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Über den Umgang mit Doping

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Immer wenn ein Dopingfall bekannt wird und ich hier etwas darüber bringe, dann bekomme ich jedes Mal mehr oder weniger dieselben Mails und Kommentare. Inhaltlich geht das immer in die gleiche Richtung. „Lass doch mal gut sein.“ „Das schadet doch nur dem Sport.“ „Alles nicht so schlimm.“ „Das ist eine Kampagne gegen XY.“ Wenn man das dann so liest, könnte man schon auf die Idee kommen, dass Doping doch gar nicht weiter schlimm ist.
Sieht man sich auch mal Lance Armstrong, den unumstrittenen Weltmeister der Doper, an, dann kann man wirklich den Eindruck gewinnen, Doping ist völlig harmlos. Es geht doch nur um ein paar Meter, um ein paar Sekunden, die einer schneller ist als ein anderer. Es kommt nicht wirklich jemand zu Schaden. Und dem Zuschauer ist doch letztlich egal, ob der eine oder andere Fahrer als erstes durchs Ziel fährt.
Die Haltung nahezu sämtlicher Sportverbände der Welt scheint da ähnlich zu sein. Doping ist lästig, aber irgendwie auch nicht schlimm. Kein Deutscher will auch etwas über Doping im Fußball wissen. Unsere Jungs machen so etwas einfach nicht. Die schöne heile Fußballwelt darf nicht kaputt gemacht werden. Die Verbände wollen offenbar auch gar nicht gegen Doping vorgehen.
Das ist ein Standpunkt, den man sich natürlich zu Eigen machen kann. Ist man nicht gerade Fan, dann ist es wirklich egal, ob jemand einen Zentimeter weiter springt, eine zehntausendstel Sekunde schneller ist oder meinetwegen auch, wer Weltmeister wird. O.K. Nur, dass Boxen nicht wie andere Sportarten ist, wo das eben egal ist.
Boxen ist nicht wie andere Sportarten. Beim Boxen geht es, brutal gesprochen, darum, den Gegner mit der Faust gegen den Kopf zu schlagen. Bei diesem Schlag wird das Gehirn nach hinten, also Richtung hintere Schädeldecke, geschleudert. War es ein richtig guter Schlag, dann schießt die Gehirnflüssigkeit, die das Gehirn als Polster umgibt, nach vorn, Richtung Stirn, und das Gehirn prallt ungepolstert an die hintere Schädeldecke. Die Folgen sind kleine und große Gehirnerschütterungen. Die führen zu chronischen und irreversiblen Schäden. Das nennt sich dann CTE (chronisch traumatische Enzephalopathie), Punch Drunken (Dementia pugilistica), Depressionen, Psychosen, Parkinson, völlige Demenz und vorzeitiger Tod.
Beim Boxen geht es also eben nicht um ein paar Zentimeter oder ein paar Millisekunden. Beim Boxen geht es um Leben und Tod. Das bringt die Sache dann auf eine Ebene von Täter und Opfer. Über die Opfer wollen wir aber nicht so gerne reden, womit wir sie zum zweiten Mal zum Opfer machen. Dem Täter, wenn er sich hat erwischen lassen und es nun mal gar nicht anders geht, klopft der Verband dann mal auf die Finger und sperrt ihn für ein paar Monate. Danach macht eben dieser Täter munter weiter, zum Teil dopt er auch weiter. Das haben wir hier in Deutschland wohl schon erlebt.
Stellen wir uns vor: Ein Profiboxer steigt in den Ring. Er ist selbstbewusst. Er ist davon überzeugt, dass es hier darum geht, sein Können und seine Kraft mit einem Gegner zu messen. Der boxt mehr oder weniger in der gleichen Gewichtsklasse und mit gleichen Mitteln, nämlich mit Boxhandschuhen und Bandagen. Wären nur das die Ausgangsbedingungen, so würde bei einem Boxkampf derjenige gewinnen, der härter trainiert hat, der der bessere Boxer ist und der mit seinen Fähigkeiten am besten umgehen kann. Aber das passiert genau nicht, wenn einer der beiden gegnerischen Boxer ein Betrüger ist und gedopt hat.
Schauen wir nun auch auf die Opfer und nicht auf die Täter. Schauen wir auf den Fall David Price. Price galt 2012 als der kommende Schwergewichtler. Er war der ungeschlagene britische Meister und Commonwealth Meister. Dann traf er im Februar 2013 auf Tony Thompson, der seinen letzten Kampf gegen Wladimir Klitschko verloren hatte. Price nahm in der zweiten Runde eine Rechte zum Kopf, ging runter und kam wieder hoch. Aber der Ringrichter nahm ihn aus dem Kampf. Dies war die erste Niederlage für Price.
Direkt in seinem nächsten Kampf, am 06.07.2013, wollte Price die Scharte auswetzen und trat erneut gegen Thompson an. Price schlug seinen Gegner in der zweiten Runde zu Boden. Nun suchte er den KO. Auch in der dritten Runde standen beide Kontrahenten Fuß an Fuß und deckten sich mit Schlägen ein. Price wurde müde, Thompson nicht. Ende der fünften Runde ging Price zu Boden, nachdem er mehrere Körperhaken und einen Aufwärtshaken nehmen musste. Und das war dann auch das Ende des Kampfes. Thompson war in diesem Kampf gedopt.
Man kann sagen: Price ging KO, weil Thompson ein Betrüger ist und gedopt war. Das hilft aber dem Boxer nicht, der die Niederlage verkraften muss. Er wechselte zu Sauerland und gewann vier Kämpfe in Folge. Dann traf er am 17.07.2015 auf Erkan Teper und ging Anfang der zweiten Runde KO. Wieder war sein Gegner gedopt. Vollkommen absurd, dass Teper bereits in seinem Kampf gegen Newfel Ouatah, vom 13.06.2014, positiv getestet worden war.
Wir können sehr sicher sein, dass Price nicht gegen Teper geboxt hätte, hätte er gewusst, dass der ein überführter Doper ist. Aber Tepers Doping wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt und seine Sperre war so kurz, dass sie gar nicht auffiel.
Man kann nur darüber spekulieren, wo Price heute stehen könnte, hätte er diese beiden Kämpfe gegen Doper nicht bestritten oder hätte er sie gewonnen. Er ist 33 Jahre alt und die Zeit läuft im weg. Ob er jemals einen WM Kampf bekommen wird, das ist sehr die Frage.
Klar kann man sagen: Was interessiert mich ein David Price? Es geht hier aber nicht um Price als Person. Price steht für all die Boxer, die fair kämpfen und die von einem Gegner, der betrügt, um den Lohn ihrer Arbeit gebracht werden. Genau darum geht es nämlich, den Lohn. Jeder Preisboxer hat für seine Profession nur eine bestimmte Zeit zur Verfügung. Er muss versuchen, so weit wie möglich zu kommen und so gut wie möglich für seine Zukunft und die Zukunft seiner Frau und seiner Kinder, zu sorgen.
Ein dopender Boxer verschafft sich deshalb nicht nur einen illegalen Vorteil, sondern er beschädigt die Karriere eines anderen, nämlich eines fair agierenden Boxers. Und mehr noch. Er zerstört dadurch womöglich dessen gesamte Zukunft und die Zukunft der Kinder seines Opfers.
Doping ist eine Seuche. Es handelt sich genau nicht um Einzelfälle. Man muss sich nur einmal eine beliebige Liste der Dopingfälle im Boxen heraussuchen – wohlgemerkt, es gibt Verbände die das Doping ihrer Mitglieder nicht anzeigen, manche meinen sogar, es vertuschen zu müssen. Es gibt auch nicht überall Trainingskontrollen, was dem Doping Tür und Tor öffnet. Hinzu kommt, dass neuen Dopingmittel, noch gar nicht auf der Liste der verbotenen Substanzen stehen. Und entsprechende Testverfahren hinken der Entwicklung der Mittel hoffnungslos hinterher.
Die folgenden Namen findet man auf Wikipedia unter „Doping cases in boxing”:
Mikhail Aloyan
Rosendo Álvarez
Chris Arreola
Dennis Bakhtov
Raymundo Beltrán
Andre Berto
Mickey Bey, Jr.
Francois Botha
Shannon Briggs
Lucas Browne
Lucian Bute
Mariano Natalio Carrera
Julio César Chávez Jr.
Andrzej Fonfara
Ali Funeka
Kid Galahad
Yuriorkis Gamboa
Juan Carlos Gómez
Joan Guzmán
Greg Haugen
Evander Holyfield
Lloyd Honeyghan
Guillermo Jones
Roy Jones Jr.
Vitali Klitschko
Mehrullah Lassi
J’Leon Love
Enzo Maccarinelli
Brian Magee
Ricardo Mayorga
Jameel McCline
John Molina Jr.
Érik Morales
Tommy Morrison
Shane Mosley
David Munyasia
Anoushiravan Nourian
Michael O’Reilly
Fres Oquendo
Luis Ortiz
Eloy Pérez
Lamont Peterson
Frankie Randall
Brandon Ríos
Luis Román Rolón
Omar Niño Romero
Orlando Salido
Sam Soliman
Felix Sturm
Johnny Tapia
Antonio Tarver
Erkan Teper
Tony Thompson
Juho Tolppola
James Toney
Félix Trinidad
Manuel Vargas
Fernando Vargas
Mariusz Wach
Manju Wanniarachchi
Pernell Whitaker
Dillian Whyte
Jez Wilson
Das Problem mit Doping ist: Den Einen ist es egal und die Anderen wollen nichts tun. Für die meisten nationalen und internationalen Verbänden ist Doping ein Thema, mit dem sie sich nur ungern oder gar nicht beschäftigen mögen. Juristisch ist Dopern in der Regel nicht beizukommen. Wie kann man einen Schaden, der entstanden ist, in einer Schadensersatzklage beweisen. Bestreitet man einen Ausscheidungskampf, dann hat man ja den Kampfvertrag für die WM und die Werbeverträge nach einer gewonnenen WM noch nicht in der Hand.
Kein Boxer kann in zehn oder zwanzig Jahren beweisen, dass er den Hirnschaden, an dem er leidet, gerade in dem Kampf erlitten hat, bei dem sein Gegner betrogen/gedopt hatte. Wir sind wieder da angekommen, wo wir angefangen haben. Beim Boxen geht es um Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit und um Geld und kein Geld.
Müssen wirklich erst ein paar Tote im Ring rum liegen, erschlagen von gedopten Betrügern, bevor das Problem Doping im Boxen ernst genommen wird?
© Uwe Betker

Written by betker

12. November 2016 at 23:59

Veröffentlicht in Boxen

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Eine ansteckende Seuche

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Es scheint eine ansteckende Seuche zu sein, eine Epidemie, wenn nicht sogar eine Pandemie. Diese schier unausrottbare Seuche heißt: Unwürdige Gegner. Das neuste Opfer, das wir zu beklagen haben, ist Felix Sturm.
Der World Boxing Association Super Champion Felix Sturm (37 Kämpfe, 34 Siege, 14 durch KO, 2 Niederlagen, 1 durch KO, 1 Unentschieden) ist jetzt wohl auch von dieser heimtückischen Seuche infiziert worden. Wie ist es denn sonst zu verstehen, dass er am 19.02.2011 gegen Ronald Hearns boxen will. Zugegeben, Hearns (27 Kämpfe, 26 Siege, 20 durch KO, 1 Niederlage, 1 durch KO) hat eine guten Kampfrekord. Der übertragende Sender SAT 1 ist bestimmt auch dafür dankbar, dass über Hearns eine wunderbare „Homestory“ zu machen ist. Er ist schließlich der Sohn des legendären Thomas „The Hitman“ Hearns, des ehemaligen Weltmeisters im Welter-, Junior Mittel- und Mittelgewicht.
Aber der schöne Kampfrekord von Hearns Jr. kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein Gegner ist, der keinen WM-Kampf verdient hat. Er boxte noch nie gegen einen namhaften Boxer. Sein letzter Gegner war Robert Kliewer (15.10.2010, TKO 6), der 7 seiner letzten 8 Kämpfe verlor, 5 sogar durch KO. Sein vorletzter Gegner, Delray Raines (17.04.2010, KO 1), hatte 1 Unentschieden, 1 Niederlage, 2 Siege, 1 Niederlage, 1 Sieg, 1 Niederlage, 1 Sieg, 1 Niederlage usw., bevor er auf Hearns traf. Der Gegner davor, Martez Logan (27.03.2010, W 6), brachte es gar auf 10 Niederlagen in Folge. Das waren die Gegner von Hearns im letzten Jahr und auch insgesamt entspricht das der Qualität an Boxern, gegen die er bis jetzt so boxte. Trifft er dann mal auf einen besseren, wie Harry Joe Yorgey (22 Kämpfe, 21 Siege, 9 durch KO, 1 Unentschieden), verliert er auch prompt (28.03.2009) durch KO in Runde 9.
Es ist dann auch nicht weiter verwunderlich, dass Hearns in der unabhängigen Weltragliste nur auf Position 64 geführt wird. Die WBA führt ihn in ihrer Rangliste bis jetzt überhaupt noch nicht. Wie dieser Verband dann auf die Idee kommen kann, diesen Kampf überhaupt zu sanktionieren, ist mir ein Rätsel.
Ich gebe zu, es hätte bei 1086 gerankten Boxern im Mittelgewicht auch noch schlimmer kommen können. Sturms Matchmaking weist für mich da doch große Ähnlichkeit auf mit dem von Taouab Mohamed Hedi von Universum Boxpromotion. Naiv wie ich bin, habe ich Sturm aber zunächst geglaubt, als er verkündete, es besser machen zu wollen als sein alter Arbeitgeber Universum. Aber da habe ich mich wohl gewaltig geirrt.
Adnan Catic, der sich, seit er Profi ist, Felix Sturm nennt, hatte sich nach seinen juristischen Querelen mit Klaus-Peter Kohl und der damit verbundenen Zwangspause mit seinem Punktsieg über Giovanni Lorenzo am 04.09.2010 immerhin eindrucksvoll zurück gemeldet. Aber was ihn und sein Management nun dazu treibt, seinen Ruf durch einen so schlechten Gegner direkt wieder zu beschädigen, kann ich gar nicht verstehen. Womöglich glaubt er wirklich, dass die Zuschauer nicht merken, einen wie absolut unwürdigen Gegner er da engagiert hat. Das Schicksal von Universum hätte ihm doch eigentlich zeigen sollen, dass ein solches Matchmaking nicht immer gut geht.
Es gibt nur ein Heilmittel gegen die beschriebene ansteckende Krankheit: Bessere Gegner. Alle in Deutschland boxenden Weltmeister sollten sich dazu verpflichten, gegen keinen zu boxen, der nicht unter den Top 30 der unabhängigen Weltrangliste gerankt ist.
© Uwe Betker