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Gastbeitrag von Andreas Grunwald: Warum der stagnierende Boxsport dringend frischen Wind braucht
Aus der ehemals glänzenden Gelddruck-Maschine „Profiboxen“ ist ein schwächelndes Motörchen geworden, welchem langsam der Sprit ausgeht. Während noch vor 30 Jahren eine Weltmeisterschaft im Schwergewicht von der halben Welt zu den unmöglichsten Uhrzeiten am TV verfolgt wurde, locken heutzutage selbst hochkarätige Box-Events nur noch ein paar schlappe Millionen Zuschauer vor die Glotze.
Die Boxwelt ist aufgerieben in einige große und viele kleine Verbände. In jeder Gewichtsklasse gibt es eine Unzahl an Weltmeistern, Super-Weltmeistern, Interims-Weltmeistern und darüber hinaus noch etliche geradezu lächerliche Titel, die dem Hirn eines billigen Fantasy-Roman-Autors entsprungen sein könnten.
Die Zuschauer fühlen sich anhand von dubiosen Punktrichter-Urteilen, von handverlesenen und medial zu Hochkarätern aufgepuschten Schwachmaten als Gegner für alteingesessene Weltmeister, von Weltmeistern, die ernsthaften Konkurrenten um ihre Titel mit den abstrusesten Strategien aus dem Weg gehen und der undurchschaubaren „Politik“ der großen Verbände und Veranstalter für dumm verkauft und genießen die Fernseh-Prime-Time lieber bei „Wetten Dass“ oder dem Tatort, als sich den 25. „Kampf des Jahres“ innerhalb eines
Jahres anzusehen.
Die Strukturen sind verkrustet, der mediale Rummel für die Vermarktung der immer uninteressanter werdenden Kämpfe verschlingt Unmengen an Geld, welches die Veranstalter an anderer Stelle wieder einsparen müssen, und das Interesse der großen Sendeanstalten lässt proportional mit der sinkenden Einschaltquote immer mehr nach, wodurch dem schwächelnden Markt noch mehr Geld entzogen wird.
Einer der Ersten, der die Zeichen der Zeit erkannt hat, war Kalle Sauerland. So kam ihm 2009 die brilliante Idee, ein Turnier der besten Supermittelgewichtler aus allen Verbänden, das „Super Six“ ins Leben zu rufen, weil das quotenbringende (und damit geldbringende) Zuschauervolk kein Kirmesboxen mehr sehen will, sondern stattdessen wirklich die Besten gegen die Besten.
Der organisatorische Aufwand, dieses Turnier zu stemmen, die Boxer, die Veranstalter und die Verbände vertraglich unter einen Hut zu bringen und dabei auch die Interessen der übertragenden Sendeanstalten sowie die Beschaffung und Verteilung der erforderlichen Geldmittel mit allen Beteiligten abzustimmen und juristisch dingfest zu machen, war wahrscheinlich DIE Managerleistung der Boxgeschichte.
In der praktischen Umsetzung erwies sich das Super-Six-Turnier dann allerdings als ein unberechenbarer Popans. Einige Boxer stiegen mitten im Turnier ohne Begründung einfach aus, andere verletzten sich und konnten nicht mehr antreten, und es musste mit so vielen Unwägbarkeiten gekämpft werden, dass sich die ganze Schose wie zäher Honig über zwei Jahre in die Länge zog und am Ende trotz eines hochklassigen Finals nur noch als eine Karikatur seiner selbst einen Abschluss fand.
Dennoch ist der von Sauerland eingeschlagene Weg der richtige. Das Boxen braucht drei Dinge: Einschaltquote, Einschaltquote und Einschaltquote! Und der Weg dahin kann nur über neue Ideen führen, die dem Zuschauer und Quotenbringer ein Höchstmaß an Spektakel und echtem Weltklasse-gegen-Weltklasse-Boxen garantiert!
Nehmen wir einmal die Sauerland-Idee „Super-Six“ als Initialzündung und spinnen den guten Ursprungsgedanken zu einer neuen Idee weiter: Statt eines Turniers, aus welchem nach Monaten oder Jahren nur ein einziger Kämpfer als Sieger hervorgeht, könnte man auch an einem einzigen Abend zur Prime-Time ein fünf- bis sechsstündiges TV-Event anbieten, in welchem die vier oder fünf besten Boxer einer Gewichtsklasse aus Europa gegen die vier oder fünf besten Boxer vom amerikanischen Kontinent antreten. Es finden also vier oder fünf Kämpfe an einem Abend statt, wobei die jeweiligen Paarungen erst frühestens am Abend vor dem Event live im TV ausgelost werden.
Welcher Kontinent am Kampfabend dann die meisten Siege errungen hat, hat gewonnen. Selbstverständlich gibt es für jeden Kampf der Kontinente auch einen Rückkampf; die eingeladenen Boxer können sich durch interessante Ausscheidungskämpfe qualifizieren, kein Boxer muss seinen persönlichen Titel aufs Spiel setzen, die Zuschauer bekommen endlich das, was sie sehen wollen, und die Kohle fließt für alle Beteiligten wieder in Strömen. Diese Länder- oder Kontinentalkämpfe können so durchaus eine ständige Institution werden (wie es ja auch beispielsweise im Golfsport jedes Jahr einen Team-Cup Europa gegen Amerika gibt) und würden auch immer interessant bleiben, weil sich immer neue Leute an die Spitze ihrer jeweiligen Kontinente boxen, so dass sich die Besetzungen der jeweiligen Teams ständig verändern werden.
Die Vorstellung, im Cruisergewicht kämpfen so erbitterte Rivalen wie Marco Huck, Denis Lebedew, Ola Afolabi und Firat Arslan abendfüllend Seite an Seite in einem Europa-Team gegen das Team Amerika mit Joan Pablo Hernandez, Steve Cunningham, Antonio Tarver und Guillermo Jones, ist einfach nur elektrisierend.
Und die halbe Welt würde auch wieder vor dem Fernseher sitzen.Verehrte Deutsche Promoter, es gibt viel zu tun. Packt es an!
Herzlichst, Euer Andreas Grunwald, Ringfotograf (Sportfotodienst Stuttgart)
(C) Andreas Grunwald
Geschäft statt Sport – Sauerland und das Cruisergewicht
Es ist kaum mal ein Jahr her, da ließen sich der berliner Veranstalter Sauerland Event und vor allem der Sohn von Wilfried Sauerland Kalle für ein Super-Six-Turnier im Cruisergewicht feiern. Nach dem Vorbild des Championats im Supermittelgewicht sollte ein weiteres Turnier etabliert werden. Das Turnier sollte Ende 2011 beginnen und mit sagenhaften 50 Millionen Dollar dotiert sein. Aber von dem Turnier wird nicht mehr gesprochen. Der Organisator Sauerland hat es sterben lassen und hat über dessen Ableben wenig Aufhebens gemacht.
Dabei waren die Voraussetzungen für einen Erfolg eines Boxers von Sauerland in diesem Turnier recht gut. Gesetzt waren Muamer Hukic alias Marco Huck (34 Kämpfe, 33 Siege, 24 durch KO, 1 Niederlage, 1 durch KO) und Steve Cunningham (26 Kämpfe, Siege, 24 Siege, 12 durch KO, 2 Niederlagen), die ihren WBO bzw. ihren IBF Titel einbringen sollten. Hinzukommen sollten dann Yoan Pablo Hernandez (25 Kämpfe, 24 Siege, 13 durch KO, 1 Niederlage, 1 durch KO) und/oder Alexander Frenkel (23 Kämpfe, 23 Siege, 18 durch KO). Mindestens die Hälfte der Plätze des Turniers war also für Sauerland Boxer reserviert.
Der WBC Weltmeister Krzysztof Wlodarczyk (48 Kämpfe, 45 Siege, 32 durch KO, 2 Niederlagen, 1 Unentschieden) und eventuell Guillermo Jones (42 Kämpfe, 37 Siege, 29 durch KO, 3 Niederlagen, 1 durch KO, 2 Unentschieden), der WBA Weltmeister, sollten das Teilnehmerfeld ergänzen. Nachdem Denis Lebedev (23 Kämpfe, 22 Siege, 17 durch KO, 1 Niederlage) dann am 18.12.2010 durch die, wie ich finde, groteske Wertung der Punktrichter Lahcen Oumghar und Manuel Oliver Palomo der Sieg über Huck vorenthalten wurde, raunte man in Berlin, dass man sich überlegen könnte, eventuell und überhaupt und unter gewissen Umständen Lebedev doch, als eine Art Gnadenakt, einen Platz im Turnier einzuräumen. Damit hatte man auch der Forderung nach einem Rückkampf den Druck genommen.
Inzwischen wurde bekannt, dass es nun doch kein Turnier mehr in der „weltweit attraktivsten Gewichtsklasse“ mehr geben wird. Die Gründe scheinen mir dabei eigentlich auf der Hand zu liegen. Bei einem solchen Turnier gäbe es schließlich nur einen Sieger. Sauerland würde zwar zwei WM-Titel in das Turnier einbringen, käme aber nur mit maximal einem Sieger heraus. Der unbestrittenen Hauptkämpfer von Sauerland nennt sich Marco Huck. Aber es ist mehr als fraglich, ob er ein solches Turnier gewinnen kann. Lebedev hat ihn sozusagen geschlagen und sein Teamkollege Cunningham hat ihn am 29.12.2007 praktisch geschlagen. Er hatte ihn erst boxerisch vorgeführt und dann durch TKO geschlagen. Womöglich stände Sauerland am Ende des Turniers ohne Hauptkämpfer Huck da. Ein Super-Six-Turnier im Cruisergewicht wäre sportlich großartig gewesen. Dafür haben Sauerland Event und Kalle Sauerland auch viel öffentliches Lob und Anerkennung bekommen. Im Profiboxen geht es allerdings nicht primär und vermutlich noch nicht einmal sekundär um Sport, sondern ums Geschäft. Und das Turnier findet nicht statt.
© Uwe Betker