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Boxen im Film: Stanley Kubrick (2) „Der Tiger von New York“
Stanley Kubrick (26. Juli 1928 in New York, USA – 07. März 1999 im Childwickbury Manor bei London, Großbritannien) galt als Filmregisseurgenie. Seine Filme 2001: Odyssee im Weltraum, Uhrwerk Orange und Shining haben Kultstatus erreicht.
Mit dem Thema Boxen beschäftigte Kubrick sich mehrfach. Sowohl sein erster Film überhaupt, der Dokumentarfilm „Day of the Fight“ (1950), als auch sein zweiter Spielfilm „Der Tiger von New York“ wählten Boxen und Boxer zum Gegenstand der Handlung.
„Killer’s Kiss“, wie der Originaltitel von „Der Tiger von New York“ lautet, wurde 1955 von dem erst 26-jährigen Kubrick in Schwarz-Weiß gedreht. Es ist ein Low-Budget-Film. Freunde und Verwandte hatten etwa 40.000 US-Dollar aufgebracht, damit Kubrick den Film drehen konnte. Stilistisch wurde es eine Mischung aus Film noir und Melodrama. Man kann ihn auch als Kriminalfilm bezeichnen oder, genauer gesagt, als Kriminal- und Liebesfilm.
Ästhetisch ist der Film geschult an den ausdrucksstarken Bildern in Schwarz-Weiß der Filme der „Schwarzen Serie“. Das erste Viertel, das von den Vorbereitungen auf einen Boxkampf und dem Boxkampf selber handelt, ist stark angelehnt an Kubricks dokumentarischen Kurzfilm „Day of the Fight“. Wer diesen kennt, dem fallen sogleich Gesten und Handlungen des Protagonisten sowie Kameraeinstellungen auf, die er wiedererkennt.
(https://betker.wordpress.com/2017/07/16/boxen-im-film-stanley-kubricks-day-of-the-fight/)
Ein großer Teil des Films wurde in den Straßen von New York gedreht. Durch dieses Drehen „on location“ erhält der Krimi den Anschein von Authentizität. Selbst äußerte Kubrick dazu: „Der Film gibt keinen sehr tiefgründigen Einblick in New York. Es handelt sich ganz einfach um die Standardkulisse eines in New York spielenden Kriminalfilms. Das ist ein nachgemachter Dokumentarfilm.“ Offensichtlich maß er den Außenaufnahmen keine tiefere Bedeutung zu. Dennoch haben sie einerseits eine ästhetische Qualität, die nicht zu unterschätzen ist, und andererseits geben sie dem Film einen dunklen und melancholischen Ton.
Die Handlung beginnt auf einem Bahnhof in New York City, vermutlich Grand Central Station. Davey Gordon (Jamie Smith) führt einen inneren Monolog und fragt sich, wie er in diese Schwierigkeiten hatte geraten können. Er erinnert sich an einige Tage im Rückblick.
Gordon, ein mäßig erfolgreicher Profiboxer, der seine besten Tage hinter hat, lebt in einem bescheidenen Apartment in New York. Er bereitet sich vor und wartet auf seinen letzten großen Kampf, den er dann verliert.
Im gegenüberliegenden Appartement lebt die attraktive Gloria Price (Irene Kane), die als Tänzerin in einem Club arbeitet. Sie wird von ihrem Arbeitgeber, dem Nachclubbesitzer und Gangster Vincent Rapallo (Frank Silvera), bedrängt.
Price und Gordon verlieben sich ineinander. Sie wollen zusammen die Stadt verlassen. Rappallo ist eifersüchtig. Er lässt Price entführen und will Gordon umbringen lassen. Dabei stirbt dann Gordons Manager.
Gordon versucht, Price zu befreien. Dabei kommt es zu einem tödliches Duell mit Rappallo in einer Fabrik für Schaufensterpuppen. Gordon und Price werden getrennt voneinander von der Polizei verhört. Gordon wird nicht angeklagt, da es sich in den Augen der Polizei um Notwehr handelte, und freigelassen. Er beschließt die Stadt zu verlassen und wartet am Bahnhof auf seinen Zug – die Anfangsszene des Films. Kurz vor Abfahrt des Zuges taucht Gloria auf, beide küssen und umarmen sich – ein klassisches Happy End.
„Der Tiger von New York“ ist noch kein klassischer Stanley Kubrick Film. Er ist nicht bombastisch und ausufernd wie die bekannten Filme der zweiten Hälfte seiner Schaffensphase. Es ist ein guter und kleiner Genrefilm mit einem tollen Duell in einer Schaufensterpuppenfabrik. Aber Kubrick wäre nicht Kubrick, hätte er dem Genre nicht etwas Neue abgewinnen können. Wenn man genau hinsieht und -hört, wird man bemerken, dass Kubrick seinem Protagonisten nämlich das glückliche Ende nicht gönnt. Aber wie gesagt, man muss schon bei der Sache sein, um dem versöhnlichen Touch des Endes nicht aufzusitzen. Mehr möchte ich hier nicht verraten. Man kann nur jedem empfehlen, sich „Der Tiger von New York“ anzusehen.
© Uwe Betker
Ein Freitagabend in Essen – die Recover Fight Club House Gala am 17.03.2017
Die Veranstaltungen im Recover Fight Club in Essen haben inzwischen schon Tradition. Sie sind bereits ausverkauft, kaum dass der Termin festgesetzt ist. So war es auch diesmal: Keine Abendkasse, nur Einlasskontrolle. Und es gab fünf Profikämpfe. Um ungefähr 22 Uhr war schon alles vorbei. Früh genug noch für eine Freitagnacht. Das – und natürlich die Kämpfe – ist das Erfolgsrezept.
Den Anfang machten im Mittelgewicht Akmal Gertsen und Dogan Kurnaz (10 Kämpfe, 2 Siege, 2 durch KO, 8 Niederlagen, 7 durch KO). Der Debütant Gertsen trug sehr auffälliges Schuhwerk. Es sah fast so aus, als hätte er schwarze Straßenschuhe an und darüber ein Art Gamaschen aus Stoff. Es waren aber keine Straßenschuhe, sondern originale Boxschuhe aus den 30er Jahren, die er sich aus den USA hatte schicken lassen. Eigentlich wollte er auch mit Leggins boxen, so wie man sie auf Fotos von uralten Boxern sieht – das wurde ihm aber untersagt.
Gertsen boxte so, wie man es von einem Boxer mit solchen Schuhen erwartet. Er machte Druck und er verteilte seine Schläge. Allerdings machte er auch den Eindruck, zu sehr einen schnellen KO zu suchen. Kurnaz, der kleinere Boxer, schlug schnelle Hände und versuchte Gertsen das Leben möglichst schwer zu machen. Er kam sogar das ein oder andere Mal durch. Mitte der zweiten Runde nahm Gertsen seinem Gegner durch einen schönen linken Haken zum Körper, gefolgt von einer schönen Rechten zum Kopf, die Luft. Danach stellte er ihn an den Seilen und holte ihn mit einem brutalen Aufwärtshaken ans Kinn von den Beinen. Das sah schon nach dem Ende des Kampfes aus. GBA Ringrichter Kornelius Bernds zählte und der sichtlich hart getroffene Kurnaz rappelte sich wieder auf und stellte sich zum Kampf. Der wurde denn auch wieder freigegeben. Und irgendwie schaffte es Kurnaz tatsächlich, den Schlussgong zu erreichen. Als der Gong zur dritten Runde ertönte, warf aber seine Ecke das Handtuch. Sieger durch TKO in Runde 3: Akmal Gertsen. Gertsen will nun das Regelwerk prüfen, um herauszufinden, welche Vorgaben es zu den Sporthosen gibt.
Danach stiegen Dejan Pavlovic (5 Kämpfe, 5 Niederlagen, 4 durch KO) und Bader Fattah im Super Weltergewicht in den Ring. Der Kampf war kurz. Fattah, ein Debütant, boxte unorthodox, was aber nicht wirklich zielführend war. Pavlovic konterte seine ungestümen Aktionen souverän ab. Zwei Lebertreffer zwangen Fattah zur Aufgabe. Sieger durch TKO in Runde 1, nach 2:50 Minuten: Dejan Pavlovic.
Den einzigen Frauenboxkampf des Abends bestritten Özlem Sahin (24 Kämpfe, 22 Siege, 7 durch KO, 1 Niederlage, 1 Unentschieden) und Claudia Ferenczi (79 Kämpfe, 16 Siege, 7 durch KO, 56 Niederlagen, 3 durch KO, 6 Unentschieden) im Halbfliegengewicht. Es war auch der einzige Kampf, der über die angesetzte Distanz ging. Sahin stieg nach einer neunmonatigen Pause zum ersten Mal wieder in den Ring. Es ging bei dem Kampf zum einen darum, Ringrost abzuschütteln und zum anderen darum, den ersten Kampf mit neuem Trainer, Sebastian Tlatlik, zu bestreiten.
Sahin besetzte die Ringmitte, bestimmte den Kampf und setzte boxerische Akzente. Ferenczi, die Muhammad Ali als Tatoo auf dem linken Oberarm trägt, hielt dagegen. Ferenczi wurde in der zweiten Runde sichtbar wütend, weil sie nur sehr selten mit ihren Aktionen durchkam. Gleichwohl wurde die Begegnung härter. In der dritten Runde verlor Sahin die boxerische Linie, wodurch Ferenczi stärker und der Kampf härter wurde. Die letzten drei Runden gehörten wieder Sahin. Sie trug Ferenczi den Kampf an, wobei sie vor allem auf Haken setzte. In der sechsten Runde hatte Sahin ihre Gegnerin zweimal nahe am KO, aber Ferenczi erreichte stehend den Schlussgong. Die Punktrichter werteten: 60:54, 60:54 und 60:55. Einstimmige Punktsiegerin: Özlem Sahin.
Nach einer Pause ging es mit zwei Schwergewichtsbegegnungen weiter.
Hasan Kurnaz (5 Kämpfe, 2 Siege, 2 durch KO, 3 Niederlagen, 3 durch KO) boxte gegen Sezer Sahin. Sahin, ein Debütant, verausgabte sich mit wilden Attacken zum Körper, wobei er aber keine Wirkung erzielte. Am Ende der Runde ging er nach einer Linken zum Körper zu Boden, wobei dies aber wohl eher Konditionsproblemen als der Schlagwirkung zu danken war. Ringrichter Michael Erdinc zählte ihn an. Sahin erreichte die Rundenpause und warf mit dem Gong zur zweiten Runde das Handtuch. Sieger durch TKO in Rune 2: Hasan Kurnaz.
Den Hauptkampf des Abends bestritt der Lokalmatador Patrick Korte (9 Kämpfe, 9 Siege, 8 durch KO). Er traf auf Asad Adrovic (2 Kämpfe, 1 Sieg, 1 Niederlage, 1 durch KO). Der Kampf war etwas konfus. Korte besetzte die Mitte des Rings und bestimmt das Kampfgeschehen. Korte, der eindeutig bessere Boxer, brachte Adrovic zweimal zu Boden – beide Male wurde es allerdings nur als Ausrutscher gewertet. Zum Ende der Runde stellte Korte seinen Gegner in einer neutralen Ecke und ließ ihn nicht mehr raus. Dann passierte etwas Bizarres: Adrovic tat das, was er meistens tut, wenn er sich rauskämpfen will. Er trat zweimal in den Bauch seines Gegners. Adrovic ist nämlich sehr viel mehr K1-Kämpfer als Boxer. Der Ringrichter Roman Morawiec entschied sich dafür – vermutlich auch, weil Adrovic ihm gesagt hatte, er wolle zur nächsten Runde nicht mehr antreten -, ihm nur einen Punkt abzuziehen. Wenige Sekunden später ertönte auch schon der Schlussgong, den Korte überhörte. Zur zweiten Runde trat Adrovic dann auch wirklich nicht mehr an. Sieger durch TKO in Runde 2: Patrick Korte.
Man kann mal wieder feststellen, die Veranstaltungen des Recover Fight Club von Promoter Hani ElJarie stellen eine schöne Einstimmung fürs Wochenende dar.
© Uwe Betker
Über Nummerngirls
Nummerngirls sind immer wieder ein Thema hier. Manchmal wird betont, dass sie besonders ansehnlich sind, manchmal auch, dass sie fehlen, dass sie wieselflink durch den Ring sprinten, dass sie die Karten so halten, dass die Zahl nicht zu lesen ist oder so, dass man sie gar nicht erst sieht. Nummerngirls sind hier ein Running Gag, über den offensichtlich doch einige schmunzeln können. Schreibe ich über Nummerngirls, werde ich immer kurz danach darauf angesprochen. Ein Promoter stellte mich mal neben seine Nummerngirls und ließ uns photographieren. „Ich will nicht, dass du behautest ich hätte hier keine Nummerngirls gehabt.“ Es ist sogar schon einmal vorgekommen, dass ein Offizieller – den Namen habe ich vergessen – eines Verbandes, der mir jetzt nicht einfallen will, mich glaubte abkanzeln zu können, indem er sich über mein Schreiben über die Damen mit den Schildern ausließ. Tatsächlich gefiel ihm aber vermutlich nicht, was ich über die Aktivitäten seines Verbandes geschrieben hatte. – Nun ist es an der Zeit, sich mal ernsthaft über ein so wichtiges Thema wie Nummerngirls Gedanken zu machen.
Bei Wikipedia gibt es bis auf eine Definition kaum weitere Informationen. „Nummerngirl ist der aus der Umgangssprache stammende Name für diejenige Dame, welche zwischen den Runden von Kampfsportarten, wie z. B. Boxen, Kickboxen oder Mixed Martial Arts, den Ring betritt und dem Publikum ein Schild mit der Nummer der folgenden Runde hochhält. Nummerngirls tragen meistens einen Badeanzug oder einen Bikini und sollen das Publikum während der Kampfpause unterhalten.
Der Begriff stammt ursprünglich vom Revuetheater und vom Zirkus her, bei denen traditionell jede Einzeldarbietung („Nummer“) von einem Nummerngirl angekündigt wurde oder wird.“ Als Quelle wird Sat1 angeben.
Das Magazin „The Ring“ veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom Mai/Juni 1965 das Foto eines Nummerngirls. Dieses wurde bei einer Boxveranstaltung im Hacienda Hotel in Las Vegas aufgenommen. Die 1965 abgebildete Dame, in der für heutige Verhältnisse züchtigen Korsage, war wohl eines der ersten Nummerngirls, dessen Foto publiziert wurde. Die Bildunterschrift lautet: „If something like this caught on around the country, gates receipts automatically would fatten.” Auf halbwegs gut Deutsch: „Wenn so etwas wie dies sich im ganzen Land durchsetzt, würden die Einnahmen an der Abendkasse automatisch fetter werden.“ – Nummerngirls setzten sich nicht nur in den USA durch, sondern weltweit. Kaum eine größere Veranstaltung will inzwischen auf sie verzichten.
Die genaue Geburtsstunde der Nummerngirls liegt im Dunkel der Boxgeschichte. Aber vermutlich ist die Dame aus „The Ring“ eine der ersten überhaupt gewesen. Mitte der 60er Jahre wurde Las Vegas mehr und mehr ein Zentrum des Profiboxens. Las Vegas steht in den USA für Unterhaltung, und Nummerngirls werteten die Profiboxveranstaltungen auf; sie unterhielten und unterhalten das Publikum in den Rundenpausen.
Auch was die Vorgänger der Nummerngirls anbelangt, so breitet sich das Dunkel der Boxgeschichte darüber aus. In den 30er Jahren jedenfalls waren Männer im Anzug zu sehen, die zum Teil Zigarre rauchten, die die Karten mit den Nummern in die Höhe hielten. Ich selbst kann mich an eine Filmaufnahme aus den 40er Jahren erinnern, wo ein Mann im Anzug einen flatternden Lappen mit einer Nummer drauf, der an eine Startnummer in der Leichtathletik erinnerte, vor sich hertrug. Es gibt aber insgesamt kaum filmische oder photographische Dokumente von diesen Herren. Sie waren schlicht nicht attraktiv und unterhaltsam genug.
Obwohl doch die Vorgänger der Nummerngirls Nummernmen waren, tat sich das Boxpublikum mit Nummernboys schwer. Auch deren Geburtsstunde liegt im Dunkel. Ich kann mich aber noch daran erinnern, wann und wo ich selbst den ersten in Deutschland gesehen habe. Das war bei der Veranstaltung von Universum Box-Promotion am 13.05.2000 in den Satory Sälen in Köln. Es war auch die erste reine Frauenboxveranstaltung. Es boxten Heidi Hartman, Silke Weikenmeier, Daisy Lang, Marischa Sjauw, Regina Halmich und Michel Aboro. Beim Hauptkampf des Abends, den Michel Aboro bestritt, gab es Nummernboys, also gut gebaute junge Männer mit freiem Oberkörper. Damals kamen die bei einem großen Teil des Publikums, das ja den Anblick von Männern mit nacktem Oberkörper schließlich gewohnt gewesen sollten, nicht gut an. Es gab auch Pfiffe.
Heute gehen boxaffine Zuschauer sehr viel entspannter mit Nummernboys um. Es gibt Promoter, die bei Boxkämpfen von Männern Nummerngirls und Kämpfen von Frauen Nummernboys auftreten lassen. Inzwischen gibt es dafür keine Pfiffe mehr. Offensichtlich fühlen sich die Zuschauerinnen durch Nummernboys unterhalten. Und das ist doch wohl die Hauptaufgabe von Nummerngirls wie Nummernboys, neben ihrem Job, eben die Rundennummern anzuzeigen.
© Uwe Betker
Rezension: “Dandy” von Daniel Patrick Joseph
Der Autor Daniel P. Joseph ist der Sohn von Dandy Dillon (47 Kämpfe, 20 Siege, 9 durch KO, 18 Niederlagen, 3 durch KO, 9 Unentschieden), einem Federgewichtsboxer, der zwischen 1920 und 1927 aktiv war. Sein Vater starb, als Joseph siebzehn Jahre alt war. Vermutlich kannte er seinen Vater kaum. Die Eltern waren geschieden und der Autor lebte wohl bei seiner Mutter. In den letzten Jahres seines Lebens hatte Dillon auch psychische Probleme. Mit dieser Biographie versucht Joseph, seinem Vater, fast ein halbes Jahrhundert nach dessen Tod, ein Denkmal zu setzen. In seinen eigenen Worten klingt das so: “Writing the story of my father’s life was a labour of love.” Herausgekommen ist ein schmales Bändchen von 136 Seiten.
Danny Dillon wird am14.07.1903 in Grigoriopol in Moldawien, als Moishe Josofsky geboren. Seine Eltern fliehen vor den antijüdischen Pogromen des russischen Zarenreichs in die USA. Dort fängt Dillon, zusammen mit seinem Bruder, an zu boxen. Mit 16 Jahren wird er Profiboxer. Er ist einer von vielen jüdischen Boxern dieser Zeit. Er wird schnell bekannt und macht schnell Karriere. Aber der ganz große Erfolg bleibt ihm verwehrt. Nachdem er seine Boxhandschuhe an den berühmten Nagel gehängt hat, ist er als Trainer, Boxmanager, Restaurantbesitzer, Kneipenbesitzer, Taxifahrer und Verschiedenes mehr tätig. Hinzu kommen mehrere Ehen und verschiedene Kinder. Er stirbt am 28.02.1968 mit 64 Jahren.
Als Grundlage für das Buch, so der Autor, dienten ihm Sammelalben mit Zeitungsausschnitten und Internetrecherchen. Ein Grossteil des Buches besteht aus Beschreibungen der einzelnen Kämpfe, Runde für Runde. Der Sohn von Dandy Dillon verlässt sich dabei doch offensichtlich sehr aufs Internet. Er ist stolz darauf, dass sein Vater mit 17, in seinem zwölften Kampf, Champion wurde; er wurde Kanadischer Meister im Fliegengewicht. Er besiegte am 08.12.1920 Percy Buzza, den amtierenden Kanadischen Meister im Bantamgewicht. Das kann man auch nachlesen auf boxrec. Es bleibt aber weiterer Klärungsbedarf. Da sind noch einige Fragen offen, Fragen, wie: Wieso wird ein us-amerikanischer Boxer eigentlich kanadischer Meister? Wieso hat er den Titel nicht verteidigt, wenn er doch so stolz darauf war?
Bei einmal gewecktem Misstrauen stolpert man dann über immer mehr Ungereimtheiten. Am 06.09.1920 besiegte Dillon, seinem Sohn zufolge, Battling Baker, den Schottischen Meister. Dieser Kampf aber war Bakers Profidebüt. Auch, was ich da an Kampfbeschreibungen zu lesen bekomme, erscheint mir doch ziemlich unwahrscheinlich. Ich kann mir auch schlechterdings nicht vorstellen, dass Zeitungen in den zwanziger Jahren über jeden Kampf Runde für Runde berichtet haben. Die Abläufe der Kämpfe ähneln einander schon ein bisschen sehr. Viele Niederlagen sollen Fehlurteile gewesen sein. Aber belegt wird das, wenn ich es richtig gelesen habe, nur ein einziges Mal mit einem Zitat aus einer Zeitung.
Das Buch hangelt sich am Kampfrekord von Dillon entlang. Von seinem Leben erfährt man dagegen nicht so viel. Die Vorgeschichte, die Flucht vor den Pogromen, aber auch das Leben nach dem Boxen wird nur grob skizziert. Da stellt sich bei mir fast der Eindruck ein, der Autor hatte hierüber so gut wie keine Informationen. Wohlgemerkt der Autor ist der Sohn. Kein Wort verliert er auch darüber, wie Dandy Dillon so als Vater war.
Zusammenfassend kann ich nur sagen, “Dandy” von Daniel Patrick Joseph ist ein seltsames Buch. Es ist schmal, unterhaltsam und man hat es schnell gelesen. Aber, eine Biographie von Dandy Dillon ist es irgendwie nicht. Vielmehr erscheint es eher als das Produkt der Suche eines um die 60 Jahre alten Mannes nach seinem Vater, den er wohl nie richtig gekannt hat. Der Wunsch springt einen an, sein Vater möge mehr gewesen sein als nur einer von vielen guten jüdischen Boxern seiner Zeit, der Wunsch, sein Vater möge etwas Besonderes gewesen sein. Als würde die Erinnerung an einen Vater Dandy Dillon, der ein ganz besonderer Boxer gewesen wäre, seiner Abwesenheit als Vater nachträglich doch noch einen gewissen Sinn geben können. Daher erscheint mir das Buch nicht nur zwiespältig, sondern auch als ein trauriges Vergnügen.
© Uwe Betker