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Zwei Dinosaurier in China
Evander Holyfield (57 Kämpfe, 44 Siege, 29 durch KO, 10 Niederlagen, 2 durch KO, 2 Unentschieden) und Andreas Sidon (56 Kämpfe, 44 Siege, 35 durch KO, 11 Niederlagen, 6 durch KO) sind zwei Dinosaurier des Boxens. Sie kommen aus einer anderen Zeit. Sie sind Wesen, die, schon aufgrund ihres Alters, eigentlich nicht mehr unter den aktiven Boxern weilen dürften. Holyfield ist 53 und Sidon ist 52. Beide aber trotzen standhaft den nachgefolgten Generationen. Sie sind boxerische Relikte aus einer vergangenen Zeit.
Holyfield, dem ein Platz in der International Boxing Hall of Fame sicher ist, war von 1987 bis 1988 Weltmeister im Cruisergewicht. Er schlug 1990 Buster Douglas in der dritten Runde KO. Vorher, im gleichen Jahr, hatte der Mike Tyson in der zehnten Runde KO geschlagen. So wurde Holyfield Weltmeister im Schwergewicht. Danach schlug er George Foreman und Larry Holmes. Es folgten 1992, 1993 und 1995 seine drei legendären Ringschlachten mit Riddick Bowe. 1996 und 1997 waren seine beiden unvergessenen Kämpfe mit Mike Tyson, in denen er den Mythos Tyson geradezu pulverisierte. Bis heute ist er aktiv und er will immer noch Weltmeister werden.
Andreas Sidon ist fast genauso alt wie Holyfield und auch seine Kampfstatistik weist eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der von Holyfield auf. Aber er ist natürlich schon ein anderes Kaliber. Sidon war nie das Supertalent, das von einem Veranstalter aufgebaut und gefördert worden wäre. Er musste sich immer alleine durchschlagen und stieg oft als Außenseiter in den Ring. In seinem zweiten Profikampf 1999 stieg er gegen Nicolay Valuev, der damals in 19 Kämpfen ungeschlagen war, in den Ring. Der Kampf steht zwar als No Contest im Kampfrekord, aber jeder, der dabei war, oder ein Video davon gesehen hat weiß, dass Sidon gewann. Das ist wohl auch der Grund, warum Valuev einem Rückkampf nie zustimmte.
Sidon war und ist auch boxerisch immer für eine Überraschung gut. Und er ist ein Kämpfer. Persönliche Schicksalsschläge hielten den alleinerziehenden Vater von drei Kindern nicht ab davon, seine Ziele weiter zu verfolgen. Auch als der Bund Deutscher Berufsboxer (BDB), dessen deutscher Meister im Schwergewicht Sidon war, ihm aus gesundheitlichen Gründen die Lizenz entzog, kämpfte und kämpft er weiter. Seitdem gibt es einen Rechtsstreit zwischen ihm und den Verband. Sidon fordert vom BDB die entgangenen Börsen.
Sidon ist, wie Holyfield zurzeit in Shanghai in China. Beide sind zu einer Profiboxveranstaltung eingeladen worden. Sidon erklärte kurz vor dem Abflug, dass er mit zweierlei Hoffnungen zum zweiten Mal nach China reist. Zum einen würde er gerne in China als Profiboxer und als Trainer Fuß fassen. Zum anderen will er versuchen, einen Kampf gegen Evander Holyfield zu bekommen. Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Gespräche hierüber. Ein Kampf mit ihm wäre ein würdiger Höhepunkt für die Karriere von Andreas Sidon.
(c) Uwe Betker
Gastbeitrag von Jean-Marcel Nartz: Die Klasse aller Klassen
Seit 1892 gab es stets in der Klasse aller Klassen Ausnahmeboxer, die die Szene beherrschten. Es gab immer einen Superstar, der als unbesiegbar galt, was allerdings nicht immer stimmte, denn so manch unbekannter Herausforderer sorgte mit einen Schlag für eine Sensation. Das ist das, was das zahlende Publikum so liebt am Schwergewichtsboxen.
Kommen wir zu einigen Stars, die als unschlagbar galten, aber alle dann doch, außer Rocky Marciano, irgendwann mal verloren. Es begann 1899 mit dem Amerikaner James J. Jeffries, der bis 1904 sechsmal den Titel verteidigte. Damals gab es noch keine Rundenzahlen. Es ging immer bis zur Dunkelheit – immer bis zur totalen Entscheidung. 25 Runden waren damals nicht unüblich und wenn es Flutlicht gegeben hätte, dann wäre es auch länger gegangen!
Später war es dann von 1919 bis 1923 Jack Dempsey, der fünfmal den Titel verteidigte und dann sensationell gegen Gene Tunney verlor. Dann kam Max Schmeling, der einmal den Titel verteidigte und dann wechselte alles nach jeden Kampf, bis 1937 Joe Louis kam, der bis 1948 25 (!) mal den Titel verteidigte. Dann kam der einzige Schwergewichtsweltmeister, der ungeschlagen abtrat, Rocky Marciano, der von 1952 bis 1955 sechsmal den Titel verteidigte.
Zu bedenken ist bis 1962, dass es immer nur einen Verband gab und nicht 17 wie heute! 1964 kam Cassius Clay (später Muhammad Ali), der Liston stoppte und bis zu seiner Verhaftung wegen Fahnenflucht 1967 achtmal seinen WBC-Titel verteidigte und erst 1974 wieder Champion wurde, wo er bis 1978 neunmal den Titel verteidigte. Er war und ist der Größte aller Zeiten! In Abwesenheit von Ali dominierte der Strassenfighter Joe Frazier von 1969 bis 1973 als Titelträger mit acht Titelverteidigungen. Es folgte George Foreman von 1973-1974 mit zwei Titelverteidigungen, bevor in den Kampf gegen Ali antrat und vorzeitig verlor.V on 1978 bis 1985 war Larry Holmes der neue Superweltmeister, der zwanzigmal den Titel verteidigte, ehe ihn Michael Spinks über 15(!) Runden auspunktete. 1986 kam, sah und siegte nur noch der damals jüngste Weltmeister aller Zeiten im Schwergewicht, Mike Tyson, der bis 1990 zehnmal den Titel verteidigte. Evander Holyfield verteidigte bis 1994 dreimal den Titel, den er dann an Michael Moorer verlor, diesen sich 1996 von WBA-Weltmeister Tyson wieder holte und 1999 nach drei Titelverteidigungen an Lennox Lewis wieder verlor. Lewis war mit kurzer Unterbrechung von 1993 bis 2003 WBC-Weltmeister und hat den Titel 22 mal verteidigt.
WBO-Weltmeister war Vitali Klitschko von 1999 bis 2000 und verteidigte zweimal den Titel. Dann wurde er von 2004-2014 WBC-Weltmeister mit 11 Titelverteidigungen.Von 2000 bis 2003 war dann Wladimir Klitschko WBO-Weltmeister mit 5 Titelverteidigungen.2006 holte er sich den IBF-Titel. Es folgten bis zum heutigen Tag den Titelgewinne von WBA-und-WBO und insgesamt 15 Titelverteidigungen. Der achtunddreißigjährige Klitschko hat die Weltranglisten rauf und runter geboxt und außer Überheblichkeit und Unachtsamkeit kann ihn keiner stoppen.
(C) Jean-Marcel Nartz
Eine Frage der Verantwortung
Die Ausgangslage ist bekannt: Frank Warren, der englische Veranstalter, kam auf die Idee, die Schwergewichtler David Haye (27 Kämpfe, 25 Siege, 23 durch KO, 2 Niederlagen, 1 durch KO) und Dereck Chisora (18 Kämpfe, 15 Siege, 9 durch KO, 3 Niederlagen) gegeneinander boxen zu lassen. Der Londoner Upton Park, der 35.000 Zuschauer fasst, die auch erwartet werden, wurde gebucht. Ein Problem war allerdings die Box-Lizenz, denn beide Boxer hatten keine mehr.
Haye hatte seine abgegeben, weil er nach seiner Punktniederlage gegen Wladimir Klitschko, am 02.07.2011, seine Karriere für beendet erklärt hatte. Chisora war die Lizenz vom britischen Boxverband BBBC, British Boxing Board of Control, entzogen worden, nachdem er sich u.a. während der Pressekonferenz nach seiner Punktniederlage gegen Vitali Klitschko, am 18.02.2012 mit Haye geprügelt hatte.
Wie leider im Profiboxen üblich, sind Lizenzentzüge oder Sperren kein Hindernis, wenn ein Veranstalter sie denn umgehen will. So bekam auch Chisora ohne Probleme eine Lizenz vom luxemburgischen Verband F.L.B. (Fédération Luxembourgeoise de Boxe). Hier nun fängt die Geschichte an interessant zu werden. Die öffentliche Empörung war groß. Die ARD nötige Sauerland Event, die gerne mit veranstaltet hätten, zum Ausstieg.
Der luxemburger Sportminister Romalin Schneider reagierte sofort. Er kritisierte den Verband massiv. Er wies in einem Brief darauf hin, dass Verbände, um vom Ministerium anerkannt zu werden, „positive Botschaften wie Fair-Play oder gegenseitigen Respekt vermitteln sollen.“ Man kann dem Minister hier nur Recht geben, die Lizenzierung eines Boxers, dem die Lizenz wegen einer öffentlichen Schlägerei entzogen wurde, ist definitiv kein Eintreten für Fair-Play und gegenseitigen Respekt. Weiter führte Schneider aus: „Die FLB vermittlt durch diese Entscheidung ein äußerst negatives Image des Boxsports.“ Dies würde „ein schlechtes Licht auf den Luxemburger Sport und das Großherzogtum im Allgemeinen werfen.“ Sehr konsequent entzog der Minister daher auch dem Verband die staatlichen Fördergelder für das Jahr 2012.
Die Erwiderung des Generalsekretärs des FLB Toni Tiberi ist nun, in meinen Augen, sehr aufschlussreich: „Wir haben im Gegensatz zu anderen Vereinen nie viel bekommen. Ich will auch betonen, dass die rund 2.700 Euro an Fördergeldern, die wir im Schnitt jährlich bekommen, nie vom Verband in Beschlag genommen wurden. Alle Verantwortlichen arbeiten ehrenamtlich. Die Gelder sind zum Großteil in die Vereine geflossen. Zudem wurden Schiedsrichter mit den Geldern bezahlt. Durch die Streichung der Fördergelder werden nun in erster Linie die Vereine bestraft.“
Was Generalsekretär Tiberi hier als Gegenargument anführt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als weiterer Vorwurf gegen ihn selber. Der luxemburger Verband vertritt nicht nur die Profis, sondern auch die Amateurboxer. Dementsprechend haben die Offiziellen des Verbandes auch eine Verpflichtung beiden Gruppen gegenüber. Bei der Lizensierung von Chisora haben sie sich nicht anders verhalten wie viele Profiverbände in der Welt auch. Aber genau dieses Verhalten, was nur darauf abzielt, den Veranstaltern zu Willen zu sein, um Gebühren zu kassieren, hat auch den Ruf der Profiverbände so ruiniert. An einen Amateurverband, bei dem es ja nicht darum geht, durch Boxen Geld zu verdienen, sind, zumal wenn er staatliche Zuschüsse bekommt, schlicht andere und viel höhere moralische Maßstäbe anzulegen.
Dementsprechend geht auch folgende Argumentation der FLB vollkommen ins Leere: „Als sich Joe Frazier und George Foreman eine Schlägerei geliefert haben, hat auch keiner etwas gesagt. Und auch nicht, als Mike Tyson Evander Holyfield ein Stück seines Ohres abgebissen hat. Nun hat Dereck Chisora Vitali Klitschko eine Ohrfeige verpasst und wird dann von allen Seiten verurteilt.“
So kann meinetwegen der Präsident eines Profiverbandes argumentieren, aber nicht der eines Amateurverbandes. Mir kommt der Verdacht, dass Toni Tiberi sich hier schlicht seiner Verantwortung gegenüber den Amateuren und dem luxemburger Steuerzahlern nicht bewusst ist.
© Uwe Betker
Ein unwürdiger Gegner
Ein amerikanischer Journalist und Kenner des Boxens stellte den Kampf, wenn man ihn denn so nennen kann, von Wladimir Klitschko (57 Siege, 50 durch KO, 3 Niederlagen, 3 durch KO, ) gegen Jean-Marc Mormeck (41 Kämpfe, 36 Siege, 22 durch KO, 5 Niederlagen, 3 durch KO) vom 03.03.2012 in eine Reihe mit George Foreman gegen Jose Roman (01.09.1973), Joe Frazier gegen Ron Stander (25.05.1972), Joe Louis gegen Tony Galento (28.06.1939), Muhammad Ali gegen Chuck Wepner (24.03.1975) und Floyd Patterson gegen Pete Rademacher (22.08.1957). In all diesen Kämpfen verteidigte ein sehr starker Weltmeister im Schwergewicht seinen Titel gegen einen Gegner, der ihm weit unterlegen war. Aber wenn man nun Jean-Marc Mormeck in eine Reihe stellt mit Jose Roman, Ron Stander, Tony Galento, Chuck Wepner und Pete Rademacher, dann redet man, genau wie Wladimir Klitschko, ihn stark und, was noch viel schlimmer ist, man setzt die oben genannten Boxer herab.
Rademacher stellte sich als Olympiasieger und ohne Profierfahrung dem amtierenden Weltmeister im Schwergewicht, Patterson. Dabei kam es aber bis zum KO in Runde 6 doch zu einem recht unterhaltsamen, von Technik geprägten Kampf. – Das kann man über den Klitschko- Mormeck-Kampf aber durch nicht sagen.
Wepner verlor gegen Ali durch TKO in Runde 15, was schon für sich spricht. Immerhin wurde er das reale Vorbild für die Filmfigur Rocky. Eine unglaubliche Menge an Schlägen nehmend und stark blutend stapfte er unverdrossen dem Größten hinterher, um die Chance zu suchen, die er allerdings nicht hatte. – Ein unglaublicher Kampf, der Wepner zur Legende machte. Es ist nicht zu erwarten, dass jemals irgendjemand so über Mormecks Leistung sprechen könnte.
Auch der kleine, dickliche und kahl werdende Galento hatte nie eine Chance gegen Louis. Er suchte sein Glück in überfallartigen Angriffen und wilden Schwingern. Oft ließ er den Stilisten Louis dabei sogar schlecht aussehen. Auch er war sehr tapfer. Er verlor durch TKO in Runde 4. Dass auch Mormecks Kampf nur 4 Runden dauerte, ist die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihm und Galento. Mormeck sah austrainiert aus, schlug aber so selten, auch wenn er die Möglichkeit dazu hatte, dass man ihn für den Friedensnobelpreis vorschlagen könnte.
Stander, der technisch limitiert war, hielt gegen Frazier nur eine Runde länger durch als Galento und der Herr aus Pointe-à-Pitre, Guadeloupe. Auch Stander wollte die sich bietende einmalige Chance nutzen. Er versuchte Frazier mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen, durch Haken in der Halbdistanz und im Infight – ein absurdes und zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Aber Stander ging in den Kampf, um zu gewinnen, was man von Mormeck wohl nicht behaupten kann.
Roman schaffte es nur 117 Sekunden gegen Foreman durchzuhalten. In dieser Zeit ging er dreimal zu Boden. Foreman wollte offensichtlich von Anfang an den KO. Auch Wladimir Klitschko wollte den KO, denn er wollte sich ja für seinen 50sten KO feiern lassen. Genau dafür scheint er sich ja auch seinen Gegner ausgesucht zu haben. Mir drängte sich allerdings der Eindruck auf, dass der Titelverteidiger bereits in der ersten Runde hätte Schluss machen können. Er tat es aber nicht. Wollte er den zahlenden Zuschauern etwas bieten? Dachte er an die Werbekunden von RTL?
Es ist unübersehbar, dass die Klitschkos ein Problem haben Gegner zu finden. Aber musste es gerade ein, wie ich finde, so unwürdiger und schwacher Gegner wie Jean-Marc Mormeck sein? Mormeck wurde schließlich in keiner Rangliste mehr geführt, weil er seit über einem Jahr nicht mehr aktiv war.
© Uwe Betker
Der Fall Timothy Anderson (3)
Timothy „Doc“ Anderson war kein Boxer mehr. Er konnte zurückblicken auf 44 Kämpfe, 27 Siege, 13 durch KO, 16 Niederlagen, 12 durch KO und 1 Unentschieden. Er hatte gegen Jimmy Young (04.06.1988, W 10) gewonnen und gegen George Foreman (21.11.191987, TKO 4), Pierre Coetzer (15.08.1988, KO 2) und Larry Holmes (07.04.1991, TKO 1) verloren. Er war vergiftet worden. Und er litt – und leidet immer noch – an Vergiftungserscheinungen. Es folgte eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Im Herbst 1994 teilte ihm ein behandelnder Arzt mit, es sei unmöglich ihn zu heilen, ohne die Substanzen zu kennen, welche ihn vergiftet hätten. Dies brachte Anderson mit Parker an jenem schicksalhaften 28. April 1995 in einem Hotelzimmer in Lake Buena Vista, Florida zusammen.
Angeblich lockte Anderson Parker mit dem Versprechen, ihm 45.000 Dollar für ein Interview zu geben, dass er bräuchte um das Buch, das er schreiben wolle, zu beenden. Anderson hatte Angst vor diesem Treffen. Mittlerweile hieß es von Parker, er sei immer bewaffnet, mache mit der Unterwelt Geschäfte und würde auch morden. Er war sich darüber im Klaren, dass es ein gefährliches Unterfangen sein würde, von Parker das ihm zustehende Geld einzufordern und ihn zu bitten, ihm zu sagen, mit welchen Giften er vergiftet worden war.
Um Zeugen zu haben, aber auch um die Situation zu deeskalieren, erschien er in Begleitung von Parkers Sohn und Schwester. Und er brachte einen Kassettenrekorder mit zu dem Treffen. Er hatte aber auch eine Pistole dabei. Wider Erwarten begann das Treffen freundlich. Es war sogar so, das Parkers Sohn und Schwerster die Beiden alleine in dem Hotelzimmer zurückließen, um ihnen Zeit für eine Aussprache zu geben. Da bekam das Gespräch dann allerdings einen anderen Charakter. Parker fing an zu brüllen und schleuderte den Kassettenrekorder gegen die Wand. Anderson sagte später aus, Parker hätte ihm gedroht, seine querschnittsgelähmte Schwester und ihre Familie umzubringen. Das hatte Parker vorher schon mehrfach getan, wohl auch weil er wusste, dass Parker seiner Schwester Erin sehr nahe stand. Einmal hatte er sogar Männer zu Anderson geschickt, die ihm ein Foto von seiner Schwester im Rollstuhl mit ihren Kindern vor ihrem Haus zeigten und ihm drohten, sie alle umzubringen, wenn er nicht aufhören würde, an seinem Buch mit dem Arbeitstitel „Lügner, Betrügereinen und Huren“ zu arbeiten. Ein anderes Mal wurde er von zwei maskierten Männern mit Baseballschlägern überfallen und schwer verletzt. Anderson seinerseits drohte nun selber Parker umzubringen, wenn er ihm nicht die Zusammensetzung des Gift-Cocktails verraten würde.
Am Ende der Auseinandersetzung zog Anderson seine 38er und schoss auf Parker und leerte dabei das ganze Magazin. Dann lud er die Waffe auch noch nach und schoss noch zweimal auf Parker. Dann drückte er noch mehrfach den Abzug, während er sich die Waffe selbst an den Kopf hielt. Dies haben jedenfalls die ballistischen Untersuchungen zweifelsfrei ergeben. Parker war tot und Anderson blieb unverletzt.
Bezeichnend ist: Als sich die Nachricht verbreitete, Tim “Doc” Anderson hätte seinen ehemaligen Veranstalter ermordet, zeigte sich keiner überrascht. Jedenfalls nicht über die Wahl des Opfers, sondern eher über die Person des Täters. Es gab keine bedauernden Worte, die den Verlust beklagt hätten, sondern nur welche, die ihr Verständnis für Anderson bekundeten. Selbst Parkers Verwandte bestätigten seinen Drogenmissbrauch, seine Skrupellosigkeit in Geschäftsdingen und seine Fixierung auf den einen Millionen-Dollar-Zahltag.
Es stand niemals außer Zweifel, dass Anderson Parker erschossen hat. Er gab dies auch schon gegenüber den Notärzten zu. Jedoch behauptete er, in einem Akt von Notwehr gehandelt zu haben, weil Parker ihn und seine Familie terrorisiert hätte. Fest steht: Timothy „Doc“ Parker erschoss am 28. 04.1995 in einem Hotel in Lake Buena Vista in Florida Rick „Elvis” Parker, indem er achtmal auf ihn schoss.
Der Prozess entwickelte sich dann zu einer Vorführung, die große Ähnlichkeit hatte mit einem von Parker organisierten Kampf. Die Pflichtverteidigerin Trish Cashman war nur bestrebt, ihrem 37-jährigen Mandanten ein Todesurteil zu ersparen. Sie verfolgte dabei eine einfallsreiche, aber auch sehr einseitige Verteidigungsstrategie. Sie stellte Anderson als sympathisches Opfer und Parker als den Bösen dar. Sie heuerte sogar einen PR-Berater an, um diese Darstellung zu verbreiten. Sogar Parkers Schwester sagte für Anderson aus. Es wurde jedoch versäumt, ein psychiatrisches Gutachten erstellen zu lassen. Die Angriffe und die Einschüchterungsversuche von Parker wurden auch nicht als Beweismittel eingebracht.
Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Lawson Lamar, hielt dem denn auch entgegen, dass Anderson, der schließlich davon gelebt hätte, Menschen bewusstlos zu schlagen, sein Opfer auf grausamste Art und Weise erschossen hätte. Anderson hätte Parker geradezu methodisch erschossen, angefangen bei den Knien und sich dann den Körper weiter hoch arbeitend, wobei er den Penis nicht ausließ. Der Staatsanwalt sagte: „I’ve been here a long time and this is one of the worst I’ve ever seen.”
Die Jury, die sechs Stunden beraten hatte, erkannte Tim “Doc“ Anderson für schuldig des vorsätzlichen Mordes an Rick “Elvis“ Parker. Der Richter verhängte eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne das Recht auf vorzeitige Entlassung. Nach der Urteilsverkündung beschwerten sich mehrere Geschworen öffentlich über die Höhe des Urteils. Wenn sie das Strafmaß vorher gewusst hätten, hätten sie anders geurteilt, zumal sie in dem Glauben gehandelt hätten, über das Strafmaß mitentscheiden zu können.
© Uwe Betker
Boxen Gutsherrenart (1)
In dem Rückblick von Sauerland Event auf „das Sauerland Jahr 2010“ ist zu lesen: „Dezember: Marco Huck kommt gegen WBO-Pflichtherausforderer Denis Lebedev mit einem blauen Auge davon. Heimvorteil und Weltmeisterbonus waren am Ende wohl ausschlaggebend. Der Russe, der mit seinem Verhalten innerhalb und außerhalb des Rings viele Fans hinzugewonnen hat, darf dank seiner starken Leistung auf eine baldige weitere WM-Chance innerhalb des geplanten Cruisergewicht-Super Six hoffen.“
Einige Dinge fielen mir dabei auf.
Der berliner Veranstalter gibt zu, dass Muamer Hukic alias Marco Huck bei seinem letzten Kampf „mit einem blauen Auge davon“ kam. Sie erkennen wohl, dass die Mehrheit der Zuschauer Huck als klaren Verlierer sah. Mit der Begründung dafür, dass er trotzdem seinen Titel behalten durfte, „Heimvorteil und Weltmeisterbonus waren am Ende wohl ausschlaggebend“, habe ich allerdings meine Schwierigkeiten. Man könnte es auch deutlicher formulieren: Die Unfähigkeit der zwei Punktrichter Lahcen Oumghar und Manuel Oliver Palomo, das Geschehen im Ring in ein angemessenes Urteil umzuwandeln, rettete Huck seinen WBO WM-Gürtel im Cruisergewicht.
Es ist auffällig, wie leicht den PR-Abteilungen der Veranstalter aber auch den Kommentatoren von Boxkämpfen die Begriffe „Heimvorteil und Weltmeisterbonus“ in die Tasten fließen bzw. über die Lippen kommen. Dabei verdienen beide Begriffe eine genauere Betrachtung und eine kritische Reflexion. Fangen wir hier also damit an!
In den Regelwerken der nationalen Verbände wie auch der Weltverbände sind beide Begriffe nicht zu finden. Selbst auf Wikipedia findet man hierzu nichts. Wenn man nun keine Definition von Heimvorteil und Weltmeisterbonus finden kann, ist es wohl am praktikabelsten, sich ihnen über den allgemeinen Sprachgebrauch anzunähern.
Täuscht mich meine Wahrnehmung nicht, so wird immer dann von Heimvorteil und Weltmeisterbonus gesprochen, wenn einem Boxer oder einer Boxerin ein oder mehrere Runden oder sogar ein ganzer Kampf zugesprochen wird, den er oder sie gar nicht gewonnen hat. Damit hat sich das Boxen dem Ruch der Willkür, des Betrug und der Korruption ausgesetzt. Um dem nun entgegen zu wirken, wird dann gerne eine Pseudo-Regel des Boxens angeführt, die besagt: Ist eine Runde ausgeglichen, so wird sie automatisch dem Titelverteidiger oder dem Heimboxer zugesprochen. Würde sich der Heimvorteil bzw. der Weltmeisterbonus wirklich nur auf diesen Fall beziehen, hätte wohl keiner ein Problem damit. Dem ist aber leider nicht so. Leider hat sich gerade in Deutschland ein Umgang mit dem „Heimvorteil und Weltmeisterbonus“ eingebürgert, der den Verdacht nahe legt, dass man als auswärtiger Boxer nur durch KO gewinnen kann.
Man könnte also sagen: Immer wenn von Heimvorteil und Weltmeisterbonus gesprochen wird, soll damit wohl verschleiert werden, dass ein Boxer oder Boxerin um die Früchte seiner/ihrer Arbeit gebracht wurde. Auch wenn einige TV-Kommentatoren anderer Meinung sind, so geht es mir doch so, dass ich, wenn jemand um seinen verdienten Lohn gebracht wird, mich darüber nicht freuen kann, auch dann nicht, wenn der Nutznießer hiervon ein Deutscher oder ein für einen deutschen Veranstalter boxender Mann oder Frau ist.
Die Verteidiger des Heim- und Weltermeisterbonus argumentieren gerne folgendermaßen: „Die Anderen machen das ja auch. Unseren Axel Schulz wurde gegen George Foreman und unseren Felix Sturm wurde gegen Oskar De La Hoya auch betrogen! Wir haben nur von ihnen gelernt.“ Gut, ich stimme dem zu, es ist so, dass sowohl Schulz als auch Sturm um ihren verdienten Sieg gebracht wurden. Aber wollen wir denn ein Boxen, wo das die Regel ist?
Wollen wir ein Boxen, bei dem ein deutscher Boxer im Ausland automatisch verliert, nur weil er nicht der Heimboxer ist? Wollen wir ein Boxen, bei dem nicht mehr ausgetragen werden soll, wer der Bessere ist? Wollen wir ein Boxen, bei dem nur noch entscheidet, wer Titelträger ist oder den mächtigeren Veranstalter hinter sich hat, der seine Kämpfe ausrichtet?
Wenn Punktrichter in, wie es scheint, vorauseilendem Gehorsam den Veranstaltern einen Gefallen tun, indem sie sich über das reale Kampfgeschehen hinwegsetzen und so punkten, dass sie dem Heimboxer oder dem Titelverteidiger den Sieg zuschustern, dann wird das Ergebnis eines sportlichen Wettkampfes zum Willkürakt. Wenn TV Kommentatoren krasse Fehlurteile mit Heimvorteil und Weltmeisterbonus schönreden, beschönigen sie, wie ich finde, auch, wenn Boxer und Zuschauer betrogen werden und machen sich damit zum Büttel von Veranstaltern, die den Sieg ihres Boxers als ihr verbrieftes Privileg ansehen. Das nenne ich dann Boxen nach Gutsherrenart.
© Uwe Betker