Es war weit nach Mitternacht, als Sieger und Besiegte vor die noch verbliebenen Journalisten und Freunde in einem weitab vom Boxring entfernten Raum traten. „Die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!“ Diese Worte Dantes aus der göttlichen Komödie schwangen wie ein Damokles Schwert über den Köpfen von Senator h.c. Ludger Inholte und Trainer Maurice Weber, die, ohne Felix Sturm, das unterlegene Team repräsentierten. Die Niederlage des 43-jährigen Leverkuseners hatte sein Umfeld tief erschüttert. „Das ist mehr als enttäuschend für mich. Ich bin gescheitert, woran weiß ich noch nicht. Das muss ich analysieren“, sagte ein sichtlich geknickter Promoter Inholte.
Es war nicht einfach eine Niederlage, die es zu verkraften gab. Es war womöglich die entscheidende Niederlage am Ende einer Jahrzehntelangen Karriere im Profiboxsport. „Ich werde mit Felix reden, wie es weitergeht, weil so schnell eine Chance mit 43 – ich weiß nicht, ob das so einfach ist, nochmal an einen Entscheidungskampf zu kommen“, so Inholte weiter. Um es aber deutlich zu sagen: Sturms Niederlage war verdient. Zu keinem Zeitpunkt fand der Leverkusener boxerische Mittel und Möglichkeiten dem aktiveren Ungarn den Schneid abzukaufen. Der Heimmatador versank in Passivität und ließ sich in der Dortmunder Westfalenhalle das Kampfgeschehen seines Gegners Istvan Szili aufdrängen.
Dabei war bereits im Vorfeld bekannt, dass Szili nur über seine Physis den Kampf gestalten konnte. Dagegenhalten sollte Sturm seinerseits mit Physis gepaart mit seinen überlegenen boxerischen Fähigkeiten. An diesem Abend reichte die Physis des Ungarns vollkommen aus, um einen sichtlich überforderten Sturm in die Schranken zu weisen. So endeten auch die Erklärungsversuche des sympathischen und engagierten Trainers Maurice Weber, der noch sichtlich unter dem Eindruck des Kampfes stand, eher in Beschreibungen, statt in Antworten. „Felix hat es auf die Dauer nicht geschafft, seinen technisch versierten Stil aufzuzwingen. Er hat es nicht geschafft, seine boxerische Linie zu finden“ Er habe aber „bis zur letzten Sekunde noch daran geglaubt, Istvan vorzeitig zu besiegen.“
Bis auf ein einziges Mal, wo Sturm im letzten Kampfdrittel in dem über die volle Distanz von zwölf Runden gehenden Kampf seinen Kontrahenten ins Wanken brachte, setzte der 43-jährige keine kampfentscheidenden Akzente. Auf Sturms Einzelaktionen reagierte Szili stets aktiver, härter und dominanter.
Nun steht der 37-jährige womöglich vor seiner größten Aufgabe im Profiboxen. Er soll Sturms Platz im Titelkampf gegen den britischen IBO-Champ Lerrone Richards einnehmen. Und nicht nur das. Inholte gab bekannt, dass er gemeinsam mit Szilis Team den Kampf managt und nach Deutschland holen möchte. Inholte: „Es war das Ziel, das Felix um die WM boxen wird. Das wird jetzt nicht der Fall sein. Der Kampf aber steht und der Gegner wird Szili sein. Ich werde den Kampf mit Eddy Hearn promoten. Wir werden wieder einen WM-Kampf sehen in Deutschland.“ Schwanengesang für Felix Sturm?
Doch neben den beiden Hauptprotagonisten Sturm und Szili muss ein besonderes Augenmerk auf den Ringrichter gelegt werden. Ingo Barrabas sah sich nach dem Ringduell massiver Kritik ausgesetzt. Zu Recht, zu Unrecht? Es ging um Kopfstöße. Absichtlich, unabsichtlich? Die Sturmtruppe beschwerte sich bitterlich, weil Kopfstöße mit Verletzung – Cuts über den Augen –maßgeblich zum Verlauf des Kampfes beitragen können und dies auch taten?! Leider war es nicht möglich, die Aktionen, die zu dem Cut führten, schlüssig und abschließend zu bewerten, da sich entweder Amateur-/Privatfotografen, Privatpersonen ohne Sitzplatz, Personal und andere Personen zeitweise so eng, dicht und hoch um den Ring herum gruppierten, dass es kaum möglich war, dem Kampfgeschehen zur Gänze zu folgen. Aufklärung können nur Videoaufzeichnungen verheißen. Dabei sei erwähnt: Natürlich verhindert eine stark blutende Wunde einen perfekten Kampf, ohne Frage. Das Ausmaß allerdings bleibt offen. Fest steht: Beide Kämpfer standen häufiger Kopf an Kopf, beide gingen häufiger mit dem Kopf voran in den Fight, wobei der Ungar dieses Vorgehen häufiger wählte.
Doch allein an dem Verhalten oder Nichtverhalten des Ringrichters den Sieg des eigenen Schützlings festzumachen, ließ das Szili Management nicht gelten. „Natürlich war die Taktik, Druck zu machen. Auch aufgrund Felix´ Alter. Vieles hat sehr, sehr gut funktioniert“, so Szilis Manager Benedikt Poelchau. Und zum vermaledeiten Kopfstoß: „Profiboxen ist knüppelhart“, wobei er seinem Schützling keine Absicht unterstelle.
Klar zu bewerten ist aber Szilis permanentes Wegschupsen von Sturm mit beiden Armen, womit er Sturm damit eine für Szili vorteilhafte Position manövrierte. Okay, beim Profiboxen stehen sich keine „Pfarrerskinder“ gegenüber. Es ist hart, teilweise auch nicht regelgerecht. Wenn das eben skizzierte gelegentlich passiert, kann darüber hinweggesehen werden. Wenn dies aber Teil der Taktik ist, haben Ringrichter und Ecke zu reagieren. Dem Ringrichter war es offensichtlich gleichgültig, vielleicht interpretierte er Szilis Kampfstrategie als State of the Art eines Profisportlers. Ansagen aus Sturms Ecke waren während des Kampfes wegen der räumlichen Distanz nicht hörbar und – wie bereits erwähnt – auch nicht einsehbar, aber vor allen Dingen, im Kampfgeschehen nicht ersichtlich.
Warum ein erfahrener Kämpfer wie Felix Sturm in Eigeninitiative nichts gegen das „Herumgeschubse“ unternahm, seinerseits aktiver wurde, entweder durch Klammern den Gegner wegdrehte und weitere Erfahrungen einer sehr langen Profikarriere einbrachte, wird sein Geheimnis bleiben. Er sei körperlich fit gewesen, der beste Sturm seit langem, so sein Trainer Weber in der nächtlichen Pressekonferenz. Haperte es in dieser Nacht von Dortmund an der mentalen Stärke? War Sturm während des Kampfes nicht erreichbar? Diese Eindrücke drängen sich auf.
Schlussgong und Finale. Der Punktrichter Marco Morales wertete 115-113 für Szilly, Giulio Piras 116-111 für den Ungarn. Und der dritte im Bunde? Das war der Ungar Ferenc Budai. Er machte es sich mit 114:114 einfach, was ihm deutliche Kritik einbrachte. Zu Unrecht. Er musste seinen Landsmann nicht vorne sehen, dass taten Zuschauer und die beiden restlichen Punktrichter. Allerdings: Mut tut auch außerhalb des Ringes gut.
Nein, es war nicht der vom Veranstalter und Kämpfer herbeigesehnte Neuanfang im deutschen Boxsport. Wobei ein Neuanfang mit einem 43-jährigen Kämpfer, auch wenn er Felix Sturm heißt, als Anachronismus erscheint. Wenn ein Kämpfer an diesem Abend das Zeug gehabt hätte, eine Zeitenwende einzuläuten, so war es der 23-jährige Linksausleger Simon Zachenhuber. In seinem Titelkampf um die Junioren-Krone im IBF Mittelgewicht zeigte er Potenzial. Bereits in der dritten Runde beendete er den Kampf vorzeitig, sein Gegner Maurice Moria blieb chancenlos. Seine Ecke warf das Handtuch. Simon Zachenhuber: Diesen Kämpfer bitte vormerken.
Weitere Kämpfe des Abends:
Die 37-jährige Hanna Hansen holte sich den IBO Inter-Continental Titel im Super Weltergewicht. Gegen die im Kampfverlauf völlig überforderte Jeanmary Martinez Paulin (27) aus der Dominikanischen Republik setzte sie sich in der siebten Runde durch. Nachdem die alleinerziehende Mutter zweier Kinder ihre Konkurrentin zunehmend mit Schlägen eindeckte, warf die gegnerische Ecke das Handtuch.
Acht Runden wären das Maximum in der Schwergewichtsauseinandersetzung zwischen Oleksandr „Hunter“ Zakhozhyi und Evgenios „Achilles“ Lazaridis gewesen. Stattdessen schaltete der erstgenannte Ukrainer in den Modus Kurzarbeit. Zwei Mal holte er seinen griechischen Konkurrenten „Achilles“ bereits in der ersten Runde von den Beinen. Überraschend, da beide Kämpfer dem gleichen Stall angehören und sich aus dem Sparring gut kennen.