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Der olympische Jahrgang 1960
Vor kurzem fiel mir ein englisches Magazin in die Hände mit dem Titel „Muhammad Ali – Boxing Legend“. Ein Foto war darin, das ich zwar schon mehrfach gesehen habe, das mir aber irgendwie auch nicht aufgefallen ist. Auf ihm sieht man sieben US-amerikanische Athleten, die nach Alis Gewinn der Goldmedaille im Halbschwergewicht bei den Olympischen Spielen in Rom auf dem Flughafen Idlewild in New York vor einer Wand mit dem Pan Am Logo abgelichtet worden waren. Den Mittelpunkt bildet Cassius Clay, der im Halbschwergewicht seine Medaille errang und später als Muhammad Ali sich zum größten Boxer aller Zeiten entwickelte. Links und rechts neben ihm stehen Edddie Crook (Mittelgewicht, Boxen), Carolyne Schuler (100 Meter Schmetterling), Lynne Burke (100 Meter Rückenschwimmen), Willie McClure (Halbmittelgewicht, Boxen), Christine von Saltza (400 Meter Freistil) und Gary Tobian (Kunstspringen). Bislang war ich irgendwie immer überzeugt – und vermutlich war das nicht nur meine Wahrnehmung -, dass Clay 1960 der einzige Goldmedaillengewinner der USA im Boxen war. Die zwei anderen amerikanischen Goldmedaillengewinner sind irgendwie aus meiner Wahrnehmung verschwunden – Grund genug, sich etwas näher mit den boxenden Teilnehmern der Olympischen Spiele 1960 zu beschäftigen, die später Profiboxer wurden.
Natürlich kann man sich vorstellen, dass Karrieren anderer amerikanischer Goldjungs im Vergleich mit der eines Ali verblassen. Gleichwohl hatten beide aber ein eigenes Leben und eine eigene Karriere. Wilbert “Skeeter” McClure (33 Kämpfe, 24 Siege, 12 durch KO, 8 Niederlagen, 2 durch KO, 1 Unentschieden) gewann sogar seine ersten 14 Profikämpfe in Folge. Danach, Ende 1963, verlor er zweimal hintereinander nach Punkten, immerhin gegen den guten Luis Manuel Rodriguez. Zwei Siege später verlor er gegen Jose Torres nach Punkten, der wiederum ein Jahr später WBC und WBA Weltmeister im Halbschwergewicht wurde. Wieder zwei Siege später boxte McClure Anfang 1966 zweimal gegen Rubin “Hurricane” Carter. Den ersten Kampf verlor er klar nach Punkten. Der zweite ging Unentschieden aus. Eine Niederlage und fünf Siege später musste er gegen John Henry Smith seine erste KO Niederlage einstecken. Es folgte eine weitere Punktniederlage und eine zweijährige Pause. Sein Comeback dauerte nur zwei Kämpfe. 1973 promovierte er in Psychologie. Später wurde er Massachusetts State Boxing Commissioner. Heute kann man ihn zu allen möglichen Themen als Redner buchen.
Edward Crooks Gewinn der Goldmedaille im Mittelgewicht war umstritten. Sein knapper 3:2 Sieg im Finale gegen den Polen Tadeusz Walasek löste geradezu Tumulte auf den Tribünen aus. Überhaupt war das ganze Boxturnier im Palazzo dello Sport überschattet von Fehlurteilen, besonders in der Vorrunde. 17 Kampfrichter wurden anschließend vom Turnier ausgeschlossen. Crook wurde 1959 und 1960 Militärweltmeister im Halbmittelgewicht. Er wurde nicht Profi. Er machte weiter Karriere bei der Armee und wurde ein Kriegsheld. Als Soldat der United States Army kämpfte er im Vietnamkrieg. Für seine Verdienste dort wurden ihm zwei Purple Hearts, ein Silver Star und ein Bronze Star verliehen.
Wenn man schon einmal dabei ist kann man neben den US-amerikanischen Boxern auch die der anderen Nationen noch ansehen.
Der bekannteste Boxer der Olympischen Spiele in Rom nach Clay ist der Italiener Giovanni Benvenuti, der die Goldmedaille in Weltergewicht und den Val-Barker-Pokal für den technisch besten Boxer des Turniers errang. Nino Benvenuti hatte sich sehr umstrittenen gegen Alessandro Mazzinghi für die Olympischen Spiele qualifiziert. Benvenuti (90 Kämpfe, 82 Siege, 35 durch KO, 7 Niederlagen, 3 durch KO, 1 Unentschieden) wurde Anfang 1961 Profi. Bereits Anfang 1963 wurde er italienischer Meister. Am 18.06.1965 wurde er gegen seinen Rivalen Sandro Mazzinghi, einer meiner Lieblingsboxer, Weltmeister im Junior Mittelgewicht nach Version WBC und WBA durch einen KO in Runde 6. Auf dem Weg zur WM hatte er immerhin so gute Männer wie Gaspar Ortega, Denny Moyer, Juan Carlos Duran und Art Hernandez geschlagen. Auch den Rückkampf gegen Mazzinghi, am 17.12.1965, konnte er durch einen Punktsieg für sich entscheiden. Zwischenzeitlich war er auch Europameister im Mittelgewicht geworden. Diesen Titel verteidigte er am 14.05.1966 in Berlin erfolgreich gegen den Deutschen Jupp Elze. Er gewann durch TKO in Runde 14.
Einen Monat später, am 25.06.1966 verlor er in Seoul durch eine Split Decision Entscheidung seine WM Titel im Junior Mittelagewicht an Ki-Soo Kim. Weniger als ein Jahr später, am 17.04.1967, wurde er in New York gegen den großen Emile Griffith durch einen Punktsieg erneut WBC und WBA Weltmeister, diesmal im Mittelegwicht. Es war der erste von drei Kämpfen, die beide austrugen. Den Rückkampf, fünf Monate später am 29.09.1967 in Queens, gewann Griffith durch eine Mehrheitsentscheidung. Fünf Monat später, am 04.03.1968, gewann Nino Nationale erneut nach Punkten. Am 14.12.1968 besiegte er den soliden Don Fullmer in einem WM Kampf nach Punkten, Fraser Scott und den großen Luis Manuel Rodriguez am 22.11.1969 durch KO in Runde 11. Es folgte ein Sieg über Tom Bethea (23.05.1970), gegen den er zwei Monate vorher, am 13.03.1970 in Melbourne, einen Nichttitelkampf durch TKO in Runde 8 verloren hatte.
Ende 1970 war die große Zeit von Benvenuti vorbei. Am 07.11.1970 verlor er seinen Titel in Rom durch ein TKO. Sein Bezwinger war der unglaublich harte Carlos Monzon, der seinerseits zur Legende wurde. Auch den Rückkampf am 08.05.1971 in Monte Carlo verlor er durch TKO, diesmal in Runde 3.
Nach seiner Karriere als Profiboxer wurde er ein erfolgreicher Geschäftmann. Er spielte in einer Italowesternkommödie mit, eröffnete ein Gourmetrestaurant, war Stadtrat von Triest und trat immer wieder als Showmaster im Fernsehen auf.
Der Silbermedaillengewinner im Leichtgewicht, Sandro Lopopolo (76 Kämpfe, 58 Siege, 20 durch KO, 10 Niederlagen, 2 durch KO, 7 Unentschieden) aus Italien hatte ebenfalls eine gute Karriere als Profi. Er begann mit 35 Kämpfen in Folge ohne Niederlage – eine beeindruckende Serie. Er wurde mehrfach italienischer Meister im Halbweltergewicht. Am 29.04.1966 wurde der Rechtsausleger durch einen Sieg über Carlos „Morocho“ Hernández Weltmeister im Halbweltergewicht nach Version WBA und WBC. Er verteidigte die Titel einmal erfolgreich, bevor er am 30.04.1967 von Takeshi Fuji in der zweiten Runde ausknockt wurde. Drei Versuche, Europameister zu werden, waren erfolglos. Das letzte Mal als ich mit ihm Kontakt hatte, besaß er einen Laden für Pokale und Medaillen.
Der Silbermedaillengewinner im Halbmittelgewicht Carmelo Bossi (51 Kämpfe, 40 Siege, 10 durch KO, 8 Niederlagen, 2 durch KO, 3 Unentschieden) wurde 1965 italienischer Meister und am 17.05.1967 Europameister gegen Jean Josselin im Weltergewicht. Seinen Europameistertitel verlor er am 14.08.1968 an den Niederländer Edwin „Fighting Mack“ Arthur durch KO in Runde 10. Er wechselte später ins Halbmittelgewicht und wurde am 09.07.1970 gegen den US-Amerikaner Fred Little Weltmeister der WBA und WBC. Zuvor, am 31.10.1969, hatte er noch gegen ihn verloren. Der gute Little war zu diesem Zeitpunkt im Herbst seiner Karriere. Er verteidigte durch ein Unentschieden seinen Titel einmal erfolgreich, um ihn dann, am 31.10.1971 in Japan, wieder gegen den Japaner Koichi Wajima, durch eine Mehrheitsentscheidung zu verlieren. Danach stieg er nie wieder in den Ring.
Noch weitere vier Italiener, die in Rom Medaillen geholt hatten wechselten ins Profilager. Der Goldmedaillengewinner im Schwergewicht Franco De Piccoli (41 Kämpfe, 37 Siege, 29 durch KO, 4 Niederlagen, 4 durch KO), der Goldmedaillengewinner im Federgewicht Francesco Musso (28 Kämpfe, 24 Siege, 7 durch KO, 4 Niederlagen), der Silbermedaillengewinner im Bantamgewicht Primo Zamparini (28 Kämpfe, 16 Siege, 7 durch KO, 6 Niederlagen, 2 durch KO, 6 Unentschieden) und der Bronzemedaillengewinner im Halbschwergewicht Giulio Saraudi (14 Kämpfe, 9 Siege, 4 durch KO, 1 Niederlage, 3 Unentschieden) errangen als Profiboxer allerdings keine Titel. Saraudi besiegte aber immerhin die Deutschen Horst Benedens und Jürgen Blin nach Punkten.
Im olympischen Finale des Halbweltergewichts verlor der Ghanaer Clement Quartey gegen Bohumil Němeček aus der Tschechoslowakei. Quartey gewann damit die Silbermedaille, die erste olympische Medaille für einen Schwarzafrikaner überhaupt. Fünf Tage später gewann der erste Schwarzafrikaner olympisches Gold im Marathonlauf. 1962 gewann Quartey die British Empire and Commonwealth Games in Perth. Isufu Quartey, sein 31 Jahre jüngerer Bruder, wurde unter dem Namen Ike Quartey, 1994 WBA-Weltmeister der Profiboxer im Weltergewicht.
Der japanische Bronzemedaillengewinner im Fliegengewicht Kiyoshi Tanabe (22 Kämpfe, 21 Siege, 5 durch KO, 1 Unentschieden) blieb in seiner Profikarriere ungeschlagen. Er war von 1965 bis 1966 Japanischer Meister im Fliegengewicht. Der südafrikanische Silbermedaillengewinner im Schwergewicht Daan Bekker (9 Kämpfe, 6 Siege, 4 durch KO, 2 Niederlagen, 1 Unentschieden), der englische Bronzemedaillengewinner im Weltergewicht James Lloyd (20 Kämpfe, 10 Siege, 4 durch KO, 7 Niederlagen, 5 durch KO, 3 Unentschieden), der australische Bronzemedaillengewinner im Bantamgewicht Oliver Taylor (14 Kämpfe, 11 Siege, 1 durch KO, 2 Niederlagen, 1 Unentschieden) und der Argentische Bronzemedaillengewinner Abel Ricardo Laudonio (56 Kämpfe, 48 Siege, 37 durch KO, 6 Niederlagen, 1 durch KO, 2 Unentschieden) errangen als Profis keine Titel. Taylor verlor seinen letzten Kampf gegen die spätere australische Boxlegende Johnny Famechon. Laudonio boxte zweimal gegen den großen Nicolino Locche, wobei er einmal gewann.
Der olympische Jahrgang 1960 war schon sehr gut. Er war vielleicht sogar einer der besten olympischen Jahrgänge überhaupt. Man kann hier jedoch auch beobachten, dass ein erfolgreicher Amateur, ein Goldmedaillengewinner, noch lange nicht automatisch auch ein erfolgreicher Profi wird.
(C) Uwe Betker
Written by betker
17. April 2017 at 23:59
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Die seltsame Lebensgeschichte des Karl-Heinz Guder
Es gibt Dinge, die man von Karl-Heinz Guder weiß. Dann gibt es noch ganz viele Geschichten, die von ihm selbst in die Welt gesetzt worden sind und die wahr, halbwahr oder falsch sind. Und, damit es noch schwieriger wird, gibt es noch einen Autor, der in einem seiner Bücher auch noch eine Version der Lebensgeschichte Guders wiedergibt. Die ist nun leider unter einem Blickwinkel geschrieben worden, der die Bundesrepublik Deutschland als schlecht, ihre Organe als kriminell oder unfähig, Profiboxen prinzipiell als korrupt, Profiboxer als Menschen, die unglaubliche Summen verdienen, und ähnliches mehr darstellt. Und nicht zuletzt finden sich auch noch Informationen und Fehlinformationen im Internet. Daher möchte ich hier die Lebensgeschichte von Karl-Heinz Guder als Fiktion verstanden wissen, auch wenn ich versuchen will, sie so gut wie irgend möglich zu rekonstruieren.
Karl-Heinz Guder wurde am 10. Juni 1934 in Gelsenkirchen geboren. Er besuchte die Volksschule und arbeitete als Schlosser und Maurer. Mit dem Boxen hat er vermutlich mit 15 Jahren begonnen. Nach eigenen Angaben bestritt er bis 1954 etwa 150 Amateurkämpfe in mehreren Gewichtsklassen, vom Bantam- bis zum Halbmittelgewicht. Man kann diesen Angaben getrost misstrauen, denn Guder behauptet auch, er sei Deutscher Meister geworden, was aber nicht stimmt. Auch die Behauptung seiner Teilnahme an den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki und sein vierter Platz dort, war von ihm in die Welt gesetzt worden. Gleichwohl kann man ihm wohl boxerisches Talent unterstellen, denn, was er später als Profi zeigte, spricht schon dafür.
Mit 21 Jahren bestritt Guder 1954 sein Profidebüt. Ein Jahr später wurde er von dem Manager Riethmüller (Sportterrassen Riethmüller Essen) vertreten. Bis Mai 1957 absolvierte er im Welter- und Mittelgewicht in Deutschland und Holland 22 Profikämpfe. Von denen konnte er ganze 18 gewinnen, 13 durch KO. Die drei Boxern, denen er sich geschlagen geben musste, waren keine geringeren als Siegfried Burrow (01.07.1956, Westfalenhalle, Dortmund, TKO 9), Hans Werner Wohlers (30.12.1956, Arena Westfalenhalle, Dortmund, PTS 8) und Erich Walter (08.02.1957, Ernst Merck Halle, Hamburg KO 4). Aber diese Niederlagen zeigen auch die boxerischen Grenzen von Guder.
1957 ging Guder dann in die USA. Zuerst wurde er von Al Bachmann und Gunther Duhn vertreten. Bachmann, ein bekannter Cutman, trainierte auch Bob Cleroux (54 Kämpfe, 47 Siege, 37 durch KO, 6 Niederlagen, 1 Unentschieden), einen richtig guten kanadischen Schwergewichtler der späten 50er und der 60er Jahre. Später wurde Guder von dem schillernden Baron Henry von Stumme vertreten. Dieser war kein Baron und war auch nicht adlig, aber er war von Juni 1948 bis Juni 1950 Matchmaker des Hollywood Legion Stadium und danach Matchmaker von kleineren Arenen und Manager von vielen Boxern. Ich meine mich erinnern zu können, dass der „Boxprinz“ Norbert Grupe alias Wilhelm von Homburg, der deutsche Schwergewichtler, auch unter ihnen war.
Guder war ein „rauer, aggressiver Schläger“, was vor allem das amerikanische Publikum zu schätzen wusste. Er bestritt bis März 1961 27 Kämpfe in den USA, von denen er 18 verlor, 6 aber für sich entscheiden konnte. In seinem Kampfrekord finden sich so illustre Namen wie Don Jordan (15.02.1958, L SD 10), Gaspar Ortega (26.051960, L UD 10 und 13.09.1960, L RTD 6) und Joe Miceli (08.03.1958, L DU 10 und 11.10.1958 L TKO 8). Von den letzten elf Kämpfen, konnte er keinen einzigen für sich entscheiden, was wohl bedeutet, dass er boxerisch bereits mit 26 Jahren am Ende war. Einem Autor zufolge soll er in den USA mit seinem Boxen etwa 200.000 $ verdient haben, was ich für absolut unrealistisch halte.
(c) http://static.boxrec.com/7/71/Karl-Heinz_Guder2.JPG
1961 erhielt Guder die amerikanische Staatsbürgerschaft. In den folgenden Jahren schlug er sich vermutlich als Trainer, Sparringspartner, Maurer, Hilfsarbeiter, Maschinist, Bankangestellter und mit anderen Jobs durch. Angeblich hatte er vor, mit Norbert Grupe ein Unternehmen zu gründen, erhielt dafür von den amerikanischen Behörden aber keine Lizenz. Dieser Information ist allerdings mit Skepsis zu begegnen.
Um diese Zeit begann dann auch die kriminelle Laufbahn von Guder. Wie FBI-Akten zu entnehmen ist, fiel er bis 1966 18-mal durch kriminelle Aktivitäten auf, darunter Diebstahl, mehrere Raubüberfälle und ein „Angriff mit einer tödlichen Waffe“. Im Juni 1966 überfiel er eine Bar in Los Angeles, wurde verhaftet und auf Kaution entlassen. Er setzte sich nach Paris ab, tauchte in verschiedenen europäischen Großstädten auf und kehrte im Herbst 1966 nach Deutschland zurück. Hier soll er im November und Dezember Sparring mit Willy Quator und Norbert Grupe gemacht haben. Am 19.11.1966 konnte er seinen Comeback-Kampf gegen Siegfried Gross in Berlin, im Vorprogramm von Norbert Gruppe, durch TKO in Runde 4 gewinnen. In seinem nächsten Kampf, am 09.12.1966 in Essen gegen Albert Duscha, der mit einem negativen Kampfrekord in den Ring stieg, konnte er nur ein Unentschieden erreichen. Das war dann auch sein letzter Profiboxkampf. Karl-Heinz Guders Kampfrekord: 51 Kämpfe, 313 Runden, 25 Siege, 19 durch KO, 21 Niederlagen, 12 durch KO, 5 Unentschieden.
Wenige Tage nach seinem letzten Kampf, am 17. Dezember 1966, knackte er mit einem Komplizen in Minden Automaten. Er wurde festgenommen und im Februar 1967 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er musste nicht ins Gefängnis, weil er seine Strafe durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt hatte.
Kurze Zeit später wurde Guder erneut verhaftet. Er war an einem Lohngeldraub beteiligt. Im Mai 1967 wurde er zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Guder legte gegen das Urteil Revision ein und wurde auf freien Fuß gesetzt. Bereits am 5. Juli 1967 überfiel er um ca. 16 Uhr die Sparkasse in Gohfeld-Wittel. Er und seine zwei Komplizen bedrohten die einzige Angestellte mit einer echt aussehenden Spielzeigpistole und erbeuteten dabei 19.500 DM. Sie flohen in einem hellen Opel Rekord. Guder versteckte sich auf einem Campingplatz bei Gütersloh in einem gestohlenen Wohnwagen. Nur wenige Stunden nach der Tat, wurde einer seiner Komplizen, ein 22-jähriger Bundeswehrdeserteur gefasst. Er hatte seinen Anteil von der Beute, 4.245 DM, bei sich.
Der Festgenommen verriet der Polizei, ein Karl-Heinz, ein Boxer aus Amerika, sei Chef und die treibende Kraft für den Bankraub gewesen. Die Polizei fand den gestohlenen Campingwagen, aber Guder war entkommen. Einen Tag nach dem Überfall wurde er jedoch festgenommen. Als Anhalter hatte er ein Zivilfahrzeug der Polizei angehalten.
Im Dezember 1967 verurteilte die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld ihn zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren Zuchthaus. Guder legte auch gegen dieses Urteil Revision ein, aber er wurde diesmal nicht auf freien Fuß gesetzt und der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes verwarf im Juni 1968 den Einspruch auch als unbegründet. Auch sein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahren vom August 1968 wurde abgelehnt.
Guder wurde zur Verbüßung seiner Haftstrafe ins Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen überstellt. Zusammen mit einem Mitgefangenen brach er am 20. Januar 1969 von dort aus. Unbekannte Komplizen versorgten ihn mit Geld, einem Fluchtfahrzeug und falschen Papieren. Guder floh über London in die USA. Angeblich konnte er als naturalisierter Amerikaner nicht nach Deutschland ausgeliefert werden. Am 28. Oktober 1969 versuchte er, in Yorba Linda oder in Placentia in Orange County/Kalifornien – beide Orte liegen unmittelbar nebeneinander – zusammen mit einem Komplizen einen Barbesitzer zu überfallen. Von dem wurde er mit vier Schüssen niedergestreckt und starb. Guder wurde nur 35 Jahre alt.
Eine Quelle im Internet erzählt die Geschichte anders herum. Hiernach soll Guder der Barbesitzer gewesen sein, der von einem Räuber erschossen wurde. Legt man aber seine Vorgeschichte zugrunde, so erscheint diese Version aber ziemlich unwahrscheinlich. Karlheinz Guder wurde jedenfalls auf dem Forest Lawn Memorial Park (Glendale) beerdigt.
Auf dem Grabstein steht:
HERE REST IN PEACE
MY BIG DADDY
OUR SON
KARL.HEINZ GUDER
BORNE JUNE 10, 1934
DIED OCTOBER, 28. 1996
Irgendwann vor seinem Tod, gab es also eine Beziehung zu einer Frau – ich hoffe, eine glückliche und romantische. Er hatte offenbar auch eine Tochter oder einen Sohn, die oder der um ihn bei seinem Tod trauerte. Und seine Eltern beerdigten ihn. Aber über all das wissen wir nichts.
Das Dunkel der Geschichte hat sich mit seinem Vergessen über die Lebensgeschichte von Karl-Heinz Guder gelegt. Man könnte versuchen Verwandte von Guder ausfindig zu machen, um sie zu befragen, wenn man noch mehr erfahren will. Aber die seltsame Lebensgeschichte von Karl-Heinz Guder gefällt mir auch so, wie sie jetzt ist, mit all ihren Lücken und Widersprüchen.
© Uwe Betker
Written by betker
19. Februar 2017 at 23:59
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