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Ernest Hemingway „Paris – Ein Fest fürs Leben“ (1)

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Vor zehn Jahren erschien eine Neuübersetzung des Buches, an dem Ernest Hemingway als letztes gearbeitet hatte: „Paris – Ein Fest fürs Leben“. Das Manuskript entstand zwischen 1957 und 1960. Am 02. Juli 1961 erschoss Hemingway sich in seinem Haus in Ketchum. Es handelt sich um Erinnerungen eines damals schon weltberühmten amerikanischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers, die posthum 1964 unter dem englischen Titel “A Moveable Feast“ erschienen – also eher “Ein bewegliches Fest“. Hemingway soll diesen Ausdruck einmal auf Paris angewendet haben: „Wenn du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst.“ – Die erste deutsche Übersetzung erschien 1965.

EH 5738P Ernest Hemingway, Paris, circa 1924. Photograph in the Ernest Hemingway Photograph Collection, John Fitzgerald Kennedy Library, Boston. (wikipedia)

Hemingway beschreibt darin einen Teil seines Lebens, das er zwischen 1921 und 1926 mit seiner Frau Hadley Richardson in Paris verbrachte. Das Buch schildert warmherzig die Stadt Paris, Begegnungen mit Freunden und Bekannten, darunter auch Literaten, Reisen, und die damals schwierige finanzielle Situation des Autors.

Das Manuskript ist nicht bis zum Ende ausgearbeitet; das ermöglicht es dem Leser, Hemingway sozusagen an seinem Schreibtisch bei der Arbeit zuzusehen. Die nun in seiner „Urfassung“ vorliegende Übersetzung überrascht durch ihren ruhigen, eher beiläufigen, elegisch-bedächtigen, manchmal aber auch pathetischen Ton. Großartig wird es, wenn er die Ernsthaftigkeit der Angler an der Seine oder die Straßen, die Hinterhöfe und Parks beschreibt.

Als Hemingway an dem Manuskript arbeitete, war seine Schöpfungskraft rapide im Schwinden begriffen. Wenige Wochen vor seinem Suizid, war er aus einer Klinik entlassen worden. Man hatte seine Depressionen, seinen Verfolgungswahn und seine Aggressionsschübe, infolge einer bipolaren Störung und wohl auch seines Alkoholismus, erneut mit Elektroschocks behandelt. Ihm war bewusst, dass er “A Moveable Feast“ nicht zu Ende bekommen und keinen passenden Schluss zu Stande bringen würde. Daher bat er seinen Verleger das Werk so zu veröffentlichen. Der große Hemingway hatte den Kampf mit dem Manuskript aufgegeben.

Zu Lebzeiten hatte er sich stark stilisiert als Kämpfer, Jäger, Angler und Soldat. Das von ihm selbst geschaffene Bild seiner selbst hat sich über das der wirklichen Person gelegt. Die Bilder seiner Selbstinszenierung als furchtloser Krieger und Trophäensammler sind allgemein bekannt. Photos in immer gleichen Siegerposen tauchen ständig wieder auf: als Jäger mit erlegtem Getier jeglicher Art, als Boxer oder als Zuschauer beim Boxen oder beim Stierkampf, als Angler mit kleinen und großen Fischen und natürlich Hemingway als Soldat an verschiedenen Fronten.

“Ein Fest fürs Leben“ ist das Dokument eines Kampfes, eines schmutzigen, ja pathetischen Kampfes – und natürlich eine Selbstinszenierung. Zum einen kämpft Hemingway darum, seine Erinnerungen an seine Pariser Jahre zu Papier zu bringen. Er kämpft vor allem mit den Schuldgefühlen gegenüber seiner Frau Hadley. Er begann 1926 eine Affäre mit der gemeinsamen Freundin Pauline Pfeiffer, was zur Scheidung führte.

Der Leser wird durch die Trennung überrumpelt. Die glückliche Familie mit kleinen Jungen verbringt den Winter 1924/25 in Schruns im Vorarlberg. Es ist natürlich gefährlich und heroischen. Man fährt Ski „über Gletscher, unangeseilt“. Dann wird es kryptisch: „Die Herzen dreier Menschen wurden niedergewalzt, um das eine Glück zu zerstören und ein anderes zu gründen, und die Liebe und die gute Arbeit und alles, was sich daraus ergab, gehören nicht in dieses Buch.“

Hemingway nimmt, wie könnte es anders sein, zunächst heldenhaft die Schuld am Scheitern der Ehe auf sich. Aber hier wird er pathetisch. Dann plöztlicht erkennt er einen „Lotsenfisch“, den eigentlichen Strippenzieher und Hauptschuldigen an seiner Affäre. Der „Lotsenfisch“ ist der frühere Freund John Dos Passos, der damals mit „Manhattan Transfer“ sehr erfolgreich war. („Manhattan Transfer“ gilt noch heute als einer der großen Großstadtromane der literarischen Moderne.) Dos Passos machte ihn nämlich mit Pauline Pfeiffer bekannt.

Der Supermacho Hemingway erklärt sich in einer durch heftigen Schreibstress geprägten Situation zur Gegenwehr unfähig: „Wenn er mit seiner Arbeit fertig ist, hat der Mann zwei attraktive junge Frauen um sich. Die eine ist neu und fremd, und wenn er Pech hat, liebt er sie am Ende beide. Und die Rücksichtslose trägt den Sieg davon.“ In seinen Erinnerungen kommen Dos Passos und Pfeiffer nicht gut weg, während er selbst als geschlagener Held zurückbleibt.

Überhaupt kommen Schriftstellerkollegen meist sehr schlecht weg. Gertrude Stein, Ford Madox Ford oder F. Scott Fitzgerald werden äußerst denunzierend, tendenziös und manchmal sehr bösartig gezeichnet. Ford etwa begegnet uns als notorischer Lügner, selbst in den banalsten Alltagssituationen, Zelda Fitzgerald als geisteskranke Zerstörerin des Werks ihres Mannes und Scott Fitzgerald als neurotischer hypochondrischer Alkoholiker. Man könnte die Aufzählung noch beliebig verlängern.

Da hilft es wenig, dass in den beigefügten Fragmenten Hemingway mehrfach betont: „Die Geschichten des Buches sind erfunden.“ Aber dann schreibt er unmittelbar weiter: „Aber es besteht die Möglichkeit, dass ein Buch mit erfundenen Geschichten Licht auf das wirft, was als Tatsache geschrieben wurde.“

Ernest Hemingway scheiterte an seinem letzten Werk, allerdings scheiterte er groß. Es ist schließlich ein Hemingway und damit ist es schon besser als mindestens 95% aller übrigen Bücher, und auf jeden Fall ist es somit lesenswert. Hinzu kommt, dass sich Hemingway in ihm mit Boxen beschäftigt. Dazu später mehr.

© Uwe Betker

Boxen in der Literatur: Ernest Hemingway (6) – Ein Boxkampf von Hemingway

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Ernest Hemingway war ein bekennender Boxfan. Der US-amerikanische Gigant der Weltliteratur kokettierte geradezu mit dem Boxerimage. Er praktizierte auch das Boxen. Berühmt sind Fotos von ihm in Afrika, auf denen zu sehen ist, wie er einen Sparringskampf macht. Belegt ist allerdings nur ein einziger Boxkampf und auf den kann er auch nicht gerade besonders stolz gewesen sein. Stattgefunden hat er im „American Club” in Paris im Juni 1929. Hemingways Gegner war Morley Callaghan, ein kanadischer Schriftsteller. Zuschauer und Zeitnehmer in einer Person war F. Scott Fitzgerald.
Zur Ausgangslage: F. Scott Fitzgerald war 1929 ein berühmter und sehr gut verdienender Schriftsteller. Er hatte 1925 „The Great Gatsby” veröffentlicht und pflegte einen verschwenderischen Lebensstil. Er war mit Hemingway befreundet, der auch schon seinen Durchbruch als Schriftsteller hatte. Vorher hatte Fitzgerald ihn finanziell unterstützt und ihn mit Verlegern bekannt gemacht. Die Freundschaft der beiden war aber vor allem geprägt von Alkohol und Konkurrenz.
Morley Callaghan schrieb für den Toronto Daily Star. Er verbrachte 1929 einige Monate in Paris und gehörte auch zum Kreis der modernen Literaten des Montparnasse in Paris. Das war der Kreis, zu dem auch Hemingway, Fitzgerald, Ezra Pound, Gertrude Stein und James Joyce zählten.
Hemingway und Fitzgerald aßen im Restaurant Prunier. Ihre Freundschaft neigte sich dem Ende zu. Hemingway ging Fitzgerald aus dem Weg, weil dieser ihm zu viel trank. Hemingway hatte an diesem Abend einen Hummer Thermidor und ein paar Flaschen Weißen Burgunder verzehrt.
Hemingway bildete sich immer etwas auf seine boxerischen Fähigkeiten ein. In Wirklichkeit war er aber eher ungeschickt und boxerisch auch nicht ausgebildet. Callaghan dagegen hatte bereits in Kanada jahrelang trainiert. Mit Hemingway hatte er bis dahin dreimal leichtes Sparring gemacht, bei dem sich Hemingway schon mehrfach eine blutige Lippe zugezogen hatte.
An diesem Abend nun wollte Hemingway seinem Freund einmal zeigen, was für ein guter Boxer er ist. Fitzgerald hatte ihn bis dahin nie boxen sehen. In den ersten der drei Minuten war ein normales leichtes Sparring zu sehen. In der zweiten Runde erhöhte Hemingway den Druck und veränderte den Charakter des Kampfes. Hemingway wollte einen richtigen Kampf – und den bekam er dann auch. Callaghan knockte Hemingway aus. Fitzgerald schrie: „Oh mein Gott. Ich ließ die Runde vier Minuten gehen!” Hemingway war wütend. Er sagte seinem Freund: „Wenn du mich sehen möchtest, wie die Scheiße aus mir herausgeprügelt wird, sag es einfach. Sage aber nicht, dass du einen Fehler gemacht hast.“
Nach dem Kampf war alles anders. Die Freundschaft zwischen Hemingway und Fitzgerald war zerbrochen. Morley Callaghan ging zurück nach Kanada, wo er weiter als Schriftsteller arbeitete. Er witzelte später – nicht ohne Bitterkeit -, er sei bekannter für seinen Boxkampf gegen Hemingway als für die Bücher, die er geschrieben hätte.
© Uwe Betker

Boxen in der Literatur: Ernest Hemingway (5) – „A Matter of Colour“

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Ernest Hemingway beschäftigte sich schon sehr früh literarisch mit dem Thema Boxen. Schon eine seiner ersten literarischen Veröffentlichungen drehte sich ums Boxen. Die sehr kurze Short Story: „A Matter of Colour“ erschien in der Aprilausgabe des Literaturmagazins „Tabula” der Oak Park High School – Hemingway war damals sechzehn und besuchte die elfte Klasse.
In dieser Geschichte erzählt der „alte“ Boxtrainer und Manager Bob Armstrong einer namentlich nicht genannten Person, wie „Big Swede“ (Großer Schwede) 1902 einen Boxkampf manipulieren wollte. Im Mittelpunkt steht der große Joe Gans. Mehr sei hier nicht verraten, denn, wenn man das Ende der Geschichte kennt, ist ein großer Teil ihres Reizes weg.
Ein „Big Swede“ taucht bei Hemingway noch einmal in „The Killers“ als Opfer auf. Mit Joe Gans ist dem jungen Autor allerdings ein Recherchefehler unterlaufen. Gans konnte 1902 kein unbekannter und aufstrebender Boxer mehr sein; er war da bereits zwei Jahre amtierender Weltmeister im Leichgewicht.
Die Kurzgeschichte „A Matter of Colour“ ist noch kein richtiger Hemingway, aber sie schon mehr als nur die Arbeit eines Schülers. Man kann hier einen Hemingway in der Entwickelung sehen. Der sechzehnjährige Hemingway hat tatsächlich schon viel von seiner sprachlichen Präzision erreicht, ist aber noch nicht fertig in seiner Entwicklung. Er erzählt seine Geschichte noch konventionell stringent auf einen Höhepunkt hin.
© Uwe Betker

Boxen in der Literatur: Ernest Hemingway (4) – „Der Kämpfer“

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Die Kurzgeschichte „The Battler“ („Der Kämpfer“) ist, wenn ich richtig gezählt habe, eine von vier Short Stories von Ernest Hemingway, die sich mit Boxen oder Boxern beschäftigt. Zum ersten Mal wurde sie 1925 in „In Our Time“ („In unserer Zeit“) veröffentlicht. Sie ist die fünfte Geschichte, in der Nick Adams, das autobiographische Alter Ego von Hemingway, der Protagonist ist. Nick Adams ist jene fiktive Figur mit autobiographischen Zügen, mit der sich Hemingway jahrzehntelang beschäftigte.
„Der Kämpfer“ beginnt damit, dass Nick Adams von einem Bremser, irgendwo zwischen Kalkaska und Mancelona in Michigan, USA, von einem Güterzug geschmissen wird. Er macht sich entlang den Schienen auf den Weg in die nächste Ortschaft. Da sieht er ein Feuer in der Dunkelheit. Der Mann am Feuer begrüßt ihn und fragt ihn, woher er die Beule im Gesicht hat. Nick erzählt, er sei von einem Zug geworfen worden. Der Mann empfiehlt ihm, das nächste Mal wenn der Zug vorbei kommt, mit einem Stein auf den Bremser zu zielen. Adams erwidert, er werde ihn schon bekommen. Der Mann:
«Du bist´n ganz Harter, was?»
«Nein», sagte Nick.
«Seid ihr Jungs ja alle.»
«Muß man schon», sagte Nick.
«Genau, was ich gesagt habe. »
Erst jetzt sieht er, dass das Gesicht des Mannes deformiert ist und dass ihm ein Ohr fehlt. Der Mann, Adolph Francis, ist ein ehemaliger Boxchampion, der stolz darauf ist, dass sich alle seine Gegner ihre Hände an ihm zerschlagen haben. Er sagt aber auch, er sei verrückt.
Wenig später erscheint Bugs, ein Farbiger. Er hat Essen mitgebracht. Während Bugs das Essen zubereitet, möchte Francis sich das Messer, mit dem Nick gerade das Brot geschnitten hat, von ihm ausleihen. Bugs rät Adams, ihm das Messer nicht zu geben, worauf Francis immer aggressiver wird und Adams zum Kampf auffordert.
Bugs schlägt Franzis mit einem Todschläger KO und dann kümmern sich beide um den Niedergeschlagenen. Adams erkundigt sich, wie der Boxchampion Al Francis so verrückt werden konnte.
«Wodurch ist er verrückt geworden?» fragte Nick.
«Ach, durch allerhand», antwortete der Neger vom Feuer aus. «Wollen Sie eine Tasse Kaffee haben, Mister Adams?»
Er reichte Nick die Tasse und glättete den Mantel, den er unter den Kopf des bewusstlosen Mannes geschoben hatte.
«Erstens hat er zuviel abgekriegt.» Der Neger schlürfte seinen Kaffee. «Aber das machte ihn eigentlich nur ein bißchen einfältig. Dann war seine Schwester sein Manager, und es stand immer alles lang und breit in den Zeitungen von Bruder und Schwester, und wie sie ihren Bruder liebte, und wie er seine Schwester liebte, und dann heirateten sie in New York, und da gab es natürlich ’ne Menge Unannehmlichkeiten.»
«Ja, ich besinne mich darauf.»
«Bestimmt. Natürlich waren sie so wenig Geschwister wie wir zwei beiden, aber da waren eine Menge Leute, die es auf jeden Fall unerhört fanden, und dann begannen die Streitigkeiten, und eines Tages ging sie einfach weg und ist niemals zurückgekommen.»
Er trank seinen Kaffee aus und wischte sich mit der rosa Fläche seiner Hand den Mund ab.
«Er ist einfach verrückt geworden. Wollen Sie noch etwas Kaffee haben, Mister Adams?»
Kurze Zeit später geht Nick Adams wieder an den Schienen entlang weg.
Hemingway beschreibt in seiner Short Story sehr drastisch die möglichen Folgen des Boxens, was insofern bemerkenswert ist, als Apologeten des Boxsports die Tendenz haben, die Gefahren zu verharmlosen. Die Geschichte hat schon auch ihre Schwächen. Man kann sich daher trefflich darüber streiten, ob „Der Kämpfer“ zu Hemingways besten Werken zählt. Ich persönlich finde die Kurzgeschichte aber gut und stimmig.
© Uwe Betker

Boxen in der Literatur: Ernest Hemingway (3) – Eine Herausforderung für einen Boxkampf gegen Paulino Uzcudun

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Der bekennende Boxfan und US-amerikanische Gigant der Weltliteratur, Ernest Hemingway, war von seinen eigenen Boxkünsten ziemlich überzeugt. Während er 1932 in Spanien weilte, um für sein Stierkampfbuch „Death in the Afternoon“ (Tod am Nachmittag) zu recherchieren, traf er in Madrid auf Paulino Uzcudun (71 Kämpfe, 51 Siege, 35 durch KO, 17 Niederlagen, 1 durch KO, 3 Unentschieden). Er scheute sich dann auch nicht, eben diesen zu einem Boxkampf herauszufordern.
Der Baske Paulino Uzcudun Eizmendi (03. Mai 1899 in Regil, Spanien – 05. Juli 1985) war einer der bedeutendsten spanischen Schwergewichtsboxer. Er kämpfte u. a. gegen Hans Breitensträter, Franz Diener, Harry Wills, Max Schmeling, Primo Carnera, Mickey Walker, Max Baer, Tommy Loughran, Ernie Schaaf und Joe Louis. M.a.W., er boxte gegen all die Schwergewichtler, die Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre Rang und Namen hatten.
Hemingway also traf Uzcudun in der “Cerveceria Alemana” an der Plaza Santa Ana in Madrid. Er hatte vermutlich schon das ein oder andere Bier getrunken. Jedenfalls sprach er die Herausforderung aus. Er stand auf und stellte sich, um seiner Herausforderung mehr Nachdruck zu verleihen, auch gleich in Boxposition hin. Uzcudun ging daraufhin spontan, von einem Lachanfall gefällt, zu Boden.
Die “Cerveceria Alemana” an der Plaza Santa Ana in Madrid ist sehr zu empfehlen. Hier gibt es kühles Bier, sehr gute Tapas und einen schönen Blick auf den Platz.
© Uwe Betker

Boxen in der Literatur: Ernest Hemingway (2): „Fity Grand“

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Boxen und Ernest Hemingway gehören zusammen. Der Literaturnobelpreisträger liebte das Boxen. Er schrieb auch übers Boxen, wenn auch nicht viel. Eine der vier Kurzgeschichten, die sich ums Boxen drehen, heißt im Original „Fity Grand“, also „Fünfzig Riesen“. Der deutsche Titel „Um eine Viertelmillionen“ ist etwas verwirrend. Offensichtlich hat die damalige Übersetzerin Annemarie Horschitz-Horst den US Dollar in D-Mark umgerechnet. – Was schon etwas seltsam ist.
„Fity Grand“ erschien erstmals 1927 in „The Atlantic Monthly“ und später in der Sammlung “Men Without Women“. In deutscher Übersetzung kam das Buch dann 1958 heraus. Die Handlung soll viele Übereinstimmungen aufweisen mit einer seiner früheren Short Stories: „A Matter of Colour“. Die erschien im Literatur Magazin „Tabula” der Oak Park High School – Hemingway war damals sechzehn. Leider habe ich diese Story bisher noch nicht gefunden.
Die Kurzgeschichte „Fity Grand“ unterscheidet sich erheblich von den meisten anderen von Hemingways Short Stories. Er schrieb sie nämlich nicht nach der von ihm entwickelten „Eisberg- Theorie“ oder dem „Eisbergmodell“, demzufolge sich Hemingway auf die Oberflächenebene des Textes konzentrierte und Informationen, das Fundament des Eisbergs (und damit der Aussage der Geschichte), aussparte. Die erzählte Handlung dient damit dazu, einen Subtext, also eine zusätzliche implizite Bedeutungsebene, zu erschaffen. Der eigentliche, tieferliegende oder symbolische Bedeutungsgehalt einer Erzählung liegt also im Verborgenen und muss vom Leser durch eigene Vorstellungskraft erschlossen werden. „Fity Grand“ weicht von Hemingways klassischem Modell ab. Hier nämlich wird eine Geschichte stringent, auf eine Pointe hin erzählt. Sie bietet auch nicht viel Raum für eine Interpretation. Es ist einfach nur eine richtig gute Geschichte, die uns hier erzählt wird.
Die Short Story erzählt eine klassische Geschichte aus dem Boxermilieu. Der alternde irisch-stämmige Boxer Jake Brennan ist des Boxens müde. Er weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist. Nur die Aussicht auf eine letzte große Börse lässt ihn das Trainingslager ertragen, was er hasst. Er vermisst seine Frau und sein Kind und er ist schlecht gelaunt. Er kommt nicht in Form und ihm wird klar, dass er gegen den jüngeren und schlagstarken Gegner keine Chance hat.
Er lässt sich darauf ein, den Kampf zu verschieben. Er setzt seine gesamte Börse auf seine eigene Niederlage, um dadurch genug Geld für seinen Ruhestand zu machen.
Brennan will sich aber nicht einfach nur hinlegen: Er versucht, einen Rest an Würde und Selbstachtung zu wahren, in dem er, wissend, das er nicht gewinnen kann und außer Form ist, sein Bestes gibt. Einige Runden lang, kann er sich, Dank seines Reichweitenvorteils, seinen physisch stärkeren Gegner noch vom Hals halten. Dann fällt ihn ein brutaler und absichtlicher Tiefschlag.
Brennan muss aufstehen und den Ringrichter, der ihn zum Sieger erklären will, davon überzeugen, dass er doch nicht so hart getroffen wurde und weiter boxen kann. Der Kampf geht weiter und der Gegner versucht, den angeschlagenen Brennan KO zu schlagen. Bevor der aber ausgeknockt werden kann, schickt er seinen Gegner mit einem gut gezielten Tiefschlag auf die Bretter. Dafür wird er dann auch folgerichtig disqualifiziert.
„Fity Grand“ ist keine typische Hemingway-Kurzgeschichte, aber sie ist eine sehr gute. Der Protagonist Jake Brennan ist nicht sympathisch, aber er ist eine wahrhaftige Figur: Ein Mann in einer bösen und korrupten Welt, der, wissend, dass er die Welt nicht ändern kann, es auch gar nicht erst versucht. Stattdessen versucht er, nach seinen eigenen Normen zu leben und dabei so gut zu sein, wie es nur eben geht.
© Uwe Betker