Er fragt nur: „Is it for the revolution?“ und auf die Antwort: „It is for the revolution“ sagt er nur „It is well“ und macht sich an die Arbeit. [London. Best Stories. 227]
Nach einer Weile bittet Rivera darum, im Büro der Junta übernachten zu dürfen. Diese Bitte wird ihm jedoch aus Mißtrauen verweigert und er fragt nie wieder danach. Die Revolutionäre sind von Geldmangel geplagt und müssen ihre letzten Habseligkeiten verkaufen. Immer wieder schafft Rivera Bargeld heran, ohne die Quelle bekanntzugeben. Langsam schwindet der Argwohn der Revolutionäre, doch sie mögen ihn dennoch nicht, denn er stahlt Eiseskälte aus und macht ihnen Angst, so daß sie es nicht wagen, ihm Fragen zu stellen.
Der erste richtige Auftrag, den River erhält ist die Wiederherstellung der Nachrichtenverbindung zwischen Los Angeles und dem Rest Kaliforniens. Diese hatte Juan Alvarado, der brutale Befehlshaber des Präsidenten, unterbrochen, indem er drei Revolutionäre erschießen und zwei weitere festnehmen ließ. Rivera stellt die Verbindung wieder her und als man wenig später von der Ermordung Alvarados erfährt ist klar, daß er seinen Auftrag mehr als erfüllt hat.
Immer häufiger bringt Rivera Geld ins Büro der Junta und immer häufiger trägt sein Gesicht Kampfspuren. Es wagt jedoch niemand nach der Herkunft des Geldes zu fragen. Die Vorbereitungen für die Revolution sind in der entscheidenden Phase, als das Scheitern droht, da der wichtigste Geldgeber von Diaz´ Männern erschossen wurde und dringen Gewehre benötigt werden. In dieser Situation fragt Rivera, ob 5000 Dollar reichen würden und als dies bejaht wird sagt er nur: „Order the guns.“ [London. Best Stories. 232]
Das dritte Kapitel dieser Kurzgeschichte spielt im Büro des Boxmanagers Kelly. Er ist auf der verzweifelten Suche nach einem neuen Gegner für seinen aufstrebenden Leichtgewichtsboxer Danny Ward weil der eigentlich vorgesehene Billy Carthey sich den Arm gebrochen hat. In dieser Situation bietet sich Rivera als Gegner an. Weil Roberts, der erfahrene Trainer des jungen Mexikaners den Manager überzeugen kann, daß sein Schützling in der Lage ist den Zuschauern einen Kampf zu bieten willigt Kelly schließlich ein. Anschließend berichtet Roberts davon wie er den jungen Rivera kennenlernte. Dieser lungerte einige Jahre zuvor völlig ausgehungert in der Nähe von Roberts´ Trainingscamp herum und da dieser verzweifelt nach einem Sparringspartner für den brutalen Boxer Prayne suchte zog er dem Jungen einfach ein Paar Handschuhe über und ließ ihn von dem Prayne prügeln, bis er bewußtlos wurde. Anschließend erhielt er einen halben Dollar und eine Mahlzeit. Wider Erwarten tauchte Rivera am folgenden Tag wieder auf und schließlich lernte er sich zu behaupten und wurde ein regelmäßiger Sparringspartner. Erst während der letzten Monate zeigte er, für Roberts überraschend, Interesse, selbst zu boxen.
Als die Börse für den kommenden Kampf ausgehandelt wird besteht Rivera zur Überraschung aller darauf, daß der Sieger alles bekommen soll. [Im Profiboxen wird üblicherweise die Börse vor dem Kampf festgelegt. Sieg oder Niederlage kann jedoch die Börse im nächsten Kampf um den Faktor zehn verändern.]
Dafür muß er Kelly allerdings zugestehen, daß das Einwiegen bereits um zehn Uhr morgens stattfindet. [Durch das früh angesetzte Wiegen kann der schwerere Boxer, in diesem Fall Kelly, das Gewicht, das er abtrainierten mußte, um im Limit zu bleiben vor dem Kampf ersetzen. Dies stellt einen immensen Vorteil dar]
Als der Kampf stattfindet sind von Beginn an alle Anwesenden, einschließlich des Ringrichters auf Kellys Seite. Selbst Riveras Sekundanten haben ihre Anweisungen von Kelly bekommen: „No layin´ down at the start. Them´s instructions. Take a beatin´ an´ earn your dough.“ [London. Best Stories. 239]
Nun wird auch Riveras Einstellung zum Boxen klar.
“He despised prize fighting. It was the hated game of the hated gringo. He had taken up with it, as a chopping block for others in the training quarters, solely because he was starving. The fact that he was marvelously made for it had meant nothing. He hated it. Not until he had come in to the Junta had he fought for money, and he had found the money easy.” [London. Best Stories. 238]
Riveras Motivation, für die Revolution zu kämpfen, im wahrsten Sinne des Wortes wird durch einen Rückblick verdeutlicht. Er wuchs in ärmsten Verhältnissen auf. Sein Vater organisierte einen Streik und wurde zusammen mit seiner Mutter und dutzenden anderer von Diaz´ Männern erschossen.
Nach einem furiosen Ansturm von Kelly gelingt Rivera bereits in der ersten Runde ein Niederschlag. Der Schiedsrichter verhindert jedoch unfairerweise einen schnellen Sieg. In der vierten und siebten Runde erzielt Kelly einen Niederschläge, doch nun beeilt sich der Schiedsrichter mit dem Zählen. In der neunten Runde geht erneut der Favorit zu Boden und in der folgenden sogar dreimal und noch einmal vier Runden später erneut. Zwischen den Runden helfen Riveras Sekundanten ihm kaum und geben ihm falsche Ratschläge.
Schließlich versucht der Manager Kellys ihn mit verlockenden Angeboten dazu zu bewegen, den Kampf absichtlich zu verlieren. Als nächstes soll Rivera wegen Fouls disqualifiziert werden, doch geschickt gelingt ihm dies zu vermeiden. In der 14. Runde wird Riveras Überlegenheit so klar, als er seinen Gegner wieder und wieder zu Boden schlägt, daß der Polizeikommandant den Ring betritt. Rivera gelingt es noch Kelly endgültig auszuknocken bevor der Polizist einschreitet. Dem Ringrichter bleibt schließlich nichts anderes übrig, als den Mexikaner zum Sieger zu erklären. Niemand gratuliert ihm, doch er hat sein Ziel erreicht. Die Revolution kann weitergehen.
Der Boxkampf der in dieser Kurzgeschichte sehr detailliert und realistisch gezeigt wird dient als Metapher für den Kampf des Mexikaner gegen die verhaßten Weißen und den Unterdrücker Diaz. Im Kampf muß der 18jährige Felipe Rivera gegen fast alle denkbaren Widrigkeiten ankämpfen. Er ist schlecht ernährt, nicht optimal trainiert, muß gegen den viel erfahreneren Weltmeisterschaftsaspiranten Kelly antreten und alle Zuschauer, ja selbst seine eigenen Betreuer sind gegen ihn. Er muß neben dem eigentlichen Kampf auch noch darauf acht geben, was außerhalb des Ringes geschieht. Nur so kann er die Pläne vereiteln, die die anderen schmieden, damit er unter allen Umständen verliert.
Der Leser soll damit auf die Seite des jungen Boxers gezogen werden, den niemand mag. Außerdem erfährt nur der Leser die grausame Details aus der Kindheit des Mexikaners, die den anderen Figuren der Geschichte vorenthalten bleiben.
London schrieb diese Geschichte offensichtlich, um die Revolution in Mexiko zu unterstützen. Einige Jahre später war er nach einer Reise dorthin jedoch völlig desillusioniert wie folgende Sätze belegen:
„He […] came to believe that it was American ingenuity that had developed Mexico industrially. About the revolutionaries, Jack said, „These `breeds´ do politics, issue pronunciamentos, raise revolutions or are revolutionized against by others of them, write bombastic unveracity that is accepted as journalism in this sad, rich land, steal payrolls of companies and eat out hazienda after hacienda as they picnic along what they are pleased to call wars for liberty, justice and the square deal.”[Kingmann, Russ. A Pictorial Life of Jack London. New York: Crown, 1979, 253]
Nach dieser Erfahrung wäre also eine Geschichte wie „The Mexican“ nicht mehr möglich gewesen.
Zusammenfassung
Bei der Betrachtung der Werke Londons darf man nicht vergessen, daß für ihn das Schreiben eher ein Beruf war, mit dem er Geld verdienen konnte als eine künstlerische Herausforderung. Bei dem ungeheuren Ausstoß, den er an Reportagen, Kurzgeschichten und Romanen hatte ist es nur verständlich, daß er über Bereiche des Lebens schrieb, in denen er sich auskannte. London war ohne Zweifel ein Boxexperte aber er scheute sich auch nicht die Idee für einen der hier besprochenen Romane einem Freund abzukaufen. Die Handlungen und Figuren der Romane und Kurzgeschichten erscheinen nicht immer ganz plausibel und manchmal sogar unglaubwürdig. Vergleicht man aber den fiktiven Helden Pat Glendon mit Gene Tunney und Muhammad Ali und den ausgehungerten Felipe Rivera mit dem Mexikaner Pipino Cuevas, der 1976 als 18jähriger Profiweltmeister im Weltergewicht wurde schwinden etwaige Zweifel an der Authentizität. Die Beschreibungen der Boxer und der Kämpfer lassen sich kaum von denen in Londons Reportagen unterscheiden. Über Jim Jeffries schrieb er vor dessen Weltmeisterschaftskampf gegen Jack Johnson im Dezember 1910: „His back muscles play in matted masses, while those of the shoulders and biceps leap into a twisted roll at the slightest uplift of the arms. And they are all the right kind of muscles. they are not hard and knotted, like those of the professional strong man and weight lifters. […] Those soft mounds and ridges and rolls are the finest grade and quality of muscle a man can possess.” [Zitiert nach: Irving Shepard (Hg.). Jack London´s Tales of Adventure. Garden City, New York: Hanover House, 1956. 135]
Pat Glendon in The Game wird von seinem Vater folgendermaßen beschrieben:
“`See the softness of him´, old Pat chanted. `Tis the true stuff. Look at the slope of the shoulders, an´the lungs of him. Clean, all clean, to the last drop an´ ounce of him. You´re looking at a man, Sam, the like of which was never seen before. Not a muscle of him bound. No weight-lifter or Sandow exercise artist there. See the fat snakes of muscles a-crawlin´ soft an´ lazy-like.” [London. Abysmal Brute. 79]
Die hier betrachteten Werke Londons ähneln aber nicht nur seinen Reportagen in Stil und Sprache, sie haben auch untereinander zahlreiche Elemente gemeinsam. Alle Helden wollen – allerdings aus unterschiedlichen Gründen – mit dem Boxen aufhören. Alle sind außergewöhnlich talentierte Boxer auch wenn Joe Fleming trotzdem im Ring umkommt und Tom King seine besten Tage hinter sich hat.
In einigen Punkten unterscheidet sich „The Mexican“ von den anderen Werken. Felipe Rivera ist kein gutmütiger, moralisch integerer Mann sondern ein haßerfüllter Mörder. Er hat, im Gegensatz zu den anderen drei Boxern bei London keine Lebensgefährtin. Während Fleming, Glendon und King jedoch mehr oder weniger aus dem Nichts auftauchen erfährt man von den prägenden Einflüssen aus dessen Kindheit.
„The Mexican“ ist eher ein „propagandistic revolutionary tract“ [Oriard. Heroes. 19] In den drei anderen Werken wurden die „essential conflicts in American sport between country and city, youth and age, and masculinity and feminity“ [Oriard. Jack London. 3] thematisiert. Für Michael Oriard ist die Hauptaussage dieser drei Texte dagegen eine andere: „Londons boxing stories proclaim the preeminence of either fate („A Piece of Steak“), chance (The Game), or will (The Abysmal Brute).” [Oriard. Sporting, 241] Dieser Standpunkt ist auch nicht von der hand zu weisen und verdeutlicht zudem den Kontrast zu „The Mexican“.
Man kann Londons Arbeiten vorwerfen, daß viele der Charaktere stereotypisch sind. Man muß jedoch bedenken, daß man dies in der Zeit der ersten Erscheinung wohl nicht so empfand, denn der professionelle Sport fand erst in den 20er Jahren breite Akzeptanz in den USA und erst dann gab es eine größere Menge an Sportliteratur. Folglich waren griff London die Stereotypen die er verwendete, wie den natural oder den alternden Profi nicht auf, wie viele Autoren nach ihm sondern er entwickelte sie neu. Michael Oriard sagt über Londons Boxgeschichten: “His stories have an archetypical quality that appears stereotypical in retrospect, for they have been retold numberless times by countless authirs.“ Oriard. Heroes. 134]
Zuletzt soll noch einmal darauf hingewiesen werden, daß London sehr viel schrieb und dies vor allem, um Geld zu verdienen, also um seine Bücher zu verkaufen. Deshalb tritt neben den künstlerischen manchmal fast gleichberechtigt der Unterhaltungsaspekt. Die Darstellung der Boxkämpfe war mitunter also reiner Selbstzweck und diente nicht unbedingt dazu, eine bestimmte künstlerische Aussage zu unterstreichen. Dies soll jedoch die Bedeutung der hier vorgestellten Werke insbesondere als Wegbereiter für die Boxliteratur des 20. Jahrhunderts keinesfalls schmälern. Andrew Sinclairs Aussage zum unterschätzten Stellenwert Londons in der Literatur trifft den Punkt:
„Those who followed his self-dramatizing style of existence and his short, jerky, bald method of writing, such as Ernest Hemingway, forgot to acknowledge the inventor of the mode, which had more to do with Jack London´s Alaska than the Paris of Gertrude Stein. Jack also got little thanks from Dos Passos or Steinbeck or Kerouac for pioneering the hobo novel in The Road. Norman Mailer has not praised the American writer who, straight from the shoulder, made prizefighting the subject of his best journalism and professional fiction.” [Andrew Sinclair. Jack: A Biography of Jack London. London: Weidenfeld & Nicolson, 1978. 248]
(C) Martin Scheja
Die ultimativ subjektive Liste 2017
Boxer des Jahres
Wladimir Klitschko (69 Kämpfe, 64 Siege, 53 durch KO, 5 Niederlagen, 4 durch KO) stieg am 29.04.2017 im Wembley Stadion in London zum letzten Mal in den Ring. Er verlor gegen Anthony Joshua. Es hätte vermutlich keiner vorher ernsthaft erwartet, dass Klitschko im Herbst seiner Karriere noch einmal zu einer solchen Leistung fähig wäre.
Boxer des Jahres (ehrenhalber)
Alexander Mengis und Eduard Gutknecht zahlen einen hohen Preis für ihre Liebe zum Boxen.
Boxerin des Jahres
2017 sah ich in Deutschland keine Boxerin, die diesen Titel verdient hätte.
KO des Jahres
Im Viertelfinale der World Boxing Super Series, im Turnier im Cruisergewicht, knockte der Kubaner Yunier Dorticos (22 Kämpfe, 22 Siege, 21 durch KO) den Russen Dmitry Kudryashov (23 Kämpfe, 21 Siege, 21 durch KO, 2 Niederlagen, 2 durch KO) in der zweiten Runde durch eine perfekte Rechte zur Schläfe aus.
Schlechteste Veranstaltung des Jahres
Alle Veranstaltungen von großen Promotern, die das Geld nicht wert waren, das die Fernsehsender und die Zuschauer an den Kassen bezahlt haben und bei denen Boxer um den Sieg betrogen wurden.
Rookie des Jahres
Sherif Morina (6 Kämpfe, 6 Siege, 4 durch KO) ist seit eineinhalb Jahren Profi. Er boxt im Weltergewicht und boxt mit hohem Risiko, sowohl was seinen Kampfstil als auch was die Auswahl seiner Gegner anbelangt.
Überschätzter Boxer des Jahres
Christian Hammer (27 Kämpfe, 22 Siege, 12 durch KO, 5 Niederlagen, 2 durch KO) alias Cristian Ciocan boxte am 15. Dezember 2017 um den WBO International Titel im Schwergewicht gegen Alexander Povetkin (34 Kämpfe, 33 Siege, 23 durch KO, 1 Niederlage). Auf meinem Punktzettel gewann er keine Runde.
Überschätzte Boxerin des Jahres
Es gibt sie, aber ich will sie hier nicht mit einer Nennung ehren.
Punktrichter des Jahres
Urs Schneider (BDB), ein Punktrichter der in seiner ganzen Karriere noch kein einziges Fehlurteil gefällt hat: Hinzu kommt ein vorbildlicher Auftritt als Supervisor.
Ringrichter des Jahres
Jens-Uwe Baum (GBA) agiert unauffällig und unaufgeregt, auch wenn es im Ring hektisch wird.
Absteiger des Jahres (männlich)
Der am 22.12.2014 verstorbene Erfolgstrainer Fritz Sdunek war so etwas wie der Säulenheilige des deutschen Boxens. Eine Reportage im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zeigte, dass er wohl doch so heilig nicht war.
Absteiger des Jahres (weiblich)
Gab es sie?
Aussteiger des Jahres
Der Wuppertaler Schwergewichtler und Kultboxer Werner Kreiskott (46 Kämpfe, 25 Siege, 17 durch KO, 19 Niederlagen, 8 durch KO, 2 Unentschieden) machte im Oktober seinen letzten Kampf. Er war ein Boxer, der seine Kämpfe gewann, der aber auch verlor und beides machte er mit Würde. Viele werden ihn im Ring vermissen. Alle aber sind, wie ich, froh, dass er den richtigen Zeitpunkt für seinen Rücktritt gewählt hat.
Veranstalter des Jahres
Die 15-jährige Ranee Schröder dürfte wahrscheinlich immer noch die jüngste Promoterin der Welt sein. Sie war Veranstalterin des WBF WM-Kampfes im Cruisergewicht zwischen Serdar Sahin und Javier Sanabria auf der Messe „Mode, Heim und Handwerk“ am 18. November 2017 in der Messe Essen.
Veranstaltung des Jahres
Die GBA ging am 18. November 2017 neue Wege, um Werbung für das Profiboxen in Deutschland zu machen: Sie veranstaltete selber eine Profiboxveranstaltung, und zwar in der Messehalle Halle 7 der Messe Essen. Auf der Messe „Mode, Heim und Handwerk“, einer Verbrauchermesse, gab es Profiboxen zu sehen und die Zuschauer waren die Messebesucher, die vorbei kamen.
Boxevent des Jahres
Da findet eine Schwergewichtsweltmeisterschaft in Deutschland statt und die Halle ist nicht ausverkauft. Da wird jemand, der seit ewiger Zeit in Deutschland lebt, Weltmeister im Schwergewicht und ein Teil der Presse fragt nach seinem Pass. In der Arena Oberhausen fand am 15.11.2017 eines der seltsamsten Boxevents aller Zeiten statt: Manuel Charr vs. Alexander Ustinov.
Fehlentscheidung des Jahres
Am 04. März 2017 gab Araik Marutjan sein Profidebüt gegen Serhii Ksendzov. Sauerlands neuer Mittelgewichtler Marutjan dominierte den Kampf. Dann erlitt er einen Achillessehnen-Abriss und konnte nicht weiter boxen. Im Ring wurde offenbar ein “No Contest“ verkündet. Später wandelte der BDB das Urteil in einen Sieg für Marutjan um.
Trainer des Jahres
Habe ich nicht gesehen.
Entgleisung des Jahres
Malte Müller-Michaelis und Gerhard Pfeil schrieben in „Der Spiegel“: „Die Promoter witterten das schnelle Geld. Statt Talente ordentlich auszubilden, schickten sie unfertige Athleten ins Feuer. Durchschnittsboxer wie Sven Ottke oder Markus Beyer wurden zu Weltmeistern hochgejazzt.“
Boxkampf des Jahres (männlich)
Im Wembley Stadion in London versuchte Wladimir Klitschko (69 Kämpfe, 64 Siege, 53 durch KO, 5 Niederlagen, 4 durch KO) am 29.04.2017 gegen Anthony Joshua noch mal Weltmeister im Schwergewicht zu werden. Vorher hatte kaum jemand geglaubt, dass der einundvierzigjährige Herausforderer Klitschko zu einer solchen Leistung, wie er sie dann zeigte, nochmal fähig sein würde. Womöglich hätte er den Kampf sogar gewinnen können, hätte er in den Kunstpausen von Joshua nur konsequent angegriffen. Seine Ecke aber, allen voran sein Bruder Vitali, verhinderten dies.
Boxkampf des Jahres (weiblich)
Özlem Sahin (25 Kämpfe, 23 Siege, 7 durch KO, 1 Niederlage, 1 Unentschieden) besiegte am 05.08.2017 in Essen auf sehr beeindruckende Weise Sandy Coget (16 Kämpfe, 8 Siege, 7 Niederlagen, 1 Unentschieden). Durch einen technisch sehr gut und hart geführten Kampf verteidigte Sahin ihren UBO Weltmeister- und ihren WBF Interconti-Titel.
Comeback des Jahres (männlich)
Habe ich übersehen.
Comeback des Jahres (weiblich)
Habe ich übersehen.
Bester Show Act des Jahres
Der Ringsprecher Dave Kaufmann sang bei der Freiluftveranstaltung in Gelsenkirchen am 08. Juli 2017 „New York, New York“ – großartig.
Ringsprecher des Jahres
Thomas Bielefeld ist die Stimme des Profiboxens in Deutschland.
Boxer, der einen WM-Kampf verdient (männlich)
Der Leichtgewichtler Gabor Veto (31 Kämpfe, 31 Siege, 23 durch KO) hat 2017 nicht geboxt. Dennoch verdient er einen WM Kampf. Er sitzt in einer Falle: Er lebt in der Schweiz, ist Ungar und ist zu stark, um ohne Not eine Chance auf einen Titelkampf zu bekommem.
Boxer, der einen WM-Kampf verdient (weiblich)
Die Leichtgewichtlerin Beke Bas (10 Kämpfe, 10 Siege, 5 durch KO) dürfte reif für eine WM sein. Sie eine Kriegerin, die nach vorne geht und den Sieg erkämpfen will.
Boxer, der zu Unrecht übersehen wird (männlich)
Der in Kanada lebende Kolumbianer Oscar Rivas (22 Kämpfe, 22 Siege, 16 durch KO) wird nie genannt, wenn es um einen WM Kampf geht. Der 22-jährige ist einer denen, die im Schwergewicht ganz weit oben mitmischen könnten.
Boxer, der zu Unrecht übersehen wird (weiblich)
Verena Kaiser (10 Kämpfe, 10 Siege, 5 durch KO) ist Weltmeisterin der WIBF und GBU im Weltergewicht.
Boxkampf, den wir 2018 nicht sehen wollen (männlich)
Irgendwelche Come-Back-Kämpfe von Boxern, die durch sind und nur noch einmal Kasse machen wollen, obwohl sie schon genug Geld verdient haben.
Boxkampf, den wir 2018 nicht sehen wollen (weiblich)
Alle schlechten.
Boxkampf, den wir 2018 sehen wollen (männlich)
Einen Kampf von Agit Kabayel (17 Kämpfe, 17 Siege, 12 durch KO) gegen einen Top-Ten Mann im Schwergewicht.
Boxkampf, den wir 2018 sehen wollen (weiblich)
Ein Aufeinandertreffer der beiden deutschen Minimumgewichtlerinnen Tina Rupprecht (7 Kämpfe, 7 Siege, 3 durch KO) und Özlem Sahin (25 Kämpfe, 23 Siege, 7 durch KO, 1 Niederlage, 1 Unentschieden) wäre einer der besten Frauenboxkämpfe, die 2018 weltweit möglich wären.
© Uwe Betker
Gastbeitrag: Boxen in der Literatur – Jack London (2) „A Piece of Steak”
Der alternde australische Schwergewichtsboxer Tom King [London. Best Stories. 73-88] muß am selben Abend, an dem er kämpfen soll seine Kinder hungrig ins Bett schicken. Seine eigene Mahlzeit besteht nur aus vom letzten Geld gekauftem Brot und Mehlschwitze von geliehenem Mehl. Er hat nicht einmal mehr Tabak, um seine Pfeife zu stopfen. King ist ein erfahrener Profi, der sich außerhalb des Ringes nie auf Kämpfe eingelassen hat und in seiner erfolgreichen Zeit großzügiger war als ihm guttat. Deshalb hat er jetzt auch kein Geld , um ein Steak zu kaufen, nach dem er schon seit dem Aufstehen ein unstillbares Verlangen hat.
King ist in schlechter Verfassung. Aufgrund einer Dürre in Australien ist er schlecht ernährt und selbst seine Freunde konnten ihm deshalb kein Geld mehr leihen. Selbst die drei Dollar Vorschuß, die dem Anteil des Verlierers an der Börse des bevorstehenden Kampfes entsprechen sind schon aufgebraucht. Einst war er Champion von New South Wales und nun muß er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und ohne Trainer und Sparringspartner trainieren wobei es mit 40 Jahren ohnehin schwer ist in Form zu kommen.
Der Boxer muß die zwei Meilen zur Halle zu Fuß gehen, da er kein Fahrzeug besitzt und sich kein Taxi leisten kann. Auf dem Weg sinnt er darüber nach, wie er in der Jugend ein schönes Leben führte und viele Siege errang. Ihm wird aber auch klar, daß die Gegner damals alternde Boxer waren, wie er jetzt einer ist. Besonders erinnert er sich daran, daß einer dieser Männer nach der Niederlage in seiner Kabine weinte und ihm wird bewußt, daß auch dieser Mann vielleicht hungrige Kinder zuhause hatte oder das Verlangen nach einem Steak.
Tom King soll als Prüfstein für den aufstrebenden jungen Neuseeländer Sandel dienen. Dieser beginnt den Kampf mit hohem Tempo während King mit seinen Kräften haushaltet. Der ältere Boxer hat mehr als 20 Jahre Ringerfahrung und kennt alle Tricks und indem er einem Schlag nicht ausweicht sondern ihn oben auf den Kopf treffen läßt bricht sich der Gegner einen Fingerknöchel. In der dritten und der neunten Runde gelingt es King fast, den Jüngeren mit überraschenden Schlägen auszuknocken doch der sehr gut trainierte Sandel erholt sich immer wieder. Von der zehnten Runde an wird King offensiver und sieht wie der sichere Abbruchsieger aus, als der Gong die Runde beendet. Im folgenden Durchgang setzt King alles auf eine Karte und setzt die gesamte Kraft ein, die er bis dahin aufgespart hatte. Erneut gelingt es Sandel nach einem Niederschlag kaum, rechtzeitig auf die Beine zu kommen. King weiß, daß er nur noch einen richtigen Treffer landen muß, um den Kampf zu entscheiden, doch die Kräfte verlassen ihn.
„King did not attempt to free himself. He had shot his bolt. He was gone. And youth had been served. Even in the clinch he could feel Sandel growing stronger against him. When the referee thrust them apart, there, before his eyes, he saw youth recuperate. From instant to instant Sandel grew stronger. his punches, weak and futile at first, became stiff and accurate. Tom King´s bleared eyes saw the gloved fist driving at his jaw, and he willed to guard it by interposing his arm. He saw the danger, willed to act; but the arm was too heavy.” [London. Best Stories. 87]
King geht K.O. und weiß anschließend, daß ihm im entscheidende Moment nur die Kraft, die ihm ein Stück Steak gegeben hätte zum Sieg gefehlt hat. Ihm ist klar, daß er wegen seiner zerschlagenen Hände wenigstens eine Woche nicht arbeiten kann. Von Hunger gequält macht er sich zu Fuß auf den Weg nach Hause, wo seine Frau auf ihn wartet und er bricht in Tränen aus, wie einst sein Gegner Stowsher Bill.
Diese insbesondere in der Beschreibung des Boxkampfes sehr realistische Kurzgeschichte befaßt sich mit einem grundsätzlichen Dilemma des Profiboxens. die wenigen, die überhaupt gut dabei verdienen versäumen es ihr Geld sinnvoll anzulegen und sind später gezwungen ihre Gesundheit als trial horse, also als Prüfstein für junge aufstrebende Boxer auf Spiel zu setzen.
Neben diesem tragischen Aspekt des Boxgeschäftes steht der Kampf zwischen dem alternden King und dem jungen Sandel ganz allgemein für den in den USA herrschenden Konflikt zwischen Alt und Jung im Sport, wie Michael Oriard feststellt.
“[…] Jack London in „A Piece of Steak“ (1909) created the prototype for the sports story of youth and age. London demonstrates in his brief story his recognition that this polar conflict is particularly highlighted in the sports world. Athletic careers are inescapably short – retirement is a premature „death“ that physical decline necessitates while the athlete is still a young man. In sport, as in no other American activity, the ritual replacement of the old king by the new […] occurs with crushing regularity”. [vgl. Oriard, Michael: Dreaming of Heroes: American Sports Fiction, 1868-1980, Chicago: Nelson-Hall, 1982, 5]
Die Aussage Hans Lobmeyers, London übe in dieser Kurzgeschichte Sozialkritik erscheint dagegen als haltlos. [Lobmeyer. 121] Die Gesellschaft hätte den sozialen Abstieg des Boxers nur durch einen massiven Eingriff in dessen Recht auf Selbstbestimmung davor bewahren können und er selbst scheint dies zu wissen.
“He found himself wishing that he had learned a trade. It would have been better in the long run. But no one had told him, and he knew, deep down in his heart, that he would not have listened if they had. It had been so easy. Big money – sharp, glorious fights – periods of rest and loafing inbetween […].”London. Best Stories.77 ]
Das titelgebende Stück Fleisch ist für den Athleten nicht nur als Nahrung von Bedeutung. Der Boxer selbst ist davon überzeugt, daß er gesiegt hätte, wenn er es bekommen hätte. Das Steak steht aber sicherlich auch als Symbol für das Männlichkeit und den Stolz Kings. [Bert Brecht behandelte in der Kurzgeschichte „Der Kinnhaken“ ein ähnliches Thema. Dem Boxer Freddy wird von seinem Trainer vor dem Kampf ein Bier versagt und er hat nicht den Schneid zu widersprechen, bekommt eine „schlechte Meinung von sich“ und verliert den Kampf. Vergleiche: Bert Brecht. Der Kinnhaken und andere Box- und Sportgeschichten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1995. 7-11] Früher fütterte er seinem Hund Steaks und heute bekommt er von seinem Metzger nicht einmal mehr soviel Kredit um vor dem Kampf selbst eines zu sich nehmen zu können. Dieses piece of steak steht also auch für den Verlust des Selbstwertgefühles des einstigen Champions, der am Ende der Geschichte weint.
(C) Martin Scheja
Gastbeitrag: Boxen in der Literatur – Jack London (1) „The Game“
Biographischer Hintergrund
Jack London wurde am 12. Januar 1876 als uneheliches Kind geboren. Sein leiblicher Vater war vermutlich der Astrologe William Chaney, doch seine Mutter heiratete noch im selben Jahr John London, der den Jungen adoptierte. Sein zartes Äußeres war der Grund dafür, daß er in der Schule das Ziel von Attacken Älterer wurde. Allerdings verstand er es offensichtlich schon früh, sich seiner Haut zu wehren. Er schloß 1891 die Grammar School in Oakland ab und arbeitete anschließend in einer Fabrik. Mit 300 von seiner Amme geliehenen Dollars kaufte er das Boot Razzle-Dazzle und plündert damit Austernbänke. Anschließend wechselte er die Seiten und wurde Mitglied der California Fish Patrol. Mit 17 unternahm er eine siebenmonatige Reise auf dem Segelschoner Sophia Sunderland. Als bartloser junger Bursche mußte er sich gegen die rauhen Seeleute durchsetzen. Einem Schweden, der ihn schikanierte versetzte er zuerst einen Fausthieb und drückte ihm anschließend so lange die Kehle zu, bis er versprach ihn zufrieden zu lassen. [vgl. Russ Kingmann. A Pictorial Life of Jack London. New York: Crown, 1979. 44-45]
Zurück an Land gewann London bei einem Wettbewerb einer Zeitung aus San Francisco einen Preis für den besten beschreibenden Artikel. 1894 arbeitete er zunächst in einem Kraftwerk und begab sich dann auf Wanderschaft. Im folgenden Jahr nahm er seine Ausbildung wieder auf und ging auf die Oakland High School wo er auch Artikel für die Schülerzeitung verfaßte. Noch vor der Jahrhundertwende wurde er Mitglied in der Socialist Labor Party, studierte ein Semester an der Universität und nahm am Goldrausch in Klondike teil.
Er entschloß sich danach, Schriftsteller zu werden und veröffentlicht 1899 seine ersten Geschichten. Als Autor war er extrem produktiv, vielseitig und kommerziell erfolgreich:
„Virtually everything he wrote, he sold – and he wrote 1,000 words each day for 17 years. During the years from 1900 until his death in 1916, he produced more than 50 books with an astonishing range of subjects: agronomy, architecture, astral projection, boating, ecology, gold-hunting, hoboing, loving, penal reform, prizefighting, Socialism, warfare.“ [Earle Labor und Jeanne Campbell Reesman. Jack London. Überarb. Aufl. New York: Twayne, 1994. XIII]
Im November 1901 verfaßte er seine erste größere Boxreportage über den Kampf zwischen James Jeffries und Bob Fitzsimmons um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht. Er besuchte Boxkämpfe wann immer es ihm möglich war und verfaßte unzählige Zeitungsberichte.
1902 lebte er sechs Wochen im Londoner East End und verarbeitet die dort gewonnenen Eindrücke später in dem Roman The People of the Abyss.
1904 berichtete er vom Russisch-Japanischen Krieg. Im folgenden Jahr hielt London an verschiedenen Universitäten Vorträge und veröffentlichte den Roman The Game, der sich mit dem Boxen beschäftigt. Er gab den Bau eines Segelbootes, der Snark in Auftrag, mit der er ab 1907 ausgedehnte Seereisen unternahm. Auf diesem Boot führte er, wie zuhause Sparringsrunden mit seiner Frau Charmaine durch, die vor allem seine Verteidigung verbesserten, denn er konnte natürlich nicht hart zuschlagen, wenn er mit ihr trainierte. [vgi. pic. 224f] Auf einer seiner Reisen infizierte sich London mit verschiedenen Tropenkrankheiten und mußte in Sydney im Krankenhaus stationär behandelt werden.
1908 berichtete der Schriftsteller vom Kampf zwischen dem weißen Titelverteidiger Thomas Burns und dem schwarzen Jack Johnson. Nach der Niederlage Burns´ war er derjenige, der in Amerika die hysterische Suche nach der great white hope auslöste.
Australia took the defeat far more seriously than did America. Both white and black America seemed rather unmoved by the event until novelist Jack London sounded the call for Jim Jeffries to come back and „remove the golden smile from Jack Johnsons face.“ [Jeffrey T. Sammons. Beyond The Ring: The Role of Boxing in American Society. Urbana und Chicago: U of Illinois P, 1988. 37]
Ab 1910 widmete sich London dem Aufbau einer Musterranch.
Im Juni hatte er eine Schlägerei mit einem Kneipenwirt. Eine Anklage wegen Körperverletzung wurde aber später niedergeschlagen. Einige Wochen später berichtete London für die Zeitung The New York Herald vom Weltmeisterschaftskampf im Schwergewicht zwischen Jim Jeffries und dem Schwarzen Jack Johnson. Ein Zeitungsartikel aus dem folgenden Jahr gibt Londons Einstellung zum Boxen wieder:
„I would rather be heavyweight champion of the world – which I never can be – than King of England, or President of the United States, or Kaiser of Germany.
Of all the games it is the only one I really like.“ [Zitiert nach: Pic. 226]
Der zweite Boxroman The Abysmal Brute wurde zunächst im Popular Magazine und zwei Jahre später, 1913 als Buch veröffentlicht und wurde von den Lesern sehr positiv aufgenommen. [vgl. Pic 244]
London durchquerte das nördliche Kalifornien und Oregon mit einer Pferdekutsche und umsegelte 1912 Kap Horn. In seinen letzten Lebensjahren berichtete London von der Mexikanischen Revolution und trat aufgrund der dort gewonnenen Erfahrungen aus der Socialist Labor Party aus. Er bekam danach immer stärkere gesundheitliche Probleme. Am 22. November 1916 stirbt Jack London mit nur 40 Jahren vermutlich an den Folgen einer Nierenerkrankung.
The Game
Der Roman [Jack London. The Game. 1905. Oakland: Star Rover House, 1982. Diese Ausgabe ist zu empfehlen, da sie die Illustrationen der Originalausgabe enthält.] beginnt damit, daß der Held, Joe Fleming und seine Verlobte Genevieve Pritchard Teppiche für ihre zukünftige Wohnung aussuchen. Joe ist Berufsboxer [Nur ein geringer Teil der Berufsboxer war und ist hauptberuflich „Profi“. Der Berufsboxsport unterscheidet sich vom Amateursport im wesentlichen durch längere Kampfdauer und offizielle (!) Bezahlung.], hat jedoch seinen eigentlichen Beruf als Segelmacher nie aufgegeben. Seinen Siegprämien lieferte er stets zuhause ab und bezahlte das Haus seiner Mutter. Er will noch einen letzten Kampf machen, um der jungen Familie ein Startkapital zu geben und dann dem Ring für immer fern bleiben.
Die Liebesgeschichte, die im Mittelpunkt des zweiten Kapitels des Romans steht ist von der absoluten Unschuld Joes und Genevieves gekennzeichnet.
„Their love was all fire and dew. The physical scarcely entered into it, for such seemed profanation. The ultimate physical facts of their relation were something which they never considered.“ [London. The Game. 67]
Dennoch ist ihre Unschuld vom irrationalen Verlangen Joes getrübt seiner Verlobten wehzutun.
„Once, on parting, he threw his arms around her and swiftly drew her against him. Her gasping cry of surprise and pain brought him to his senses and left him there very much embarrassed and still trembling with a vague and nameless delight. And she, too, was trembling. In the hurt itself, which was the essence of the vigorous embrace, she had found delight; and again she knew sin, though she knew not ist nature nor why it should be sin.“ [London. The Game. 70]
Im vierten Kapitel begleitet Genevieve ihren zukünftigen Ehemann zu seinem letzten Kampf. Sie muß sich als Mann verkleiden, um eingelassen zu werden, da Frauen als Zuschauer nicht zugelassen sind. Joe läßt sie in einen der Umkleideräume bringen, von wo aus sie den Ring überblicken kann. Der Anblick des gutaussehenden, grazilem und wohlproportionierte Joes, den sie zum ersten Mal halbnackt sieht weckt in Genevieve sündige Gefühle. Der Kämpfer tritt gegen John Ponto an, der etwa fünf Kilogramm schwerer ist und dessen Körper eher an den eines Gorillas erinnert. Die Zuschauer stehen geschlossen hinter dem Favoriten Joe.
Im nächsten Kapitel wird der Kampf Runde für Runde aus der Sicht Genevieves detailliert beschrieben. Vier Runden lang greift Ponto stürmisch an aber in der fünften gelingt es Joe, die Oberhand zu gewinnen, nur um von einem Foulschlag des ersteren niedergeschlagen zu werden. Es gelingt Joe jedoch, sich zu erholen. Von der neunten Runde an geht der junge Held erneut in die Offensive, erzielt zahlreiche Niederschläge und sieht aus wie der sichere Sieger. In diesem Augenblick verliert Joe auf dem nassen Ringboden das Gleichgewicht und der völlig erschöpfte Ponta nutz diese Gelegenheit, sammelt seine letzten Kräfte und knockt Joe aus. Zunächst ist Genevieve unbesorgt, erst als nach einem Arzt gerufen wird und ihr Verlobter nicht zu sich kommt beunruhigt sie sich. Sie begleitet den Bewußtlosen, selbst wie in Trance, ins Krankenhaus, wo man nichts mehr für ihn tun kann, da sein gesamter Hinterkopf vom Aufprall auf den Ringboden zerschmettert wurde. So stirbt ihr zukünftiger Mann am Tag ihrer geplanten Hochzeit.
Dieser Roman ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. London war mit diesem Werk der erste, der „den Boxsport in Amerika zum Thema anspruchsvoller Literatur“ machte und The Game ist eine „der ersten ausführlichen Auseinandersetzungen eines bekannten amerikanischen Autors mit dem Sport überhaupt“. [Hans Lobmeyer. Die Darstellung des Sports in der amerikanischen Erzählliteratur des 20. Jahrhunderts. Diss. Uni Regensburg, 1982. 119] Außerdem liegt hier der kuriose Fall vor, daß nicht nur das Boxen die Literatur beeinflußte sondern anders herum. Gene Tunney, der Weltmeister im Schwergewicht von 1927 bis 1930 soll aufgrund der Lektüre diese Buches seine Karriere beendet haben und das Buch drei Jahrzehnte später an einen seiner Nachfolger, Rocky Marciano weitergegeben haben, der dann zurücktrat, bevor er eine Niederlage erlitt. [vgl. pic.225] Dies sagt einiges darüber aus wie realistisch der Roman ist. Die Frage nach der Authentizität des Buches beschäftigte die Kritiker nach dem Erscheinen für einige Zeit. Schließlich erklärte London, er habe selbst gesehen, wie das Vorbild für Joe Fleming in eben dem beschriebenen Club starb als er mit dem Kopf auf dem Ringboden aufschlug. Eine endgültige Bestätigung fand dieses Werk, als der Weltmeister im Leichtgewicht, Jimmy Brett in einem Zeitungsartikel schrieb, The Game sage so viel über das Verständnis Londons vom Boxen aus, daß er ihn in seinem bevorstehenden Kampf als Ringrichter akzeptieren würde. [pic.152]
Die unschuldige Liebesgeschichte zwischen Genevieve und Joe und dient als Kontrast zu dem brutalen Boxkampf. London führt jedoch auch das Element der Sünde ein. Das Verlangen Joes Genevieve weh zu tun und deren Lustgefühle beim Anblick des halbnackten Kämpfers dienen möglicherweise als eine Erklärung bzw. Begründung für das tragische Ende des Romans. Der Tod Joes wäre somit gleichsam eine göttliche Strafe.
Für Michael Oriard sind Genevieve und Joe typische Beispiele für sexuelle Stereotypen. [Zu den boy and girl -Stereotypen siehe auch: Oriard. Heroes. 176ff] Er ist der Meinung, daß Sport im 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle bei der Ausprägung der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau spielt. Sport ist der letzte Bereich im Leben, wo Männer typische männliche Tugenden. „speed, agility, endurance, perseverence, competitiveness, aggressiveness, quick thinking, self disciline“ beweisen können Dies hält er auch für die Ursache dafür, daß Männer Frauen beim Sport ausgrenzen und das Sport im Extremfall sogar zu einer Alternative für eine nicht immer unkomplizierte heterosexuelle Beziehung werden kann. [vgl. Michael Oriard. „Jack London: The Father of American Sports Fiction“. Jack London Newsletter 11.1 (1978): 6f] Man kann also das zentrale Thema von The Game im Konflikt zwischen Maskulinität und Femininität im Sport sehen. Folgende Sätze Genevieves am Ende des Romans in denen sie das Boxen als Konkurrenten um die Gunst des Mannes beschreibt machen diese Sichtweise plausibel:
„She was stunned by the awful facts of this game she did not understand – the grip it laid on men´s souls, its irony and faithlessness, its risks and hazzards and fierce insurgences of blood, making woman pitiful, not the be-all and end-all of man, but his toy and his pasttime; to woman his mothering and care-taking, his moods and his moments, but to the Game his days and nights of striving, the tribute of his head and hand, his most patient toil and wildest effort, all the strain and the stress of his being – to the Game, his heart´s desire.“ [London. Game. 179f]
Genevieve spielt aber auch insofern eine wichtige Rolle im Roman, als der Leser den Kampf durch ihre Augen erlebt. Dieser Kunstgriff ermöglichte er London die Aufmerksamkeit des Lesers auf jedes kleine Detail des Boxkampfes zu lenken, ohne dabei ermüdend zu wirken.
Der Gewichtsunterschied zwischen Joe Fleming und Ponta von etwa fünf Kilogramm ist für Laien zwar leicht zu übersehende aber dennoch bedeutend. Heute lägen zwischen den beiden zwei Gewichtsklassen, so daß der Kampf gar nicht zugelassen würde. Wenige Kilogramm Mehrgewicht wirken sich nämlich sowohl in der Härte der Schläge als auch in der Toleranz gegen Treffer dramatisch aus. Dieser Gewichtsunterschied macht läßt auch die Interpretation des Kampfes als Variation des biblischen Konfliktes zwischen David und Goliath, wie sie Robert Higgs macht als schlüssig erscheinen. [vgl. Robert Higgs. The Unheroic Hero: A Study of the Athlete in Twentieth-Century American Literature. Diss. U of Tennessee. Ann Arbor: University Microfilms International, 1961. 119]
(C) Martin Scheja
Boxen in der Literatur: Ernest Hemingway (6) – Ein Boxkampf von Hemingway
Ernest Hemingway war ein bekennender Boxfan. Der US-amerikanische Gigant der Weltliteratur kokettierte geradezu mit dem Boxerimage. Er praktizierte auch das Boxen. Berühmt sind Fotos von ihm in Afrika, auf denen zu sehen ist, wie er einen Sparringskampf macht. Belegt ist allerdings nur ein einziger Boxkampf und auf den kann er auch nicht gerade besonders stolz gewesen sein. Stattgefunden hat er im „American Club” in Paris im Juni 1929. Hemingways Gegner war Morley Callaghan, ein kanadischer Schriftsteller. Zuschauer und Zeitnehmer in einer Person war F. Scott Fitzgerald.
Zur Ausgangslage: F. Scott Fitzgerald war 1929 ein berühmter und sehr gut verdienender Schriftsteller. Er hatte 1925 „The Great Gatsby” veröffentlicht und pflegte einen verschwenderischen Lebensstil. Er war mit Hemingway befreundet, der auch schon seinen Durchbruch als Schriftsteller hatte. Vorher hatte Fitzgerald ihn finanziell unterstützt und ihn mit Verlegern bekannt gemacht. Die Freundschaft der beiden war aber vor allem geprägt von Alkohol und Konkurrenz.
Morley Callaghan schrieb für den Toronto Daily Star. Er verbrachte 1929 einige Monate in Paris und gehörte auch zum Kreis der modernen Literaten des Montparnasse in Paris. Das war der Kreis, zu dem auch Hemingway, Fitzgerald, Ezra Pound, Gertrude Stein und James Joyce zählten.
Hemingway und Fitzgerald aßen im Restaurant Prunier. Ihre Freundschaft neigte sich dem Ende zu. Hemingway ging Fitzgerald aus dem Weg, weil dieser ihm zu viel trank. Hemingway hatte an diesem Abend einen Hummer Thermidor und ein paar Flaschen Weißen Burgunder verzehrt.
Hemingway bildete sich immer etwas auf seine boxerischen Fähigkeiten ein. In Wirklichkeit war er aber eher ungeschickt und boxerisch auch nicht ausgebildet. Callaghan dagegen hatte bereits in Kanada jahrelang trainiert. Mit Hemingway hatte er bis dahin dreimal leichtes Sparring gemacht, bei dem sich Hemingway schon mehrfach eine blutige Lippe zugezogen hatte.
An diesem Abend nun wollte Hemingway seinem Freund einmal zeigen, was für ein guter Boxer er ist. Fitzgerald hatte ihn bis dahin nie boxen sehen. In den ersten der drei Minuten war ein normales leichtes Sparring zu sehen. In der zweiten Runde erhöhte Hemingway den Druck und veränderte den Charakter des Kampfes. Hemingway wollte einen richtigen Kampf – und den bekam er dann auch. Callaghan knockte Hemingway aus. Fitzgerald schrie: „Oh mein Gott. Ich ließ die Runde vier Minuten gehen!” Hemingway war wütend. Er sagte seinem Freund: „Wenn du mich sehen möchtest, wie die Scheiße aus mir herausgeprügelt wird, sag es einfach. Sage aber nicht, dass du einen Fehler gemacht hast.“
Nach dem Kampf war alles anders. Die Freundschaft zwischen Hemingway und Fitzgerald war zerbrochen. Morley Callaghan ging zurück nach Kanada, wo er weiter als Schriftsteller arbeitete. Er witzelte später – nicht ohne Bitterkeit -, er sei bekannter für seinen Boxkampf gegen Hemingway als für die Bücher, die er geschrieben hätte.
© Uwe Betker