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Henry Flakes, eine Schwergewichtshoffnung der 40er Jahre

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Henry Flakes war ein Schwergewichtler, dem man Ende der 1940er Jahren zutraute, ganz nach oben zu kommen. Die Presse feierte ihn als zukünftigen Weltmeister und als besten jungen Schwergewichtler in den USA. Er hatte Potential. Er hatte eine gute Technik, schnelle Beine und einen harten Punch. Kurz: er hatte alles, um den Weltmeisterschaftsthron zu besteigen, aber stattdessen bestieg er den Elektrischen Stuhl.
Am 27.02.1927 wurde Henry David Flakes in Opelika, einer Kleinstadt in Alabama geboren. Aufgewachsen ist er in Chattanooga, Tennessee. Das Boxen lernte er von und mit seinem Vater. Weil sie sich keine Handschuhe leisten konnten, nahmen sie stattdessen mit Lumpen gefüllte Säcke, die sie mit Seilen an den Handgelenken zuschnürten. Der Boxunterricht endete, als Flakes Senior nach einem rechten Cross zehn Minuten ohne Bewusstsein auf dem Boden lag. Flakes log über sein wahres Alter und trat in die Navy ein. Eine Narbe auf seiner Nase erhielt er beim Absturz eines japanischen Flugzeuges auf den Flugzeugträger „Nassau“ bei Pearl Harbor. Flakes sagte später: „das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich KO ging.“
Er kam nach New York, um zu boxen. In seinen ersten Kampf, am 21.01.1947, knockte er den Journeyman Al Rogers in der ersten Runde aus. Da war er noch keine 20 Jahre alt. Er boxte weiter und gewann weiter. Um fürs Publikum interessant zu sein, gewann er auch genug Kämpfe durch KO. Er kämpfte überall in New York State, in New Jersey, in Newark, und war regelmäßig Hauptkämpfer im Memorial Auditorium in Buffalo. Am 04.02.1948 traf er im Armory in Akron, Ohio auf Pat Comiskey, einen Top Ten Boxer. Flakes hatte bis dahin von seinen 19 Kämpfen zwei verloren, einen vorzeitig – er hatte sich das Knie verdreht – und seinen letzten durch eine Punktniederlage. Dieser letzte Kampf, der auch im Armory stattgefunden hatte, war quasi Flakes Eintrittskarte für seinen Kampf gegen Comiskey. Comiskey wurde von The Ring 1947 auf Position vier geführt. Um es kurz zu machen: Flakes besiegte Comiskey einstimmig nach Punkten. Auch den Rückkampf, zwei Wochen später, konnte er für sich entscheiden. Diesmal gewann er durch TKO in Runde 5, nach 2:34 Minuten. Der einzige Boxer, dem es bis dahin gelungen war, Comiskey auch vorzeitig zu besiegen, war Max Baer.
Flakes war kurz vor dem Durchbruch. Am 11.05.1948 bekam er es erneut mit einem Top Ten Boxer zu tun. Er besiegte Lee Oma nach Punkten. Auch den Rückkampf, knapp zwei Wochen später, am 21.05.1948 im Madison Square Garden in New York, gewann er nach Punkten. Oma wurde von The Ring 1949 immerhin auf Platz zwei geführt.
Flakes war mit seinen 21 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Karriere, exakt nach einem Jahr und vier Monaten als Profi. Ein WM Kampf gegen Joe Louis war in die Nähe gerückt. Aber der Auftritt im Madison Square Garden sollte „Snow“ Flakes letzter Kampf gewesen sein. Sein Kampfrekord: 27 Kämpfe, 24 Siege, 13 durch KO, 2 Niederlagen. 1 durch KO, 1 Unentschieden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Flakes hatte ein gesundheitliches Problem. Er hatte Katarakte, also eine Trübung der Augenlinsen, welche auch grauer Star genannt wird. Er war gezwungen das Boxen aufzugeben. Er schlug sich mit schlecht bezahlten Jobs durch, um sich über Wasser zu halten. Er verlor das Augenlicht auf seinem rechten Auge. Die nötige Operation konnte er sich schlicht nicht leisten. Dem Autopsiereport zufolge hatte man ihm seinen Blinddarm entfernt und Haut transplantiert. Operrationen sind und waren in den USA sehr teuer und waren oft verbunden mit der Verabreichung großer Mengen von Drogen. Aber dies sind nur Mutmaßungen darüber, wieso Flakes drogensüchtig wurde. Zwischenzeitlich soll er auch als Automechaniker gearbeitet haben. Das ist das aber nicht verbürgt. Sicher ist nur seine Drogensucht.
Er brauchte Geld und Drogen bzw. Geld für Drogen. Mit einem Partner, Walter Green, überfiel er am 07.11.1958 einen Herrenausstatter in Lackawanna, New York. Ihr Fluchtfahrer Dewitt R. Lee Jr. wartete draußen, mit seiner Freundin, der ehemaligen Lehrerin Beatrice Beckman, die später jedwede Mitwisserschaft abbestritt und als Hauptzeugin der Anklage auftrat. Sie erbeuteten 96 Dollar, was heute ungefähr das Zehnfache wert ist. Zurück blieb der Besitzer Joseph Friedmann. Er war von Flakes erschossen worden.
Alle drei Täter wurden gefasst. Lee, der im Auto gesessen hatte, wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Am 06.März 1959 wurden Flakes and Green zum Tode durch den Elektrischen Stuhl verurteilt. Am nächsten Tag wurden beide nach Sing Sing gebracht. Für den 19. Mai 1960 war die Exekution angesetzt. Sie orderten ihre Henkersmalzeiten. Sie duschten. Dann wurden ihnen Kopf und Beine rasiert. Ihnen wurden schwarze Hosen, schwarze Socken, ein weißes T-Shirt und Duschschuhe als Kleidung gegeben. Während ihnen die Haare rasiert wurden, testete der „State Electrician”, also der Henker Dow Hover, den Elektrischen Stuhl.
In Sing Sing fanden die Hinrichtungen traditionell an einem Donnerstag um 11 nachts statt, weswegen diese Tage dann „Black Thursday“ genannt wurden. Flakes orderte für seine Henkersmalzeiten viel und er aß mit sehr großem Appetit. Sein Mittagessen bestand aus: Barbecuehähnchen mit Sauce, Pommes Frites, Salat, Brötchen, Butter, Erdbeerkuchen mit Schlagsahne, 4 Packungen Zigaretten, Kaffee, Milch und Zucker. Zum Abendbrot gab es: Hummer, Salat, Butter, Brötchen, Eiscreme, eine Schachtel Pralinen, vier Zigarren, zwei Gläser Cola, Kaffee, Milch und Zucker.
Flakes ging die „letzte Meile“ lächelnd mit Gefängnispfarrer Father McKinney. Er lächelte alle Zeugen an, schüttelte McKinney die Hand und sagte einfach „thanks…“. Dann setzte er sich, wurde angeschnallt und durch Strom getötet. Die Geschichte, er sei im Kampfmantel zur Hinrichtung gegangen, dürfte eine Legende sein, wenn auch eine schöne. Er war der 608te Insasse von Sing Sing, der auf dem Elektrischen Stuhl sein Leben ließ. Einen Tag später informierte Flakes Familie den Wärter Wilfred Denno, sie hätten nicht das Geld, ihn zu beerdigen. Daher fand Henry Flakes seine letzte Ruhe auf dem „Potter´s Field”, dem Friedhof von Sing Sing.
© Uwe Betker

Die seltsame Lebensgeschichte des Karl-Heinz Guder

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Es gibt Dinge, die man von Karl-Heinz Guder weiß. Dann gibt es noch ganz viele Geschichten, die von ihm selbst in die Welt gesetzt worden sind und die wahr, halbwahr oder falsch sind. Und, damit es noch schwieriger wird, gibt es noch einen Autor, der in einem seiner Bücher auch noch eine Version der Lebensgeschichte Guders wiedergibt. Die ist nun leider unter einem Blickwinkel geschrieben worden, der die Bundesrepublik Deutschland als schlecht, ihre Organe als kriminell oder unfähig, Profiboxen prinzipiell als korrupt, Profiboxer als Menschen, die unglaubliche Summen verdienen, und ähnliches mehr darstellt. Und nicht zuletzt finden sich auch noch Informationen und Fehlinformationen im Internet. Daher möchte ich hier die Lebensgeschichte von Karl-Heinz Guder als Fiktion verstanden wissen, auch wenn ich versuchen will, sie so gut wie irgend möglich zu rekonstruieren.
Karl-Heinz Guder wurde am 10. Juni 1934 in Gelsenkirchen geboren. Er besuchte die Volksschule und arbeitete als Schlosser und Maurer. Mit dem Boxen hat er vermutlich mit 15 Jahren begonnen. Nach eigenen Angaben bestritt er bis 1954 etwa 150 Amateurkämpfe in mehreren Gewichtsklassen, vom Bantam- bis zum Halbmittelgewicht. Man kann diesen Angaben getrost misstrauen, denn Guder behauptet auch, er sei Deutscher Meister geworden, was aber nicht stimmt. Auch die Behauptung seiner Teilnahme an den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki und sein vierter Platz dort, war von ihm in die Welt gesetzt worden. Gleichwohl kann man ihm wohl boxerisches Talent unterstellen, denn, was er später als Profi zeigte, spricht schon dafür.
Mit 21 Jahren bestritt Guder 1954 sein Profidebüt. Ein Jahr später wurde er von dem Manager Riethmüller (Sportterrassen Riethmüller Essen) vertreten. Bis Mai 1957 absolvierte er im Welter- und Mittelgewicht in Deutschland und Holland 22 Profikämpfe. Von denen konnte er ganze 18 gewinnen, 13 durch KO. Die drei Boxern, denen er sich geschlagen geben musste, waren keine geringeren als Siegfried Burrow (01.07.1956, Westfalenhalle, Dortmund, TKO 9), Hans Werner Wohlers (30.12.1956, Arena Westfalenhalle, Dortmund, PTS 8) und Erich Walter (08.02.1957, Ernst Merck Halle, Hamburg KO 4). Aber diese Niederlagen zeigen auch die boxerischen Grenzen von Guder.
1957 ging Guder dann in die USA. Zuerst wurde er von Al Bachmann und Gunther Duhn vertreten. Bachmann, ein bekannter Cutman, trainierte auch Bob Cleroux (54 Kämpfe, 47 Siege, 37 durch KO, 6 Niederlagen, 1 Unentschieden), einen richtig guten kanadischen Schwergewichtler der späten 50er und der 60er Jahre. Später wurde Guder von dem schillernden Baron Henry von Stumme vertreten. Dieser war kein Baron und war auch nicht adlig, aber er war von Juni 1948 bis Juni 1950 Matchmaker des Hollywood Legion Stadium und danach Matchmaker von kleineren Arenen und Manager von vielen Boxern. Ich meine mich erinnern zu können, dass der „Boxprinz“ Norbert Grupe alias Wilhelm von Homburg, der deutsche Schwergewichtler, auch unter ihnen war.
Guder war ein „rauer, aggressiver Schläger“, was vor allem das amerikanische Publikum zu schätzen wusste. Er bestritt bis März 1961 27 Kämpfe in den USA, von denen er 18 verlor, 6 aber für sich entscheiden konnte. In seinem Kampfrekord finden sich so illustre Namen wie Don Jordan (15.02.1958, L SD 10), Gaspar Ortega (26.051960, L UD 10 und 13.09.1960, L RTD 6) und Joe Miceli (08.03.1958, L DU 10 und 11.10.1958 L TKO 8). Von den letzten elf Kämpfen, konnte er keinen einzigen für sich entscheiden, was wohl bedeutet, dass er boxerisch bereits mit 26 Jahren am Ende war. Einem Autor zufolge soll er in den USA mit seinem Boxen etwa 200.000 $ verdient haben, was ich für absolut unrealistisch halte.
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1961 erhielt Guder die amerikanische Staatsbürgerschaft. In den folgenden Jahren schlug er sich vermutlich als Trainer, Sparringspartner, Maurer, Hilfsarbeiter, Maschinist, Bankangestellter und mit anderen Jobs durch. Angeblich hatte er vor, mit Norbert Grupe ein Unternehmen zu gründen, erhielt dafür von den amerikanischen Behörden aber keine Lizenz. Dieser Information ist allerdings mit Skepsis zu begegnen.
Um diese Zeit begann dann auch die kriminelle Laufbahn von Guder. Wie FBI-Akten zu entnehmen ist, fiel er bis 1966 18-mal durch kriminelle Aktivitäten auf, darunter Diebstahl, mehrere Raubüberfälle und ein „Angriff mit einer tödlichen Waffe“. Im Juni 1966 überfiel er eine Bar in Los Angeles, wurde verhaftet und auf Kaution entlassen. Er setzte sich nach Paris ab, tauchte in verschiedenen europäischen Großstädten auf und kehrte im Herbst 1966 nach Deutschland zurück. Hier soll er im November und Dezember Sparring mit Willy Quator und Norbert Grupe gemacht haben. Am 19.11.1966 konnte er seinen Comeback-Kampf gegen Siegfried Gross in Berlin, im Vorprogramm von Norbert Gruppe, durch TKO in Runde 4 gewinnen. In seinem nächsten Kampf, am 09.12.1966 in Essen gegen Albert Duscha, der mit einem negativen Kampfrekord in den Ring stieg, konnte er nur ein Unentschieden erreichen. Das war dann auch sein letzter Profiboxkampf. Karl-Heinz Guders Kampfrekord: 51 Kämpfe, 313 Runden, 25 Siege, 19 durch KO, 21 Niederlagen, 12 durch KO, 5 Unentschieden.
Wenige Tage nach seinem letzten Kampf, am 17. Dezember 1966, knackte er mit einem Komplizen in Minden Automaten. Er wurde festgenommen und im Februar 1967 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er musste nicht ins Gefängnis, weil er seine Strafe durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt hatte.
Kurze Zeit später wurde Guder erneut verhaftet. Er war an einem Lohngeldraub beteiligt. Im Mai 1967 wurde er zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Guder legte gegen das Urteil Revision ein und wurde auf freien Fuß gesetzt. Bereits am 5. Juli 1967 überfiel er um ca. 16 Uhr die Sparkasse in Gohfeld-Wittel. Er und seine zwei Komplizen bedrohten die einzige Angestellte mit einer echt aussehenden Spielzeigpistole und erbeuteten dabei 19.500 DM. Sie flohen in einem hellen Opel Rekord. Guder versteckte sich auf einem Campingplatz bei Gütersloh in einem gestohlenen Wohnwagen. Nur wenige Stunden nach der Tat, wurde einer seiner Komplizen, ein 22-jähriger Bundeswehrdeserteur gefasst. Er hatte seinen Anteil von der Beute, 4.245 DM, bei sich.
Der Festgenommen verriet der Polizei, ein Karl-Heinz, ein Boxer aus Amerika, sei Chef und die treibende Kraft für den Bankraub gewesen. Die Polizei fand den gestohlenen Campingwagen, aber Guder war entkommen. Einen Tag nach dem Überfall wurde er jedoch festgenommen. Als Anhalter hatte er ein Zivilfahrzeug der Polizei angehalten.
Im Dezember 1967 verurteilte die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld ihn zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren Zuchthaus. Guder legte auch gegen dieses Urteil Revision ein, aber er wurde diesmal nicht auf freien Fuß gesetzt und der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes verwarf im Juni 1968 den Einspruch auch als unbegründet. Auch sein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahren vom August 1968 wurde abgelehnt.
Guder wurde zur Verbüßung seiner Haftstrafe ins Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen überstellt. Zusammen mit einem Mitgefangenen brach er am 20. Januar 1969 von dort aus. Unbekannte Komplizen versorgten ihn mit Geld, einem Fluchtfahrzeug und falschen Papieren. Guder floh über London in die USA. Angeblich konnte er als naturalisierter Amerikaner nicht nach Deutschland ausgeliefert werden. Am 28. Oktober 1969 versuchte er, in Yorba Linda oder in Placentia in Orange County/Kalifornien – beide Orte liegen unmittelbar nebeneinander – zusammen mit einem Komplizen einen Barbesitzer zu überfallen. Von dem wurde er mit vier Schüssen niedergestreckt und starb. Guder wurde nur 35 Jahre alt.
Eine Quelle im Internet erzählt die Geschichte anders herum. Hiernach soll Guder der Barbesitzer gewesen sein, der von einem Räuber erschossen wurde. Legt man aber seine Vorgeschichte zugrunde, so erscheint diese Version aber ziemlich unwahrscheinlich. Karlheinz Guder wurde jedenfalls auf dem Forest Lawn Memorial Park (Glendale) beerdigt.
Auf dem Grabstein steht:
HERE REST IN PEACE
MY BIG DADDY
OUR SON
KARL.HEINZ GUDER
BORNE JUNE 10, 1934
DIED OCTOBER, 28. 1996
Irgendwann vor seinem Tod, gab es also eine Beziehung zu einer Frau – ich hoffe, eine glückliche und romantische. Er hatte offenbar auch eine Tochter oder einen Sohn, die oder der um ihn bei seinem Tod trauerte. Und seine Eltern beerdigten ihn. Aber über all das wissen wir nichts.
Das Dunkel der Geschichte hat sich mit seinem Vergessen über die Lebensgeschichte von Karl-Heinz Guder gelegt. Man könnte versuchen Verwandte von Guder ausfindig zu machen, um sie zu befragen, wenn man noch mehr erfahren will. Aber die seltsame Lebensgeschichte von Karl-Heinz Guder gefällt mir auch so, wie sie jetzt ist, mit all ihren Lücken und Widersprüchen.
© Uwe Betker

Ein blasphemischer Blick auf Mike Tyson

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Ein blasphemischer Blick auf Mike Tyson

Jede Generation hat ihre Helden und manchmal sogar Boxhelden. Einige sind tief in ihre Zeit eingebunden, wie Jack Demsey, Joe Luis und Rocky Marciano. Andere sind vor allem von nationaler Bedeutung, wie zum Beispiel Max Schmeling und Henry Maske. Nur wenige bekommen eine universelle Bedeutung, wie z.B. Muhammad Ali.

Jede Generation unterwirft die Helden der Vorväter einer Überprüfung. So kann man sich heute kaum noch vorstellen, dass ein zum Tode Verurteilter im Gefängnis flehen könnte, der amtierende Weltmeister im Schwergewicht solle ihn retten – so jedenfalls behauptete es der Mythos über Joe Louis.

Die sich wiederholende Frage lautet also: Wer gehört nun zum erlauchten Kreis der ganz Großen im Boxen? Eine ganze Reihe von Angehörigen der Generation, die Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bzw. des letzten Jahrtausends Profiboxen verfolgten, vertreten die Meinung, Mike Tyson sei einer der besten, wenn nicht sogar der beste Schwergewichtler aller Zeiten gewesen. – Auf die Gefahr hin mich sehr unbeliebt zu machen, möchte ich dem hier klar widersprechen.

Tysons Verehrer könnten z.B. darauf verweisen, wie viele Tickets er verkauft hat und wie viel Geld er  mit Pay-Per-View gemacht hat. Er war das Gesicht des Profiboxens für ein gesamtes Jahrzehnt. Wohl kein Boxer vor oder nach ihm zierte so viele Titelseiten. Das ist alles richtig. Aber wenn dies Indikatoren für Größe sind, dann ist Madonna wohl der/die größte Musiker/in aller Zeiten. Größe im Boxen kann nicht durch Geld oder Anzahl der Titelseiten definiert werden, sondern doch wohl nur durch die Qualität der Kämpfe, die Qualität der Gegner, die Siege über gute Gegner und durch die Anzahl erstklassiger Kämpfe.

In meinen Augen ist der am 30.06.1966 geborene Michael Gerard Tyson vor allem ein Phänomen. Er ist eine von vielen Personen und Institutionen erschaffene Kunstfigur. Als erster ist zu nennen: Cus D´Amato. Der Entdecker, Trainer und Ersatzvater von Tyson. Er brachte ihm den Peek-A-Boo Stil bei, der am besten zu einen kleinen Schwergewichtler passt. Das hatte er schon bei Floyd Patterson so gemacht.  D´Amato war ewig lange im Boxgeschäft. Er verstand sein Geschäft als Trainer und er kannte Journalisten und TV-Leute und wusste deshalb auch genau, wie sie arbeiten und wie sie ticken. D´Amato verbreitete so, zusammen Jim Jacobs und Bill Cayton, eine mythische Geschichte. Im Zentrum steht der alte weiße und weise Mann, der in seinem selbst gewählten Exil, fern der Großstadt New York, in den Catskills Bergen, einen jungen schwarzen Mann aus Brooklyn, den er vor einem Leben in der Kriminalität gerettet hat, in die Mysterien des Profiboxens einweiht. Das ist der größte Teil des Mythos Mike Tyson.

Von ganz realem Gewicht war sicher sein Punch. Tyson hatte einen brutalen Punch. Besonders seine rechten Körperhaken, gefolgt von einem rechten Aufwärtshaken zum Kopf, war die Kombination, die viele Gegner fällte. Diese Kombination, seine Explosivität und seine Fähigkeit, Schlägen auszuweichen und sich gleichzeitig an die Gegner heranzuschieben, waren seine boxerischen Stärken. Die konnte er auch besonders effektiv nutzen, außer wenn sein Gegenüber von der ersten Sekunde an dagegen hielt.

Tyson wurde mit seinem Sieg gegen Trevor Berbick, am 22.11.1986 in Las Vegas, der jüngste Schwergewichtsweltmeister. Er war, als er den WBC Titel gewann, gerade mal 20 Jahre alt. Vor ihm hielt Floyd Patterson, auch ein  Schützling von D´Amato, diese „Bestmarke“ – mit 21 Jahren. Dies markiert aber auch schon völlig den Platz von Mike Tyson in der Geschichte.

Aber schauen wir uns doch die Qualität seiner Kämpfe und die Qualität seiner Gegner – womit nicht der Unterhaltungswert gemeint ist – einmal an und auch die Siege über gute Gegner, also das, was einen Weltmeister zu einem richtig großen macht.

Nach seinem Sieg über Berbick, den er wie einen Baum fällte, bereinigt er innerhalb eines dreiviertel Jahres die Titelsituation, indem er alle drei bedeutenden Titel (WBC, WBA und IBF) auf sich vereinigte. Dabei schlug er James Smith, Pinklon Thomas und Tony Tucker. Ja, man kann sagen, er war der Terror des Schwergewichts – allerdings in einer Zeit, in der das Schwergewicht erschreckend schwach besetzt war.

Sein Sieg über Michael Spinks, am 27.06.1988, war dann schon ein großer. Er pulverisierte Spinks innerhalb von 91 Sekunden. Aber man muss dazu anmerken, dass Spinks, der in die International Hall Of Fame Of Boxing aufgenommen wurde, seine beste Zeit als Halbschwergewicht hatte.

Am 11.02.1990 zerstörte dann James Douglas im Tokio Dome den Mythos Tyson. Er knockte ihn in der 10. Runde aus. Tyson war nicht mehr der Unbesiegbare. Es zeigte sich, dass Tyson nie, wie die wirklich Großen, es schaffte, nach einem Niederschlag den Kampf noch für sich zu entscheiden. Nach dem Tokio-Desaster verlor er alle entscheidenden Kämpfe. Evander Holyfield demontierte ihn zweimal hintereinander, am 09.11.1996 und am 28.06. 1997. Auch Lennox Lewis hatte am 08.06.2002 kein Mitleid mit ihm. Auch er knockte ihn aus.

Mike Tyson ist ein Phänomen. An ihm kann man sehen, was passiert, wenn die Medienmaschinerie einmal so richtig ins Rollen gerät. Dann werden Comeback Kämpfe gegen handverlesene Umfaller, die auch schon mal Werbung auf der Unterseite ihrer Boxstiefel tragen, zu Megaevents. Madonna ist nicht der/die bester/beste Sänger/Sängerin aller Zeiten. Sie gehört auch nicht unter die Top Ten. Ebenso gehört Mike Tyson nicht zu den 10 besten  Schwergewichtlern aller Zeiten. Meine Top Ten sind: Muhammad Ali, Rocky Marciano, Jack Johnson, Jack Dempsey, Larry Holmes, George Foreman, Evander Holyfield, Lennox Lewis, Sonny Liston und vermutlich Wladimir Klitschko. Wobei ich mir über die genauen Platzierungen zwei bis zehn nicht ganz sicher bin.

(C) Uwe Betker

Written by betker

16. Oktober 2016 at 23:59

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Über das berühmte „Save me, Joe Louis!“

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Liest man über den großen Schwergewichtsweltmeister Joe Louis, so stolpert man fast zwangsläufig über folgende Geschichte: Ein zum Tode verurteilter Afroamerikaner fleht unmittelbar vor seiner Exekution: „Rette mich, Joe Louis“! Da ist z.B. ein Folk Lied von Curtis Eller’s American Circus mit dem Titel „Save Me, Joe Louis”, das diese Geschichte aufnimmt. Es gibt auch einen Roman von Madison Smartt Bell mit dem gleichen Titel. Am bekanntesten aber wurde die Darstellung dieses Ereignisses bei Luther King Jr. Der schrieb in seinem Buch „Why We Can’t Wait“, das erstmals im Juni 1964 erschien:
„More than twenty-five years ago, one of the southern states adopted a new method of capital punishment. Poison gas supplanted the gallows. In its earliest stages, a microphone was placed inside the sealed death chamber so that scientific observers might hear the words of the dying prisoner to judge how the human reacted in this novel situation.
The first victim was a young Negro. As the pellet dropped into the container, and the gas curled upward, through the microphone came these words: „Save me, Joe Louis. Save me, Joe Louis. Save me, Joe Louis…“
Und später erklärt er:
„Not God, not government, not charitably minded white men, but a Negro who was the world’s most expert fighter, in this last extremity, was the last hope.“
Damit galt die Geschichte als verbürgt. In der Folgezeit diente sie immer wieder dazu zu illustrieren, welchen messiasgleichen Status Joe Louis bei den Afroamerikanern in den USA vor ihrem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg hatte. Sie zeigt aber, wie tief verwurzelt der Rassismus damals noch war.
In den letzten Jahren hat sich die Rezeption etwas verändert. Es wurden inzwischen mehrere Aufsätze veröffentlicht, in denen der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte einer Überprüfung unterzogen wurde. Um es gleich vorab zu sagen, die Geschichte ist einfach zu schön, zu bildhaft und zu rührend, um wahr zu sein. Aber bemerkenswert bleibt, dass diese Geschichte sich so lange hat halten und für wahrscheinlich und wahr erachtet werden können und tatsächlich immer noch wird.
Da auch bei der Vollstreckung von Todesurteilen, jedenfalls in demokratischen Staaten, der Staat genau Buch führt, konnte man den „jungen Neger“ von Martin Luther King Jr. identifizieren. Der bot genug Informationen, um zielführende Suchkriterien herauszuarbeiten.
1. Die Methode der Hinrichtung wurde kürzlich von Hängen auf Gaskammer umgestellt.
2. Die Hinrichtung fand in einem der Südstaaten statt.
3. Der Hingerichtete war Afroamerikaner.
4. Die Hinrichtung fand zwischen 1935 und 1939 statt.
Bei der Suche fand sich dann eine einzige Hinrichtung, die weitgehend diesen Kriterien entspricht. Und das war die Exekution von Allen Foster am 24. Januar 1936.
Foster wurde in Birmingham, Alabama, geboren, wo er in einer rassistischen Gesellschaft in Unbildung und Armut aufwuchs. Er war geistig zurückgeblieben. 1929 wurde er, im Alter von 13 Jahren, wegen Raubes verurteilt. Bis zu seinem 19 Lebensjahr wurde er in eine staatliche „Negro Industrial School“ verbracht. Unter einer solchen „Arbeitsschule“ muss man sich so etwas wie ein Waisenhaus oder Arbeitshaus vorstellen. Sein Verbrechen, für das er so lange einsaß, war der Diebstahl von Eiern von einem Güterwagen.
Foster war im „Civilian Conservation Corps“, dem Arbeitsdienst der USA (Stichworte hier: Roosevelt und New Deal), in Fort Bragg, North Carolina. Er verließ das Lager am 02. September 1935 und ging die Landstraße entlang, wo er auf die weiße Frau eines ortsansässigen Farmers traf. Später behauptete die Frau, er habe Geld von ihr verlangt, sie dann mit einer Flasche niedergeschlagen und sie schließlich mit vorgehaltenem Messer vergewaltigt. Sechs Wochen später war er zum Tode verurteilt. Foster erklärte später, sein Geständnis sei mittels Prügel erzwungen worden.
Was am 02. September 1935 auf der staubigen Landstraße bei Fort Bragg wirklich geschehen ist, wird man wohl niemals erfahren. Ausgehen kann man aber davon, dass ein Afroamerikaner, dem vorgeworfen wurde, eine weiße Frau vergewaltigt zu haben, in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bei einem Gerichtsprozess in den Südstaaten wohl kaum eine Chance hatte.
Seine Exekution sollte die erste mithilfe der Gaskammer in North Carolina werden. Gas ersetzte den Elektrischen Stuhl. Es sollte „humaner“ sein. Vorher hatte man es an ein paar Hunden getestet. Die Hinrichtung am 24. Januar 1936 im Gefängnis von Raleigh verlief dann aber anders als geplant.
Einige Dutzend Journalisten und Zeugen sahen, wie Foster, nur mit einer Boxerhose aus Baumwolle bekleidet, die Todeskammer betrat. Er fröstelte sichtlich in dem kalten Raum. Man kettete ihn an einen Stuhl und klebte ihm ein Stethoskop auf die Brust. Man stellte eine Schale mit Hydrochlorid-Säure unter seinen Stuhl. Foster sagte irgendetwas und deutete einen Uppercut an. Er nahm damit auf einen Kampf Bezug, den er als Junge mit Joe Louis gehabt hätte. Dieser Kampf hatte tatsächlich aber nur in Fosters Vorstellung stattgefunden, denn Louis konnte nachweislich nicht in Birmingham gewesen sein. Die Zeitung Daily Worker nahm diese Vorstellung jedoch für bare Münze und ein Mythos war geboren.
Foster verabschiedete sich noch von seiner Mutter und schrie noch, er sei unschuldig. Der Henker zog an einer Schnur und Kaliumcyanid-Kügelchen fielen in die Säure. Weiß-grauer Rauch, Blausäure, füllte den Raum. Foster inhalierte mit offenem Mund das Gift. Sein Ausatmen sah aus wie das Ausphauchen von Zigarettenrauch. Foster atmete tief ein und aus. Nach zwei Minuten sahen ihn die Zeugen durch die Glasscheibe immer noch reden. Noch Minuten später – er ließ seinen Kopf hängen, seine Augen traten hervor, sein Körper zuckte – versuchte er weiterzureden. Nach 10 Minuten atmete er immer noch. Seine Augen hatten sich grotesk verdreht. Es wurden schon Überlegungen angestellt, ob vielleicht jemand die Gaskammer betreten sollte, um noch Giftkügelchen nachzulegen. Es dauerte schließlich 12 ganze Minuten, bis Foster für tot erklärt wurde.
Die Hinrichtung war dermaßen barbarisch, dass Allen Foster, zumindest für kurze Zeit, in North Carolina bekannter war als Joe Louis. Das hatte nun aber keine nachhaltigen Folgen. Bis heute werden in North Carolina im Auftrag des Staates Menschen mit Hilfe der Gaskammer exekutiert.
Noch eine andere Geschichte ist verbürgt: Im Frühling 1935 erhielt Joe Louis einen Brief von einem afroamerikanischen Häftling im Todestrakt eines Südstaatengefängnisses. In diesem Brief waren folgende Worte enthalten: „I’m in death row, and I got only six more weeks to go. Your picture hanging on the wall will make me feel better as I wait for the electric chair.“
© Uwe Betker

Andy Bowen vs. Jack Burke – Der längste Boxkampf aller Zeiten

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Am 06. April 1893 fand im „Olympic Club“ von New Orleans der längste Boxkampf aller Zeiten statt. Der Kampf ging über sage und schreibe 110 (!) Runden und er dauerte über sieben Stunden. Es standen sich Andy Bowen und Jack Burke dabei gegenüber, die ihre Kräfte miteinander maßen. Es ging um die „Meisterschaft des Südens“ im Leichtgewicht. Das Preisgeld für den Sieger betrug 2.500 Dollar. Dass an diesem Tag allerdings Geschichte geschrieben werden sollte, konnte vorher keiner wissen.
Nur wenige Jahre vorher war das Preisboxen in den gesamten Vereinigten Staaten noch verboten gewesen. Erst 1890 wurde es im Bundesstaat Louisiana wieder erlaubt. New Orleans entwickelte sich zu einer der Box-Metropolen der USA. Man hielt sich zwar an die „Queensberry“-Regeln, aber das Boxen jener Zeit, war erheblich härter als heute. Viele Männer wurden damals Preisboxer, weil das für sie einfach eine Möglichkeit war, ihre prekären Lebensumstände zu verbessern. Und für diese Chance waren diese Männer damals bereit, alles zu geben. Sie waren sogar bereit, ihr Leben dafür zu geben, denn viele starben tatsächlich erheblich früher.
Die „Queensberry“-Regeln sind in den 1880er Jahren eingeführt worden und hatten sich 1893 durchgesetzt. Damit waren viele Standards, die wir heute kennen, ins Regelwerk aufgenommen: das Tragen von Boxhandschuhen, eine Rundendauer von drei Minuten, Pausen von einer Minute und das Anzählen bei Niederschlägen bis zehn. Die Rundenzahl war aber, wenn nicht anders vereinbart, noch nicht begrenzt und der Kampf war erst dann zu Ende, wenn ein eindeutiger Sieger feststand. Wie schon gesagt: Preisboxen war damals härter als heute.
Andy Bowen wurde am 05.02.1864 in New Orleans geboren. Er war 165cm groß und wirkte stämmig. Er war hart und zäh. Er konnte austeilen und er konnte nehmen. Er vertraute, zu Recht, mehr seiner Ausdauer und seiner Kraft als seinem doch überschaubaren boxerischen Können. Er arbeitete als Schmied und auf Baumwollfeldern. Seinen Kampfrekord kann man, wie bei allen seinen Zeitgenossen, nur näherungsweise rekonstruieren. Verbürgt sind jedenfalls 26 Kämpfe (15 Siege, 7 durch KO, 4 Niederlagen, 3 durch KO, 5 Unentschieden).
Er hatte es schwer sich in New Orleans als „Heimboxer“ zu etablieren, denn er hatte einen duklen Teint. Er wehrt sich zeitlebens gegen die Kategorie „Farbiger“. Er behauptet von sich spanische Vorfahren gehabt zu haben. Obwohl einige Zeitungen über ihn als Farbigen berichteten schaffte er es, vom Publikum angenommen zu werden.
An dem besagten Tag, am Donnerstag, dem 06. April 1893, stieg Andy Bowen als Favorit in den Ring. Er war der erfahrenere Boxer und er war der Heimboxer. Er hatte 1890 sogar einen Kampf bestritten, der als Weltmeisterschaft im Leichtgewicht promoted worden war. Dabei unterlag er Jimmy Caroll durch KO in Runden 21. Bowen war vorher schon mehrmals im „Olympic Club“ in New Orleans aufgetreten. 8.500 Zuschauer wollten den Kampf um die „Meisterschaft des Südens“ im Leichtgewicht sehen. Bowen wog 129 und Burke 130 Pfund, also 58,51 bzw. 58,96 Kg.
Bowen traf auf den erst 18-jährigen Jack Burke. Burke wurde am 01.01.1869 in Chicago, Illinois, geboren. Weil er in Galveston, Texas, lebte, vermarktete er sich als „Texas“ Jack Burke und das ermöglichte es den Veranstaltern, diesen Kampf als „Meisterschaft des Südens“ zu bewerben. – Schon damals verwendeten Promoter, wie man sieht, windige Titel, um das Publikum zu ziehen. – Burke hatte bis dahin siebenmal geboxt. Fünfmal hatte er gewonnen, einmal durch KO verloren und einmal hatte er ein Unentschieden erreicht. Einmal, bei einem Sieg, hatte er 43 Runden geboxt.
Der Kampf begann um 21 Uhr. Beide Kontrahenten gingen ein hohes Tempo. Offensichtlich waren beide bemüht, ein schnelles und vorzeitiges Ende des Kampfes herbeizuführen. – Dazu kam es aber nicht. In diesem Kampf gab es keinen Niederschlag, ein Novum in dieser Zeit. Stunde um Stunde prügelten Bowen und Burke aufeinander ein. Keiner wollte aufgeben.
In der 50. Runde wurden die beiden Boxer sichtlich langsamer. In der 51. Runde fragte Bowen Burke, warum er nicht mehr so hart zurückschlüge. Burke antwortete: “I can’t both my hands are gone.“ Burke hatte sich an beiden Händen Fingerknöchel gebrochen. Aber er kämpfte weiter.
Je länger der Kampf dauerte, umso müder wurden die Akteure und die Zuschauer. Die Zuschauer, die blieben, führten ihren Kampf – gegen den Schlaf. Ein Kollege von der Lokalzeitung „Daily Picayune“ gab auf: „Die 89. Runde ist soeben eingeläutet worden und über Bowen wird gesagt, er hätte sich ein Handgelenk gebrochen. Angesichts der Länge des Kampfes und der Uhrzeit halte ich es nicht für ratsam, noch weiter über den Fight zu berichten oder auf das Ende zu warten.“ Bowen boxte trotz seines gebrochenen Handgelenks weiter.
Irgendwann konnten auch Andy Bowen und Jack Burke nicht mehr. Keinem von ihnen gelang es mehr, als der Gong zur 111. Runde ertönte, aus seiner Ecke aufzustehen und sich wieder zum Kampf zu stellen. Der Ringrichter John Duffy brach den epischen Kampf ab und er klärte ihn zu einem „no contest“. Es war 04:43 Uhr morgens. 7 Stunden und 19 Minuten hatten sie gekämpft.
Einen Monat später schon, am 31. Mai 1893, stieg Andy Bowen erneut in den Ring. Er boxte gegen Jack Everhardt. Um die siebzehnte Runde herum brach er sich die linke Hand. Er boxte mit einer Hand weiter. Der Kampf dauerte 85 Runden, also über vier Stunden. Er gewann. Es folgten 1884 zwei Unentschieden.
Am 14.12.1894 folgte eine Niederlage gegen Kid Lavigne, “The Saginaw Kid”. Er boxte erneut im Auditorium Club, New Orleans. In der 18. Runde wurde er niedergeschlagen und ging zu Boden. Dabei schlug sein Kopf auf dem Boden auf und wachte nicht mehr auf. Er zog sich einen Schädelbruch zu. Einen Tag später starb Andy Bowen im Krankenhaus. – Andy Bowen ist einer der ganz Großen.
George (Kid) Lavigne, oder besser George Henry Lavigne, geboren am 06.12.1869, gestorben am 09.03.1928, boxte bis 1909 weiter. Sein vermutlicher Rekord: 58 Kämpfe, 37 Siege, 21 durch KO, 9 Niederlagen, 4 durch KO, 11 Unentschieden. Er war vom 01.06.1896 bis zum 03.07.1899 Weltmeister im Leichtgewicht. Mehr an Informationen fand ich nicht.
Über Jack Burke wissen wir nur unwesentlich mehr. Es ist nicht zweifelfrei bewiesen, ob er nach seiner epischen Ringschlacht jemals wieder in den Ring stieg. Eine sehr seriöse us-amerikanische boxhistorische Internetseite geht davon aus, dass er noch sechs Mal in Ring stieg. Andere Darstellungen widersprechen. Aus romantischen Gründen hoffe ich, dass er nie wieder geboxt hat. Sicher ist, dass er zuletzt in Plainfield, New Jersey lebte und dort im April 1942 an den Folgen eines Autounfalls im Mublenberg Hospital verstarb. In seiner Heimatstadt war allgemein bekannt, dass er einen 110-Runden-Kampf bestritten hatte.
© Uwe Betker

Zwei Bücher über Harry Haft

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An dieser Stelle möchte ich auf zwei lesenswerte Bücher über den amerikanischen Schwergewichtler Harry Haft hinweisen, die es auf Deutsch gibt: Einmal „Der Boxer“ von Reinhard Kleist, eine Graphic Novel und dann „Eines Tages werde ich alles erzählen“ von Alan Scott Haft, dem ältesten Sohn von Harry Haft.
Gegenstand beider Bücher ist die Lebensgeschichte von Hertzko Haft. Einigen dürfte eher sein amerikanischer Name, Harry Haft, etwas sagen. Er boxte in seinen 21 Kämpfen (13 Siege, 8 durch KO, 8 Niederlagen, 5 durch KO) u. a. gegen Roland LaStarza. In seinem letzten Kampf trat er am 18.07.1949 gegen Rocky Marciano an. Er verlor durch KO in Runde 3.
Harry Haft wurde am 28.07 1925 in Bełchatów, Polen als Hertzko Haft in bitterer Armut geboren. Als 16-Jähriger wurde er, weil er Jude war, nach Auschwitz deportiert. Da er kräftig war, wurde er von einem SS-Aufseher zum Boxer ausgebildet. Er musste zur Belustigung der Wachmannschaften kämpfen. Dabei ging es für ihn buchstäblich auf Leben und Tod. 75 dieser Kämpfe absolvierte er. Vermutlich hat keiner seiner Gegner den Tag nach dem Kampf überlebt. Die Verlierer wurden wahrscheinlich von den Nazis ermordet. Die Kämpfe fanden im Konzentrationslager Jaworzno statt. Nachdem er 75 Kämpfen absolviert hatte, wurde das KZ, wegen des Heranrückens der Roten Armee, aufgelöst und die Häftlinge auf Todesmärsche geschickt. Im April 1945 gelang es Haft, unter abenteuerlichen Umständen zu fliehen. 1948 wanderte er in die USA aus und verdiente seinen Lebensunterhalt als Profiboxer.
Erst kurz vor seinem Tod vertraute Haft seinem ältesten Sohn Alan Scott seine Lebensgeschichte an, die dieser dann aufschrieb. 2006 wurde sie dann in den USA veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe ist gut und flüssig geschrieben. Leichte Kost ist das Buch jedoch nicht. Dafür war Hafts Leben zu sehr geprägt von ihn deformierenden Erlebnissen.
Basierend auf dieser Lebensgeschichte gestaltete Reinhard Kleist seine Graphic Novel.
Wikipedia definiert: „ Graphic Novel (dt. illustrierter Roman, Comicroman) ist eine aus den Vereinigten Staaten übernommene Bezeichnung für Comics im Buchformat, die sich aufgrund ihres thematischen Anspruches und ihrer erzählerischen Komplexität vom normalen Heftcomic unterscheiden und sich dadurch an erwachsene Leser richten, was auch durch den ausschließlichen Verkauf im Buchladen zum Ausdruck kommen soll.“
Die Graphic Novel erschien zunächst als Fortsetzungscomic und Vorabdruck von April bis September 2011 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und später als Album-Ausgabe. Das Buch besticht durch seine Zeichnungen. Sie sind nicht wirklich realistisch, dafür aber wahrhaftig. Beide Bücher zusammen gehören für mich in jede gut sortierte Bibliothek mit Boxliteratur.
© Uwe Betker

Tom Cribb (2)

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10.12.1810 trafen Cribb und Molineaux in Shenington Hollow, Oxfordshire das erste Mal aufeinander. In Molineauxs Ecke stand Bill Richmond, der 1805 nur knapp gegen Cribb verloren hatte. Die Boxfans und wohl auch Cribb erwarteten einen Kampf, der nicht lange dauern sollte. Aber hier hatten sie den US-Amerikaner unterschätzt. Dieser war ein starker und intelligenter Boxer. Es kam zu einer Ringschlacht, in der beide Boxer viele schwere und harte Treffer nehmen mussten. In der 19ten Runde entstand eine Pattsituation, die in einen Tumult mündete. Molineaux und Cribb hielten sich gegenseitig in einem Ringergriff, was zu jener Zeit, den Regeln entsprach. Keiner von beiden konnte den anderen schlagen und keiner sich konnte sich aus dem Griff des anderen befreien.
Der Ringrichter war mit der Situation überfordert – auch damals gab es schlechte Ringrichter. Er konnte sich nicht dazu durchringen, die beiden Kämpfer zu trennen. Die unzufriedenen Zuschauer drückten in den Ring hinein. Dabei verletzte Molineaux sich die linke Hand. Später gab es noch einen Disput darüber, ob Cribb sich rechtzeitig nach einer Rundenpause von 30 Sekunden wieder zum Kampf gestellt hatte. Wenn ein Boxer sich damals nicht innerhalb der vorgeschriebenen Zeit zum Kampf stellte, hatte er verloren. Aber auch hier zeigte sich der Ringrichter als nicht souverän. Nach der 34ten Runde wollte Molineaux nicht mehr antreten, aber sein Sekundant Richmond überredeten ihn, sich wieder zu stellen. In Runde 35 ging er dann KO. Cribb wurde durch diesen Sieg zum englischen Meister, was gleich bedeutend mit Weltmeister war. – Offiziell gab es noch keine Weltmeisterschaft und auch keine britischen Meisterschaften. Denn offiziell war auch das Boxen, was noch mit bloßer Faust gemacht wurde, verboten.
1811 trat Cribb wieder gegen Molineaux an. Der Kampf fand in Thistleton Gap in Lancashire vor einer großen Menschenmenge statt. Diesmal unterschätzte Cribb seinen Gegner nicht. Er war sogar vorher nach Schottland gereist, um sich neun Wochen auf den Kampf vorzubereiten. Das gute Leben in London hatte ihn fett und kurzatmig gemacht. Er begann mit langen Spaziergängen und steigerte dann sein Pensum. Er verzichtete auch auf Alkohol, was ihm besonders schwer gefallen sein soll. Sichtbar leichter und austrainierter trat er an. 15.000 Zuschauer waren gekommen, um das zweite Aufeinandertreffen der beiden großen Boxer zu sehen. Der Kampf war, für damalige Zeit sehr kurz – dafür aber brutal. Molineaux dominierte die ersten Runden. Cribb blutete aus Nase und Mund und seine Augen waren geschwollen. Danach verlegte er sich darauf, zum Körper zu gehen. In der neunten Runde traf er Molineaux mit einer Linken am Kiefer, die diesen brach und den Amerikaner zu Boden schickte. Molineaux schaffte es nicht früh genug wieder hoch zu kommen, doch Cribb erlaubte es, dass der Kampf weiter geführt wurde. In der 11. Runde ging Molineaux endgültig KO.
Nach dem Kampf trennten sich die Wege von Molineaux und seinem Trainer Bill Richmond. Molineaux starb bereits 1815 mit 34 Jahren in bitterer Armut an Leberzirrhose.
Cribb bestritt in den folgenden Jahren sowohl einige Kämpfe als auch Schaukämpfe. Gerade die Schaukämpfe fanden vor den „Reichen und Schönen” der Zeit statt. Viele Adlige waren Förderer des Boxsports in England. Am 19.07.1821 wurde George IV in Westminster Abbey zum König gekrönt. 18 der führenden Boxer der Zeit waren durch den König ausgesucht worden, als Diener und Pagen dabei zu sein. Unter ihnen befand sich auch Tom Cribb.
1822 zog sich Cribb vom Boxsport zück. Er wurde erst Kohlenhändler. Danach machte er einen Pub, dass „Kings Arms”, auf, den er aber bald schon wieder aufgab. Später, nämlich 1820, eröffnete er das „Union Arms“, dass heutige „Tom Cribb“. Das Union Arms, oder auch „Cribbs´s Parlour“ genannt, wurde ein Treffpunkt für Boxer und Aristokraten. Die Gegend rund um den Pub, war eine Hochburg des Boxens im 19ten Jahrhundert. Die Wände der Gaststätte waren, im Geschmack der Zeit, dicht mit vielen Bildern behängt, vorwiegend Portraits und Szenen aus dem Sport.
Cribb gab 1838/39 den Pub, wohl aufgrund finanzieller Probleme, auf und zog zu einem seiner Söhne, William Frederick Cribb. Er starb am 11.05.1848 mit 68 Jahren. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: “The actions still there but the steams all gone.” Er wurde auf dem Friedhof von St. Mary`s Church in Woolwich, in den Dockland von London beigesetzt. Zu seinen Ehren wurde ein großer steinerner Löwe aufgestellt, der auch heute noch zu sehen ist.
Cribb war einer von Englands gefeiertsten Champions. Er war es, der das das Boxen im Rückwärtsgang, das „milling on the retreat“ zu einer akzeptierten Kampfform machte. Einige behaupten sogar, dass er der Erfinder des Trainingslagers ist. Er wurde 1991 in die International Boxing Hall of Fame aufgenommen.
Das „Tom Cribb“ ist ein ausgesprochen angenehmer und ruhiger Pub. Hier kann man bei einem schönen Pinte Ale überlegen, ob man nicht am nächsten Tag in die National Portrait Gallery geht, um sich dort das sehr schöne Molineaux Portrait von George MacDonald Fraser anzusehen.
© Uwe Betker

Written by betker

20. November 2011 at 23:59

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Tom Cribb (1)

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Wer als Reisender nach London kommt, steht irgendwann unweigerlich auf dem Piccadilly Circus. Der Piccadilly Circus, der ja mal so etwas wie das Zentrum der Welt war, ist heute einfach nur aufdringlich laut und voll. Es werden die gleichen Produkte angeboten wie überall sonst auf der Welt, und außerdem natürlich noch die unvermeidlichen London-Souvenirs. Aber unweit von diesem Un-Ort gibt es das Tom Cribb, einen bemerkenswerten Pub.
Der Pub ist nach Tom bzw. Thomas Cribb benannt, dem es einmal gehörte. Cribb wurde am 02.07.1781 in Hanaham, Gloucestershire, England, in der Nähe von Bristol, geboren. Er lebte die ersten Jahre zusammen mit seinen Eltern Thomas und Hannah und mit seinen sechs Geschwistern Abraham, Ann, Daniel, Elizabeth, Ester und George. Bereits mit 13 Jahren ging er allein nach London. Dort arbeitete er zunächst bei einem Verwandten als Türglockenaufhänger. Aber bereits kurze Zeit später arbeitete er als Träger bei den Kais in den Docklands von London, wo er die Ladung der Lastkähne löschte. In diese Zeit fielen auch zwei Unfälle, die beide zum vorzeitigen Tod von Cribb hätten führen können. Das eine Mal fiel er zwischen zwei Kohle-Kähne, die ihn zu zerquetschen drohten. Das andere Mal rutschte er aus und die sehr schweren Pakete mit Orangen, die er trug, stürzten auf seinen Brustkasten. Noch Tage später spuckte er Blut.
Er diente auch eine Zeitlang bei der königlichen Marine, von der er 1804 entlassen wurde. Hiernach arbeitet er weiter als Kohleträger in den Docks, was ihm den Namen „The Black Diamond“ eintrug. Unter diesem Kampfnamen absolvierte er auch seinen ersten Kampf am 07.01.1805. Cribb gewann seinen ersten öffentlichen Kampf gegen George Maddox in Wood Green in Middlesex in der Nähe von Highgate, heute ein Teil von London. Der Kampf dauerte zwei ein viertel Stunde und ging über 76 Runden.
George Cribb, ein Bruder von Tom Cribb, versuchte sich auch als Profiboxer. Er boxte wohl fünf Mal. Er verlor alle seine Kämpfe.
Einen Monat später, am 15.02.1805, schlug Thomas Cribb Tom „Tough“ Blake und gewann eine Börse von 40 Guineas, was in dieser Zeit ein kleines Vermögen war. Diesmal boxte er „nur“ eineinhalb Stunden, bzw. 20 Runden lang. Seine Siege und seine Börse überzeugten ihn, von nun an Profiboxer zu sein. In der gleichen Zeit lernte er Robert Barclay Allardice, besser bekannt als Captain Robert Barclay, kennen. Barclay erkannte das Potential von Cribb und wurde sein Betreuer, Berater und Trainer. Im Juli des gleichen Jahres musste Cribb gegen George Nichols eine der wenigen Niederlagen seiner Karriere hinnehmen. Der Kampf dauerte eineinhalb Stunden und ging über 52 Runden.
Am 08.10.1805 besiegte er knapp William „Bill“ Richmond, genant „Black Terror“ in einem eineinhalb Stunden dauernden Kampf. 1807 schlug er dann Jem Belcher, den ehemaligen All England Champion, der zu jener Zeit eine lebende Legende war. 1809 wurde er zum British Champion ernannt, weil „Titelinhaber“ John Gully zurücktrat. Im selben Jahr, am 12.12.1809, heiratete er Elizabeth Warr in der St. Pancras Old Church, im Stadtteil Camden in London. Vermutlich hatten die Beiden sieben Kinder.
Unsterblich wurde Cribb durch seine zwei Kämpfe mit dem großen Tom Molineaux. Molineaux wurde 1784 als Sklave in Virginia, USA geboren. Er boxte mit anderen Sklaven um die Plantagenbesitzer zu unterhalten. Er gewann seinem Besitzer so viel Geld durch Wetten auf ihn, dass dieser ihm die Freiheit schenkte. Hiernach ging Molineaux nach England und verdingte sich als Profiboxer.

(C) Uwe Betker

Written by betker

19. November 2011 at 23:59

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Ein wahrer Champion braucht keinen Weltmeistergürtel (3)

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Pimentel konnte, nachdem seine Sperre endlich aufgehoben worden war, nach Los Angeles zurückkehren, um dort am 06.12.1965 auf einen weiteren harten Brocken zu treffen, Joe Medel aus Mexiko. Pimentel konnte zwar sein Gegenüber früh niederschlagen, ging dann aber selber zweimal in der neunten Runde zu Boden. Die harte Schlussrunde konnte Medel nur mit viel Geschick und Glück durchstehen. „Der Medel-Kampf machte mich erst richtig bekannt. Meine Leute akzeptierten mich von nun an wirklich, obwohl ich durch eine Mehrheitsentscheidung verlor. Obwohl er kein ausgesprochener Puncher war, war er der einzige Gegner in meiner Boxkarriere, der mir wirklich in einem Kampf Schmerzen zufügte. Er war der einzige Boxer, dessen Schläge ich wirklich spürte. Alle Medien gaben mir den Sieg, nur die Punktrichter nicht.“ Diese Entscheidung der Punktrichter ist für ihn bis heute die schmerzhafteste Erinnerung an seine Zeit als Boxer, zumal Medel ihm keinen Rückkampf gab. Das Boxmagazin „The Ring“ kürte den Kampf zum viertbesten des Jahres.
Im folgenden Jahr, 1966, stieg er sechsmal in den Ring und gewann immer durch KO. Unter seinen Opfern waren Boxer, die zur Spitzenklasse zählten: Kackie Burke aus Kanada und der Japaner Katsuo Saito. Beide schlug er KO.
Am 11. Juni 1967 verlor Pimentel wieder einen Kampf. Sein Bezwinger in San Antonio war Yoshio Nakano aus Japan. „Yoshio Nakano – ein schwierig zu boxender Kämpfer. Bis heute weiß oder verstehe ich nicht, wie er mich geschlagen hat. Ich erinnere mich ganz deutlich, wie der Ringrichter, ein sehr ehrenwerter Offizieller, in unsere Ecke kam und meinem Manager sagte, dass er mich klar nach Punkten vorne hat. Und was war? Er war einer derjenigen, die den Kampf Nakano gaben.“
Der nächste Gegner war Mimoun Ben Ali aus Spanien, auf den er am 26.07.1967 traf. Ali war zu diesem Zeitpunkt zum dritten Mal Europameister. Er war von 1958 bis 1962 im Fliegengewicht und von 1963 bis 1967 im Bantamgewicht unter den besten zehn der Welt. In seinen bisherigen 62 Kämpfen war er niemals KO gegangen. Pimentel bezeichnet ihn gerne als seinen zähesten Gegner. Der Kampf wurde verbissen und hart geführt. Pimentel lag nach der achten Runde nach Punkten hinten. In der neunten zählte dann aber die Boxlegende Archie Moore, der als Ringrichter fungierte, Ali aus. Diese Begegnung wurde 1999 zum größten Kampf von San Antonio gewählt.
Mitte 1968 verlor der Boxstern Pimentel Zusehens an Leuchtkraft. Am 14.06.1968 traf er in Los Angeles auf Chucho Castillo, den amtierenden mexikanischen Meister im Bantamgewicht, der zwei Jahre später gegen Ruben Olivares Weltmeister werden sollte. Pimentel unterlag klar nach Punkten. „Chucho kämpfte diese Nacht den Kampf seines Lebens. Er führte einen sehr-sehr cleveren Kampf. Er flog wie eine Fliege und stach wie eine Biene – wie Cassius Clay zu sagen pflegte. Ich persönlich hatte viele Probleme gegen technische Boxer und besonders in dieser Nacht. Chucho Castillo kämpfte gegen mich, wie er es später gegen Ruben Olivares tat. Er war sehr anmutig und clever. Ich ziehe meinen Hut vor ihm.“ Pimentel verschweigt, dass er sich während des Kampfes seine Schlaghand mehrfach brach.
Nach der Niederlage gegen Castillo erwog Pimentel, sein Handwerk dranzugeben, zumal auch Castillo ihm keine Revanche geben wollte. Aber noch immer lockte das große Ziel: die Weltmeisterschaft. Pimentel boxte weiter. Am 10.03.1969 folgte wieder eine Niederlage. Kazuyoshi Kanazawa, der vierte der Weltrangliste „boxte mir die Ohren ab“. In diesem Kampf, der in der Korakuen Hall in Tokio stattfand, musste Pimentel viel einstecken. In der dritten Runde erlitt er eine Cutverletzung an der rechten Augenbraue, in der fünften kam ein weiterer Cut an der anderen Braue hinzu. In der neunten Runde stoppte der Ringrichter den Kampf wegen der stark blutenden Platzwunden.
Nach diesen Niederlagen fing sich Pimentel wieder, und es folgten 15 Siege mit 13 KOs in Folge. Unter seinen Opfern war auch der starke Kanadier Billy McGrandle, den er am 17.12.1969 in der siebten Runde KO schlug („er konnte meine Körpertreffer nicht nehmen“). Dieser Sieg brachte ihm den Titel des nordamerikanischen Meisters ein. „Der Sieg war eine große Befriedigung für mich. Obwohl es nicht der Weltmeistertitel war, hatte ich nun den schönsten Gürtel für meinen Trophäenschrank.“
Den Titel verteidigte er zweimal erfolgreich. Kuniaki Shimad schlug er am 01.07.1970 und Ushiwakamaru Harada am 14.09.1970 KO. Trotz dieser beeindruckenden Siege war Pimentel schon lange nicht mehr der Boxer, der er einst gewesen war. Es war offensichtlich, dass er sich dem Ende seiner Karriere näherte. Nun erst, am Ende seiner Laufbahn als Preisboxer und nach sieben Jahren des Wartens, bekam er schließlich doch noch die Chance, um die Weltmeisterschaft zu boxen.
Sein Gegner am 14.12.1971 in Los Angeles war der große Ruben Olivares. „Ich wollte, als ich gegen Ruben Olivares antrat, nicht meine Karriere mit einer Niederlage beenden, wie die meisten Boxer es tun. Aber als ich gegen Ruben Olivares kämpfte, wusste ich, dass meine Karriere zu Ende ist. Ich spürte die Schläge, denen ich früher so einfach ausweichen konnte. Nun spürte ich sie, und ich konnte ihnen nicht ausweichen.“
Olivares und Pimentel, die hier aufeinander trafen, hatten eine erschreckende KO-Bilanz. Zusammen verbuchten sie 134 KOs. Olivares war jünger, größer und hatte einen Reichweitenvorteil. Pimentel hatte dafür ein Mehr an Erfahrung und das Herz eines wahren Kriegers: Es war eine der großen Ringschlachten der Boxgeschichte.
„Als ich gegen Ruben kämpfte, war ich schon 32 Jahre alt und auf dem absteigenden Ast. Aber ich gab ihm trotzdem eine Hölle an Kampf.“ Die amerikanische „Boxing Illustrated“ schrieb, im Vergleich zu diesem Krieg sei der erste Kampf Ali gegen Frazier ein Langeweiler-Kampf gewesen.
Bereits in der ersten Runde hatten beide Kontrahenten ihren Kampfrhythmus gefunden. Olivares kam immer wieder mit seinen gefürchteten linken Haken durch und konnte Rechts-Links-Rechts-Kombinationen zum Körper und zum Kopf anbringen. Pimentel ließ den Kopf seines Gegenübers immer wieder mit seinem harten Jab zurückschnappen und landete krachende Rechte an den Kopf. Beide gingen ein mörderisches Tempo.
Die zweite Runde folgte diesem Muster, und es war nur eine Frage der Zeit, wann der erste zu Boden gehen würde. Am Ende des dritten Durchgangs zog sich Olivares nach einem Zusammenstoß mit den Köpfen eine große und stark blutende Platzwunde über dem linken Auge zu. Heute würde eine solche Verletzung automatisch zum Abbruch führen. Aber hier führte sie nur dazu, dass sich das Tempo des Kampfes noch verschärfte. Die fünfte Runde war ein einziger Schlagabtausch. Pimentel kam wieder mit einer harten Links-Rechts-Links-Kombination durch, die Olivares beeindruckte. Es folgten ein Jab – ein rechter Haken zum Kinn. Der Weltmeister war schwer angeschlagen. Plötzlich kam dann aber Olivares mit einem rechten Cross durch, und Pimentel ging zu Boden. Er kam wieder hoch und schenkte Olivares in den folgenden Runden nichts. Aber Olivares war auf der Siegerstraße. Systematisch bearbeitete er Körper und Kopf seines Gegners. Lediglich die achte Runde konnte Pimentel noch für sich entscheiden. Als Pimentel am Ende der zehnten Runde in seine Ecke ging, war sein Gesicht verschwollen und sein Körper übersät mit blauen Flecken. „Ich sagte meinem Manager: Harry, ich fühle meine Beine nicht mehr. Er sagte zu mir: Geh raus in die nächste Runde, und wenn du ihn nicht KO haust, stoppe ich den Kampf – was er dann auch tat.“ Pimentel hatte seinen einzigen Titelkampf verloren. Noch im Ring erklärte er seinen Rücktritt vom Boxen.
„Ich bin mir sehr sicher, dass ich Ruben Olivares und Eder Jofre hätte KO schlagen können. Ich wünschte mir, ich hätte früher gegen Ruben kämpfen können. Ich wünschte mir, ich hätte Eder boxen können. Ich hätte ein Champion werden können.“ Selbst Parnassus, der dieses Aufeinandertreffen veranstaltet hatte, sagte nach dem Kampf zur Presse, dass, hätte der Kampf nur zwei Jahre früher stattgefunden, Pimentel wohl durch KO gewonnen hätte. Dieser Kampf war so schwer und kostete auch seinen Sieger soviel Substanz, dass Olivares bereits in seinem nächsten Kampf den Titel wieder verlor.
Nach dem Ende seiner Karriere als Preiskämpfer veranstaltete Pimentel zusammen mit seinem ehemaligen Manager Kabakoff Boxkämpfe in Mexiko. Heute betreibt er eine Firma für Garten- und Landschaftsbau in Northridge/Kalifornien. Dem Boxen ist er immer noch verbunden – als Trainer im Northridge Athletic Club.
Pimentel ist mit seiner Jugendliebe Maria Elena verheiratet („Ich war in meinem ganzen Leben noch nie ein Playboy“). Er hat zwei Söhne, Jesus Jr. und Melville (benannt nach seinem Manager), sowie zwei Töchter Deborah und Esenia.
Obwohl es Jesus Pimentel nicht vergönnt war, einen Weltmeistergürtel zu erringen, so ist er aber doch ein wahrer Champion. In seinem Haus hat er einen Gürtel, der mehr aussagt als einer der protzigen Weltmeistergürtel, die heute so freigiebig verteilt werden. Auf diesem Gürtel steht „The Greatest Knockout Punching Bantamweight In Boxing History“. Er wurde ihm von Nat Fleischer, dem Gründer und Herausgeber des Ring Magazin, der wichtigsten Boxzeitschrift der Welt, überreicht.
© Uwe Betker