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Rezension: Szczepan Twardoch „Der Boxer“

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09.04.1988 fand einer der ganz großen Boxkämpfe im Cruisergewicht statt; es boxten Evander Holyfield und Carlos De León gegeneinander. Eine Beschreibung dieses Kampfes, der als brutal und doch als zugleich von einer großen Schönheit bestimmt wird, fungiert im Buch als Schlüsselszene, die man als Bild, das eine pointierte Zusammenfassung des Romangeschehens enthält, lesen kann: „Holyfield bearbeitete de Leóns Rumpf, drückte ihn die ganze Zeit in die Seile, dann verlegte er seine Drescharbeit auf de Leóns Kopf, de León versuchte ein paar Erwiderungen, doch schwach waren seine Schläge, ganz schwach. […]
Den Rest der Wiederholung haben sie gekürzt, gleich nach Tysons Kommentar kam die siebte Runde. Holyfield traf de León mehrmals am Kopf, sodass er sich nur noch mit Mühe auf den Beinen hielt. In der achten ein Massaker: de León nur deshalb noch aufrecht, weil er in den Seilen hing, Holyfield demolierte seinen Kopf, schließlich brach der Ringrichter den Kampf ab.
Ich bewunderte de Leóns Niederlage zutiefst. Solche Prügel einzustecken und weiter auf den Beinen zu bleiben … Das war schon was.“ [Twardoch „Der Boxer, Seite 148f]
Ebendiesen Kampf sieht der Erzähler, Mojzesz Bernstein, während er die/seine Geschichte niederschreibt bzw. sie in Rückblicken erzählt. Er erinnert sich an seine Jugend als armer Jude in Warschau, dem Warschau vor dem Einmarsch der Nazis. Das Zwischenkriegs-Polen des Jahres 1937 bildet den historischen Hintergrund, ein Polen, das nach dem Tod Jozef Pilsudskis (1935) politisch wie ethnisch zerriss. Rechte und Linke, Faschisten, Antisemiten, Juden, Gangster und korrupte Politiker standen sich in einem gnadenlosen Kampf gegenüber, in dem keine Seite auch vor den abscheulichsten Taten nicht zurückschreckte. Diese historische Situation, in der ein Putsch rechtsnationaler und rechtsradikaler Kräfte in der Luft lag, polnische Juden, rund 10 % der polnischen Bevölkerung, immer stärker diskriminiert wurden und es zu Boykotten und Pogromen kam, liefert die aufgeladene Atmosphäre für die Romanhandlung. Wir erfahren auch, dass an Universitäten so genannte „Hörsaal-Ghettos“ eingeführt wurden, d.h. für jüdische Studenten wurden ausgewiesene Bänke eingerichtet, auf denen sie zu sitzen hatten.

Der 17-Jährige Bernstein wird Zeuge, wie sein Vater von dem Titelhelden Jakub Shapiro auf bestialische Weise getötet, zerstückelt und entsorgt wird. Dennoch lässt er sich später von eben jenem Shapiro als Ziehsohn aufnehmen. Den Anfang der Beziehung markiert ein Amateurboxkampf, bei dem der Jude Shapiro auf den katholischen Polen Andrzej Ziembinski trifft, einen Faschisten, blond und groß, „wie die deutschen Sportler, arische Halbgötter auf den Fotos und Zeichnungen, die man manchmal in den Illustrierten fand.“ Shapiro strahlt eine andere Art von Schönheit aus, er ist „anders schön als Ziembinski, eine gleichsam finstere Art von Schönheit.“ Shapiro gewinnt durch KO und verschafft den unterdrückten Juden im Publikum dadurch eine kurzzeitige Genugtuung. Das gibt auch den Ausschlag dafür, dass Bernstein sich ihm anschließt. In der Folge wird er Shapiros Handlanger. Er lernt das Boxen und er begleitet Shapiro, auch zu dem (nicht-jüdischen) Unterwelt-Paten Jan Kaplica, in dessen Diensten der Boxer steht, dessen „rechte Hand“ er ist, sein Mann fürs „Grobe“. Shapiro treibt Schutzgelder ein, führt Straßenschlachten, begeht gelegentlich Morde und beseitigt Leichen. Im Warschau jener Zeit, das wird überdeutlich, geht es in erster Linie ums Überleben.
„Der Boxer“ ist kein Buch für Zartbesaitete. Es ist ein brutales Buch. Es ist sehr brutal. Gegen Ende des Buches meint man, der Brutalität nun endlich entronnen zu sein. Aber weit gefehlt! Die letzten eineinhalb Seiten stellen an Grausamkeit noch mal alles Vorangegangene in den Schatten. Der Autor zerstört hier noch seine letzten überlebenden Figuren. Wie schon gesagt: „Der Boxer“ ist nichts für Zartbesaitete.
„Der Boxer“ von Twardoch kommt daher als rasante, atmosphärisch dichte Gangsterballade, enthüllt dem genaueren Blick aber noch sehr viel mehr. Es geht nämlich hier um Schönheit, um eine Schönheit der Sprache und Schönheit auch im Schrecken.
Twardoch ist nicht nett zu seinen Figuren. Er drückt zwar schon eine gewisse Sympathie für sie aus, gleichwohl versetzt er sie mitleidlos in eine Hölle, in der es keine Zuneigung und kein Miteinander gibt. Alle auftretenden Personen sind mehr oder weniger böse und vor allem leben sie in einer brutalen Welt, die sie nur ihre schlechtesten Eigenschaften entwickeln lässt. Einigen wenigen Figuren gewährt Twardoch ein Überleben, aber damit noch lange kein „Happy End“. Unter dem Schatten des kommenden Holocaust gerät ein solches Überleben noch brutaler, grausamer und härter als der Tod.
Trotz aller Schmissigkeit und Rasanz haben wir es mit einer komplexen Geschichte zu tun. Das Buch bewegt sich auf verschiedenen Ebenen. Zunächst einmal haben wir verschiedene Zeitebenen, 1937 in Warschau und 1988 in Israel. Es hat auch eine metaphysische Ebene, die ihren Ausdruck findet in dem nur für wenige sichtbaren, durch die Luft schwebenden Pottwal, der sich von schwarzer Milch ernährt, womit dann schon gleich diversre literarische Bezüge angedeutet werden (Herman Melville, Thomas Hobbes und Paul Celan – ich höre schon auf). Schließlich verschwimmen die Grenzen der erzählten Realität immer mehr. Im Verlauf der Lektüre gerät man in wachsende Zweifel an der Identität des Erzählers. Ist es wirklich Bernstein, der sich jetzt Mojzesz Inbar nennt, ein ehemaliger Militär und ein alter, gebrochener Mann, der sich da erinnert, oder womöglich Shapiro?
„Der Boxer“ von Szczepan Twardoch ist schlicht ganz große Literatur. Seit ewigen Zeiten ist mir kein literarisches Werk untergekommen, das mit einer solchen sprachlichen Kraft und Intensität auf mich gewirkt hätte. Und ich finde auch, es ist ein Muss für jeden Boxfan, Boxer, Trainer, Leser und Nicht-Leser.
(C) Uwe Betker

Boxen im Film: Stanley Kubrick (2) „Der Tiger von New York“

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Stanley Kubrick (26. Juli 1928 in New York, USA – 07. März 1999 im Childwickbury Manor bei London, Großbritannien) galt als Filmregisseurgenie. Seine Filme 2001: Odyssee im Weltraum, Uhrwerk Orange und Shining haben Kultstatus erreicht.
Mit dem Thema Boxen beschäftigte Kubrick sich mehrfach. Sowohl sein erster Film überhaupt, der Dokumentarfilm „Day of the Fight“ (1950), als auch sein zweiter Spielfilm „Der Tiger von New York“ wählten Boxen und Boxer zum Gegenstand der Handlung.
„Killer’s Kiss“, wie der Originaltitel von „Der Tiger von New York“ lautet, wurde 1955 von dem erst 26-jährigen Kubrick in Schwarz-Weiß gedreht. Es ist ein Low-Budget-Film. Freunde und Verwandte hatten etwa 40.000 US-Dollar aufgebracht, damit Kubrick den Film drehen konnte. Stilistisch wurde es eine Mischung aus Film noir und Melodrama. Man kann ihn auch als Kriminalfilm bezeichnen oder, genauer gesagt, als Kriminal- und Liebesfilm.
Ästhetisch ist der Film geschult an den ausdrucksstarken Bildern in Schwarz-Weiß der Filme der „Schwarzen Serie“. Das erste Viertel, das von den Vorbereitungen auf einen Boxkampf und dem Boxkampf selber handelt, ist stark angelehnt an Kubricks dokumentarischen Kurzfilm „Day of the Fight“. Wer diesen kennt, dem fallen sogleich Gesten und Handlungen des Protagonisten sowie Kameraeinstellungen auf, die er wiedererkennt.
(https://betker.wordpress.com/2017/07/16/boxen-im-film-stanley-kubricks-day-of-the-fight/)
Ein großer Teil des Films wurde in den Straßen von New York gedreht. Durch dieses Drehen „on location“ erhält der Krimi den Anschein von Authentizität. Selbst äußerte Kubrick dazu: „Der Film gibt keinen sehr tiefgründigen Einblick in New York. Es handelt sich ganz einfach um die Standardkulisse eines in New York spielenden Kriminalfilms. Das ist ein nachgemachter Dokumentarfilm.“ Offensichtlich maß er den Außenaufnahmen keine tiefere Bedeutung zu. Dennoch haben sie einerseits eine ästhetische Qualität, die nicht zu unterschätzen ist, und andererseits geben sie dem Film einen dunklen und melancholischen Ton.
Die Handlung beginnt auf einem Bahnhof in New York City, vermutlich Grand Central Station. Davey Gordon (Jamie Smith) führt einen inneren Monolog und fragt sich, wie er in diese Schwierigkeiten hatte geraten können. Er erinnert sich an einige Tage im Rückblick.
Gordon, ein mäßig erfolgreicher Profiboxer, der seine besten Tage hinter hat, lebt in einem bescheidenen Apartment in New York. Er bereitet sich vor und wartet auf seinen letzten großen Kampf, den er dann verliert.

Im gegenüberliegenden Appartement lebt die attraktive Gloria Price (Irene Kane), die als Tänzerin in einem Club arbeitet. Sie wird von ihrem Arbeitgeber, dem Nachclubbesitzer und Gangster Vincent Rapallo (Frank Silvera), bedrängt.
Price und Gordon verlieben sich ineinander. Sie wollen zusammen die Stadt verlassen. Rappallo ist eifersüchtig. Er lässt Price entführen und will Gordon umbringen lassen. Dabei stirbt dann Gordons Manager.
Gordon versucht, Price zu befreien. Dabei kommt es zu einem tödliches Duell mit Rappallo in einer Fabrik für Schaufensterpuppen. Gordon und Price werden getrennt voneinander von der Polizei verhört. Gordon wird nicht angeklagt, da es sich in den Augen der Polizei um Notwehr handelte, und freigelassen. Er beschließt die Stadt zu verlassen und wartet am Bahnhof auf seinen Zug – die Anfangsszene des Films. Kurz vor Abfahrt des Zuges taucht Gloria auf, beide küssen und umarmen sich – ein klassisches Happy End.
„Der Tiger von New York“ ist noch kein klassischer Stanley Kubrick Film. Er ist nicht bombastisch und ausufernd wie die bekannten Filme der zweiten Hälfte seiner Schaffensphase. Es ist ein guter und kleiner Genrefilm mit einem tollen Duell in einer Schaufensterpuppenfabrik. Aber Kubrick wäre nicht Kubrick, hätte er dem Genre nicht etwas Neue abgewinnen können. Wenn man genau hinsieht und -hört, wird man bemerken, dass Kubrick seinem Protagonisten nämlich das glückliche Ende nicht gönnt. Aber wie gesagt, man muss schon bei der Sache sein, um dem versöhnlichen Touch des Endes nicht aufzusitzen. Mehr möchte ich hier nicht verraten. Man kann nur jedem empfehlen, sich „Der Tiger von New York“ anzusehen.
© Uwe Betker

Rezension: Der Film „Herbert“ von Thomas Stuber – ein großartiger Film

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Es gilt hier ohne Wenn und Aber einen Film zu loben, einen deutschen Film, den Film „Herbert“ von Thomas Stuber. Die wenigsten dürften „Herbert“ im Kino gesehen haben. Also müssen sie sich nun die DVD, die gerade erschienen ist, kaufen. „Herbert“ ist ein grandioser Film. Einen Film von solcher Qualität und Tiefe und mit zudem einem Hauptdarsteller, der eine solche schauspielerische Leistung darbietet, bekommt man nur alle Jubeljahre mal zu sehen.

(C) Wild Bunch Germany

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Das Genre des Boxerfilms ist ja nun weitestgehend durchdekliniert. Die mythischen Geschichten von Sieg und Niederlage, von Aufstieg, Kampf und Fall, sind vermutlich schon hundertfach erzählt worden. – Geschichten über einen Boxer, der Schwierigkeiten überwindet, der durch harte Kämpfe geht, die ihn leiden und bluten lassen, und der schließlich sein Ziel erreicht oder aber scheitert. Oder Boxerfilme, die sich am Aufstieg und Fall von realen Boxern orientieren. Garniert wird das alles immer mit Kampfszenen. Wie gesagt, alles schon ein paar Dutzend Male gesehen und seit Jahren dabei nichts Neues entdeckt.

(C) Wild Bunch Germany

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„Herbert“ ist eine ganz andere Art von Boxerfilm. Er ist härter, ungeschönter, realistischer als die meisten. „Herbert“ ist wahrhaftig.

(C) Wild Bunch Germany

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Held des Films ist, wie könnte es anders sein, Herbert, ein Brocken, ein Berg von einem Mann. Er ist zwar nicht mehr der jüngste, aber seine Fäuste, seine Muskeln und seine abgebrühte Brutalität sind noch immer sein Kapital. Er verdingt als Geldeintreiber, Türsteher und, wenn es denn der Job erfordert, auch schon mal als Knochenbrecher. Nebenbei trainiert er einen jungen aufstrebenden Amateurboxer, den er auf seinen ersten Titelkampf vorbereitet.

(C) Wild Bunch Germany

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Herbert ist jemand, der niemanden emotional an sich heranlässt. Weder seine Freundin, die er immer wieder wegstößt, noch seinen Boxer noch auch seine schon lange erwachsene Tochter, die er seit ihrem sechsten Lebensjahr nicht mehr gesehen hat, kommen ihm sonderlich nahe. Nur zu seinem Auftraggeber, für den er Schulden mit Wucherzinsen eintreibt, scheint er ein etwas tieferes Gefühl zu entwickeln.

(C) Wild Bunch Germany

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Wir beobachten, wie Herbert, der Mann, der sich immer über seine Physis definiert hat, vor unseren Augen auseinanderfällt und zergeht. Er verliert buchstäblich die Kontrolle über seinen Körper und damit über sein gesamtes Leben. Er hat ALS, eine Erkrankung des Nervensystems, die zu Muskelzucken, Muskelschwund, Schwächung der Sprach-, Kau- und Schluckmuskulatur usw. führt.

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Der Film zeigt den schmerzhaften letzten Kampf, den Herbert zu bestreiten hat. Er versucht, die verbleibende Zeit sinnvoll zu nutzen. Er versucht, Gefühle zuzulassen. Den Rest der Handlung verschweige ich hier. Nur das eine sei noch gesagt: Dem Zuschauer wird kein nettes zuckersüßes Happy End vorgesetzt. Es gibt keine Erlösung.

(C) Wild Bunch Germany

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Herbert“ wurde in Leipzig und Halle gedreht. Es handelt sich um das Spielfilmdebüt des Regisseurs und Co-Drehbuchautor Thomas Stuber. Der war Gewinner des Studenten-Oscars und des Deutschen Drehbuchpreises. Und Stuber ist außerdem ein ausgewiesener Kenner der ostdeutschen Boxszene.

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Sehr positiv ist, dass Regisseur und Drehbuchautor, Clemens Meyer, den Zuschauern nicht alles erklären. Es wird nicht gesagt, warum Herbert eigentlich so ist, wie er ist. Nur einen Hinweis bekommen wir, der auf den Rücken von Herbert tätowiert ist: Torgau. Der Zuschauer muss hier allerdings schon wissen, wer oder was Torgau nun ist, oder er muss sich eben erkundigen. Der Film jedenfalls bietet keine Erklärung, wie sie dem Zuschauer sonst so häufig aufgezwungen wird, weil viele Macher von Filmen ihren Bildern und ihren Zuschauern nicht trauen mögen.

(C) Wild Bunch Germany

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Ein paar Worte über den Schauspieler Peter Kurth. Kurth wurde 2014 als „Schauspieler des Jahres“ ausgezeichnet. Dies ist der wichtigste Preis des deutschen Theaters. Für „Herbert“ bekam er den deutschen Filmpreis 2016 als bester Hauptdarsteller, und das nun wirklich zu Recht. Er spielt geradezu beängstigend gut. Auf der Leinwand bzw. auf dem Bildschirm strahlt er eine unglaubliche Präsenz aus.

(C) Wild Bunch Germany

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Auf die Rolle hat Kurth sich ein halbes Jahr vorbereitet. Er begann mit dem Boxtraining und nahm 14 Kg an Körpergewicht zu. Da der Film chronologisch gedreht wurde, sehen wir, wie Kurth als Herbert im Film immer mehr an Gewicht verlieren.

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Nochmals: Der Film „Herbert“ von Thomas Stuber ist einfach großartig. Er bereichert das Genre Boxerfilm um eine ganz neue Fassette. Den Film muss man gesehen haben.

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(C) Uwe Betker